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INTERVIEW/017: Von unten nach oben und niemals zurück (SB)


Interview mit Heinz Ratz von Strom & Wasser am 13. Januar 2013 in der Volksbühne Berlin


Strom & Wasser in der Volksbühne Berlin - Foto: © 2013 by Schattenblick

Strom & Wasser beim Jahresauftakt der Partei Die Linke
Foto: © 2013 by Schattenblick

7000 Kilometer reiste Heinz Ratz, Frontmann der Band Strom & Wasser, 2011 per Rad quer durch Deutschland, um durch eigenen Augenschein und Gespräche das Schicksal von Asylsuchenden in deutschen Flüchtlingsheimen kennenzulernen. Was eine "Tour der tausend Brücken" werden sollte, geriet zu einer Begegnung mit zerbrochenen Träumen. Angesichts erschütternder hygienischer Mißstände, durch Gitter und hohe Zäune erzwungener Isolation und gesellschaftlicher Ausgrenzung infolge von Arbeitsverbot und Residenzpflicht stellten die Asylunterkünfte nichts anderes dar als Quartiere der Not. Vor allem aber traf der Musiker auf Menschen, die in ständiger Furcht vor Abschiebung zuweilen jahrelang in Enklaven existentieller Verlassenheit hausten und denen durch das Asylbewerberleistungsgesetz jede Möglichkeit genommen war, nach den Strapazen und Schrecknissen ihrer Flucht in Deutschland ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit und Würde zu führen, wie es im Grundgesetz als unumstößliches Menschenrecht verankert ist.

Schon zuvor hatte Ratz durch politische Aktionen und Auftritte auf die menschenunwürdigen Lebensbedingungen von Obdachlosen aufmerksam gemacht oder für regionale Artenschutzprojekte Spenden gesammelt und geworben. Unzumutbare Notlagen durch Diskriminierung und Armut zu beseitigen, ist für Ratz immanenter Ausdruck einer Menschlichkeit, die es insbesondere in Zeiten zunehmender gesellschaftlicher Verhärtung und Atomisierung streitbar zu bewahren gilt. Weil unter den Flüchtlingen viele Musiker waren, die aus ihren Heimatländern vor Krieg und politischer Verfolgung fliehen mußten, in Deutschland jedoch an der Ausübung ihrer Kunst gehindert werden, rief Ratz das Projekt "Refugees" ins Leben. Viele bürokratische Hürden und Hemmnisse galt es aus dem Weg zu räumen, ehe eine aus Flüchtlingen aus ganz Deutschland zusammengestellte Truppe in Hamburg eine CD produzieren und seit Jahresbeginn zusammen mit Strom & Wasser auf Tour gehen konnte. [1]

Ratz ist es aus Eigeninitiative gelungen, die Ketten der Anonymität, in denen Flüchtlinge und Asylsuchende hinter Mauern und Paragraphen gehalten werden, zu zerreißen. Sie mit auf Tour zu nehmen und ihnen zumindest auf musikalischem Wege die Chance einzuräumen, ihre Menschlichkeit im Austausch mit anderen zu leben, ist mehr als ein Ausdruck künstlerischer Freiheit. Es ist darüber hinaus ein Aufbruch und politisches Aufbegehren gegen jede Form sozialer Unterdrückung und inhumaner Delegitimierung. Wie die Flüchtlingskarawane in die Bundeshauptstadt im letzten Jahr gezeigt hat, ist aktiver Protest oft das einzige und letzte Mittel, das Flüchtlingen bleibt, um über solidarische Mobilisierungseffekte die längst überfällige Aufhebung des repressiven Charakters des deutschen Asylrechts einzufordern.

