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INTERVIEW/048: Burg Waldeck - Straßen, Lieder, Lebenswerte ...    Guy Dawson im Gespräch (SB)


Erinnerungen an ein versunkenes Lebensgefühl

Linker Liedersommer auf Burg Waldeck vom 19. bis 21. Juni 2015


Der in Deutschland lebende Engländer Guy Dawson hat als Straßenmusiker zahlreiche Länder Europas bereist, Konzerte in Kneipen gegeben und insbesondere längere Zeit in Prag verbracht. Beim Liederabend auf Burg Waldeck spielte er Stücke von Christy Moore und Brendan Behan, die er wie auch Billy Bragg zu seinen Vorbildern zählt. Im Gespräch mit dem Schattenblick beantwortet er einige Fragen zu seinem musikalischen Hintergrund, den Lebensverhältnissen in Liverpool und Prag sowie seinen aktuellen Wünschen und Plänen als Mensch und Musiker.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Guy Dawson
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Guy, du machst selber Musik. Könntest du etwas über deinen musikalischen Hintergrund erzählen?

Guy Dawson (GD): Ich habe mit 18 Jahren, eigentlich ziemlich spät, mit der Gitarre angefangen, war aber vorher als Kind in einem Chor, so daß ich schon ein bißchen Erfahrung hatte. Die ersten Griffe habe ich von einem Liverpooler gelernt, der einmal mit der Band Buster eine Goldene Schallplatte bekommen hat. Die Band hat viele Platten, vor allem in Japan, verkauft. Er ist mein Gitarrenlehrer gewesen und hat mir auch einige Lieder beigebracht. Später habe ich selber angefangen, Lieder zu lernen. In Liverpool waren die Lebensverhältnisse damals nicht zuletzt wegen der hohen Arbeitslosigkeit sehr schwierig. In der Thatcher-Zeit wurden dann die Bergarbeiterstreiks massiv niedergeschlagen. All das hat den Entschluß zur Emigration in mir reifen lassen. Mit meinem letzten Arbeitslosengeld habe ich mich auf die Fähre eingecheckt und während der Überfahrt vielleicht die Hälfte davon ausgegeben. In den nächsten Jahren habe ich dann von der Straßenmusik gelebt, bin durch Deutschland, Frankreich, Spanien, praktisch durch ganz Europa gezogen. Für ein Jahr war ich in Prag, wo ich viel irische Musik gespielt habe. Durch die Erfahrung auf der Straße fand ich schließlich den Mut, auch ein paar Konzerte in Kneipen und so weiter zu geben. Ich habe viele politische Lieder gespielt und von Dingen gesungen, die mich bewegt haben.

SB: Haben prominente Liedermacher Einfluß auf deine politischen Lieder gehabt?

GD: Als überzeugter Sozialist habe ich zum Beispiel die Lieder von Billy Bragg gehört, der sie für meine Generation geschrieben und unser Lebensgefühl darin vollauf wiedergegeben hat. Die Leute, insbesondere in Nordengland, waren von der Arbeitslosigkeit arg betroffen. Ich hatte als junger Mensch das Bedürfnis, meine Geschichten der ganzen Welt zu erzählen. Wenn man nicht man selbst sein darf, was darf man dann überhaupt? Nichts außer zu schweigen. Ich habe jetzt einen ganz normalen Job und muß meinen Mund halten. Was ich wirklich aus der damaligen Zeit vermisse ist, daß ich alles sagen konnte, was ich wollte. Durch die Musik habe ich viele coole Leute kennengelernt, mit denen ich kaum ein Wort in ihrer Muttersprache sprechen konnte und die auch meine Sprache nicht kannten, aber dennoch haben wir gemeinsam Musik gemacht wie zum Beispiel die Jamsessions im Prager Park. Das war ein ungemein positives Erlebnis, mit Leuten aus vielen verschiedenen Ländern zusammen Musik zu machen. Das ist vielleicht das schönste, was man erleben kann.

SB: Hast du in einem festen Freundeskreis Musik gemacht?

GD: Ich hatte feste Freunde und Adressen, wo ich hingehen konnte. Das waren WGs, aber ich habe auch in besetzten Häusern gewohnt wie zum Beispiel in Worms. Mein Adreßbuch war voll von Leuten, die mir gesagt haben, komm doch vorbei, dann können wir ein bißchen Musik machen. Zur Wendezeit war ich in Prag, das war super, denn man kann dort billig wohnen. Ich habe im Westen Geld verdient und konnte davon in Prag gut leben. Dort hatte ich dann viel Zeit zum Experimentieren und Erlernen von Liedern.

SB: Wie hast du die Lebensverhältnisse im Vergleich zwischen Liverpool und Prag empfunden?

GD: Prag in der Wendezeit war die sicherste Stadt, die ich je kennengelernt habe. Es gab dort keine Gewalt, und die Leute waren frei vom Gefühl der Angst. Es war eine friedliche und glückliche Atmosphäre unter den Leuten. 20.000 Amerikaner und viele Engländer haben seinerzeit in Prag gewohnt, und so konnte man überall Zugang zur eigenen Kultur finden. Es war eine schöne Zeit, und die jungen Leute haben viel unternommen. Liverpool war ganz anders. Viele Leute hatten kein Geld; wenn man eine Schachtel Zigaretten aufmachte, waren gleich drei, vier Leute um einen herum, die schnorren wollten. Überhaupt war die Gewalt in der Stadt ganz schlimm. Wenn ich kein Geld fürs Taxi hatte, mußte ich durch ein Viertel laufen, wo man sich seines Lebens nicht sicher sein konnte. Das war der auffallendste Unterschied zwischen Ost und West, wie ich ihn persönlich erlebt habe. Das hätte ich mir vorher so nicht vorstellen können.

SB: In der Regel hört man eher Geschichten von den Vorzügen der westlichen Länder gegenüber dem Osten.

GD: Als ich in Prag war, hatte jeder Geld für Essen, Trinken und Wohnen. Die meisten Leute besaßen sogar Datschen auf dem Land. Im Gegensatz dazu hatten manche Leute in Liverpool wirklich nichts. Gerade Leute ohne Arbeit und Rentner mußten manchmal zwischen Heizung und Essen wählen. Aber vor allem die Konkurrenzangst, die im Westen erdrückend vorherrscht, habe ich in Prag zu der Zeit jedenfalls nicht erlebt. Das hat sich seitdem aber geändert.


Im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Meine Geschichten der ganzen Welt erzählen ...
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Du bist ja kein professioneller Musiker, spielst du noch häufig?

GD: Nein, ich habe jetzt einen Job als Altenpfleger und daher leider viel zu wenig Zeit. Wenn ich von der Arbeit komme, bin ich meistens zu müde und will einfach nur noch abschalten. Wenn ich ab und zu dennoch etwas spiele, dann für mich und meine Frau. Es kommt nur noch sehr selten vor, daß ich Auftritte gebe.

SB: War Altenpflege dein Berufswunsch oder bist du nur zufällig dazu gekommen?

GD: Ich hatte bereits in England ein Jahr lang in diesem Bereich gearbeitet, und die Arbeit mit Menschen hat mir sehr gefallen. So gesehen war es ein natürliches Bedürfnis von mir, aber ich wollte ohnehin einen sinnvollen Beruf ausüben, und was kann sinnvoller sein, als anderen Menschen zu helfen. Die Pflege war daher für mich eine naheliegende Wahl. Ich arbeite jetzt seit ungefähr 20 Jahren in der Altenpflege.

SB: Willst du den Beruf auch weiterhin ausüben?

GD: Die Bedingungen waren in der Altenpflege noch nie schlechter als heute. Ich würde meinen Kindern nicht empfehlen, dort zu arbeiten. Es ist einfach zu hart geworden. Ich möchte noch Vollzeit arbeiten, bis ich meine Schulden abbezahlt habe, aber ich denke, in 18 Monaten mache ich vielleicht nur noch 50 Prozent, um mehr Zeit für die Musik zu haben. Ich bin wirklich gern in der Altenpflege, aber wir bräuchten andere Bedingungen, damit man seinen Beruf angemessen ausüben kann.

SB: Wenn du weiter Musik machen solltest, würdest du dann dein altes Repertoire spielen oder etwas Neues in Angriff nehmen?

GD: Ich würde auf jeden Fall neue Lieder lernen. Man kann nicht immer das gleiche singen. Ich würde auch gerne ein paar eigene Sachen machen und das zum Ausdruck bringen, was mir vielleicht in den letzten 20 Jahren gefehlt hat. Möglicherweise sind das auch nur Anzeichen meiner Midlife-Crisis, daß ich meine, irgend etwas nachholen zu müssen, was man immer an die hinterste Stelle gesetzt hat. Es kamen immer andere Dinge dazwischen wie Familie und Geldverdienen und so weiter.