Beim Auftritt in der Volksbühne Berlin - Foto: © 2013 by Schattenblick

Heinz Ratz stellt die Band vor
Foto: © 2013 by Schattenblick

Das Lied war schon immer eine Stimme des politischen Protestes gegen Ausbeutung und Unterdrückung gerade für diejenigen gewesen, die sonst keine Stimme haben. In dieser widerständigen Tradition stehend spielen Strom & Wasser Musik von unten, in der viele Stilformen von Folk bis zum Punk aufeinandertreffen, um die Ohnmacht zu erschüttern, die Menschen durch administrative Strukturen und Sanktionen aufgeherrscht wird. Laut eigenen Angaben spielt die Band "akustischen Randfiguren-Skapunkpolkarock", um auf diese Weise zu unterstreichen, daß sie nicht bereit ist, ihr Anliegen in eine stilistische Schublade packen zu lassen. Die Texte des radikalpoetischen Quergeistes Ratz sind nicht selten roh und elementar, eben weil ihnen das karitative Talmi eines Mitgefühls fehlt, daß sich desto demonstrativer in Szene setzt, als die Distanz zu den Betroffenen wächst, um die Sicherheit des eigenen Fluchtweges nicht zu gefährden. Darin zeigt sich eine Radikalität, die mit viel Wortwitz und Poesie tief in soziale Wunden greift, um die Posen und Bilanzen der Gewinner in der Bescheidenheit ihres durchsichtigen Kalküls kenntlich zu machen. Neoliberale Lügen verschanzen sich gern hinter Allerweltsweisheiten, um vergessen zu machen, daß ihre Freiheit nach Stacheldraht schmeckt.

Ratz' Metier ist der unverblümte Angriff auf die gesellschaftlichen Auswüchse von Rassismus, Repression und Kapitalismus, den er mal ironisch, mal punkig-brachial unterfüttert. Dabei zieht sich der Blick von unten wie ein roter Faden durch seine Lieder. "Die Armut hat Kraft", denn niemand ist dazu verdammt, sich fremden Interessen zu beugen, im Kriegsfall vor den Särgen getöteter Familienangehöriger zu salutieren oder den millionenfachen Schrei nach Hunger mit dem Grunzton satter Bäuche zu übertönen. Liedermacher seines Schlages sichern eine Kontinuität linken Liedgutes, das verständlich macht, wieso die gefällige Dauerbefriedung popkultureller Endlosrotation mit derart grellen und aufwendigen Mitteln in die Gehörgänge und Gehirnwindungen der Menschen gedrückt wird - man will vergessen machen, daß der Mensch Grenzen überschreiten kann, die das häufig kolportierte Credo des Homo oeconomicus, daß jeder seinen Preis habe, null und nichtig macht.

In der Volksbühne Berlin - Foto: © 2013 by Schattenblick

Strom & Wasser mit Rapper Abdolhosain Amini
Foto: © 2013 by Schattenblick

Am 13. Januar traten Strom & Wasser im Rahmen des Jahresauftaktes der Partei Die Linke in der Volksbühne Berlin auf. Auf einen akustischen Set folgte nach diversen Redebeiträgen von Politikerinnen und Politikern der Europäischen Linken ein Stück aus dem aktuellen Programm des Projekts "Refugees", bei dem der 18jährige Abdolhosain Amini aus Afghanistan rappte. Von Heinz Ratz als Flüchtling vorgestellt, der die EU in Griechenland erreichte, nachdem er unter gefährlichen Bedingungen durch den Iran und die Türkei gereist war, brachte Abdolhosain das Publikum mit einem zornigen Text, den die Band mit einem treibenden Funkrock unterstützte, in Bewegung. Am überaus guten Ergebnis der anschließenden Sammlung für das Projekt "Refugees" war zu erkennen, daß die Botschaft direkt ins Herz ging.

Nach dem Ende der Veranstaltung ergab sich die Gelegenheit, Heinz Ratz einige Fragen zu stellen.

Im Gespräch - Foto: © 2013 by Schattenblick

Heinz Ratz
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: Heinz, könntest du das Projekt "Refugees" einmal vorstellen?

Heinz Ratz: Wir haben 2011 knapp 80 Flüchtlingslager in Deutschland besucht und waren total entsetzt von den Zuständen dort. Schließlich haben wir überlegt, was wir noch Schönes aus all diesem Elend machen können. Wir haben ganz viele phantastische Musiker getroffen, teilweise von Weltklasse-Format, die da vor sich hinvegetieren ohne Instrumente und der Möglichkeit, reisen und auftreten zu können. Deswegen haben wir sie nach Hamburg eingeladen und mit ihnen eine CD aufgenommen. Dieses Jahr gehen wir ab dem 27. Februar auf Deutschlandtournee.