SB: Würdest du sagen, daß es Unterschiede zwischen englischen und deutschen Liedermachern gibt?

GD: Ja, bei deutschen Liedermachern höre ich manchmal einen slawischen Einfluß heraus, auch bei den Griffen, die gespielt werden, wo viel mit A-Moll, D-Moll, E-Resolution gearbeitet wird. Vom Gefühl her sehe ich auch einen Zusammenhang zwischen deutschen und französischen Liedermachern. Beide erzählen oft Stories, die einem ähnlichen Rhythmus folgen. In England und Irland hingegen spürt man viel von dem Meer darin, vielleicht auch, weil vieles im Rhythmus und Ausdruck an Matrosenlieder angelehnt ist, was mich an die Weite des Meeres erinnert. Auch die Art zu singen ist bei deutschen Liedermachern anders, es klingt manchmal beinah wie gesprochen. In Britannien dagegen überwiegt der Choral. Man kann auf dem Fußballfeld hören, wie lang die Töne gehen.

SB: Hier auf Burg Waldeck wurde viel darüber diskutiert, wie man mit politischen Liedern Menschen erreichen kann. Gibt das auch dein Anliegen wieder?

GD: Wenn man eine Aussage macht, ist es, ob man will oder nicht, oft politisch. Ich würde schon gerne Themen ansprechen, die die Menschen auch berühren. Wenn das politisch ist, habe ich nichts dagegen, aber ich würde mich nicht hinsetzen und sagen, jetzt schreibe ich ein politisches Lied. Das würde auch nicht funktionieren.

SB: Du hattest vorhin das Lebensgefühl im Liverpool deiner Jugendjahre erwähnt. Inwiefern wirken sich deines Erachtens die Umstände, unter denen ein Songwriter komponiert, auf das musikalische Endprodukt aus?

GD: Ich wette, in Griechenland wird jetzt ein Haufen ganz toller Lieder geschrieben. Die besten Lieder entstehen immer in bewegten Zeiten oder in Krisen. Die Tiefe der Emotionen, die stärksten Gefühle kommen aus Krisen, denn Musik ist im Grunde ein Ausdruck von Gefühlen. Das Aufwühlende der Angst und die Existenznot werden dann über die Musik weitergegeben.

SB: Was wirst du heute abend spielen?

GD: Ich wollte zwei irische Lieder spielen, aber wegen des dritten Liedes bin ich mir noch nicht schlüssig. Vielleicht wird es etwas von Christy Moore oder Brendan Behan sein. Dessen Onkel hat übrigens die irische Nationalhymne geschrieben. Er ist eines meiner Vorbilder, nicht unbedingt wegen seiner Lebensführung, aber als Verfasser hervorragender Bücher, guter Theaterstücke und tief empfundener Lieder. Aber auch von Christy Moore habe ich viel gelernt.

SB: Guy, vielen Dank für dieses Gespräch.


Guy Dawson mit Gitarre auf der Bühne - Foto: © 2015 by Schattenblick

Lieder von Christy Moore und Brendan Behan
Foto: © 2015 by Schattenblick


Zum Linken Liedersommer 2015 siehe im Schattenblick:

BERICHT/026: Burg Waldeck - Wurzeln im Wind ... (1) (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0026.html

BERICHT/027: Burg Waldeck - Wurzeln im Wind ... (2) (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0027.html

BERICHT/028: Burg Waldeck - Tief verwurzelt, hoch im Blatt ... (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0028.html

INTERVIEW/043: Burg Waldeck - Salamitaktik ... Amazon-Streikende im Gespräch(SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0043.html

INTERVIEW/044: Burg Waldeck - Erinnert euch, langt zu ... Diether Dehm im Gespräch (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0044.html

INTERVIEW/045: Burg Waldeck - Kritisch, politisch und Avantgarde ... Daniel Osorio im Gespräch (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0045.html

INTERVIEW/046: Burg Waldeck - Renaichancen ...    Bernd Köhler im Gespräch (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0046.html

INTERVIEW/047: Burg Waldeck - Musizieren Furcht verlieren ...    Amei Scheib im Gespräch (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/muri0047.html

7. August 2015


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