SB: Seid ihr dann immer mit unterschiedlichen Musikern unterwegs?

HR: Wir haben eigentlich immer mindestens acht Flüchtlingsmusiker bei uns. Es gibt ein festes Team, bestehend aus drei schwarzafrikanischen Musikern aus der Elfenbeinkünste und Gambia, einem jungen russischen Hip-Hopper, einem Afghanen und einer Frau aus Griechenland, die zwar kein Flüchtling ist, aber ganz eng damit zu tun hat, sowie zwei Roma-Musikern. Wir leben praktisch Flüchtlingsgeschichte. Nicht alle kriegen immer eine Reisegenehmigung. Das ist schon ein Problem, aber in der Regel sind wir ziemlich viele.

SB: Wie hat sich die Zusammenarbeit auf den musikalischen Stil von Strom & Wasser ausgewirkt?

HR: Wir haben uns ein bißchen angeglichen, aber ohne groß in ihre Musik einzugreifen. Es sind ihre Lieder. Wir spielen nach ihren Vorstellungen. Natürlich bringen wir uns selber hin und wieder mit ein, aber es geht nicht darum, uns da einzumischen, sondern es geht darum, für die Flüchtlinge da zu sein. Also, das Projekt hat uns jetzt nicht besonders beeinflußt. Wir machen eigentlich andere Musik und werden auch später wieder andere Musik machen.

SB: Ist das Funkige und Groovige, was ihr heute gespielt habt, für euch repräsentativ?

HR: Die deutschen Songs, die du am Anfang gehört hast, sind für uns repräsentativ. Der Hip-Hop ist, wie man ja auch gemerkt hat, stilistisch ganz anders, eher so die Musik, die die Refugees machen.

SB: Ihr seid in Hinsicht auf politische Musik in der Masse der Musiker in Deutschland eher eine Ausnahmeerscheinung. Wie erklärst du dir, daß viele Musiker die Möglichkeit, gesellschaftlich einzugreifen und politisch Stellung zu beziehen, gerade in der deutschen Sprache so selten nutzen?

HR: Ich glaube, weil sie kein Interesse daran haben. Die Musiker sind wie überhaupt die meisten Leute in der Gesellschaft einfach damit beschäftigt, ihr Ego schönzubürsten. Natürlich sind Musiker und Künstler besonders anfällig für Eitelkeiten. Unsere Gesellschaft ist ja danach ausgerichtet, daß man vor allem selber möglichst viel konsumieren soll. Es sind schlicht gierige Werte, die heutzutage vorherrschen, und außerdem hat man mit Politik eigentlich nur Nachteile. Man hat nicht so schnell Erfolg und wird, wie auch immer begründet oder nicht, kurzerhand als Gutmensch abgestempelt. Es ist einfach nicht chic und in, politisch zu sein.

SB: Gebt ihr eure Lieder im Selbstverlag heraus?

HR: Wir haben ein kleines, sehr engagiertes Plattenlabel, Traumton mit Sitz in Berlin-Spandau, die eigentlich Welt- und Jazzmusik veröffentlichen und politisch hinter uns stehen. Sie unterstützen unsere Arbeit voll und ganz.

SB: Könntest du noch einmal erklären, wie ihr auf euren originellen Bandnamen Strom & Wasser gekommen seid?

HR: Wenn ich ganz ehrlich sein soll, ich habe die Gründe vergessen. Ich habe ihn meiner damaligen Freundin vorgeschlagen, und sie fand ihn total doof. Daraufhin habe ich mich entschlossen, ihn zu nehmen. Man könnte natürlich sagen, Wasser und Strom seien die Fundamente der Zivilisation, aber das wäre natürlich eine durchaus gefährliche Mischung. Irgendwie fand ich den Namen ganz gut. Und irgendwann kannst du den Namen nicht mehr wechseln, weil du damit bekannt geworden bist.

SB: Wie erlebt ihr die Resonanz auf eure Lieder, wenn ihr auf Tour seid? Gibt es deiner Meinung nach ein Interesse an deutschsprachiger Rock- und Popmusik, auch mit inhaltlichem Tiefgang?

HR: Obwohl wir keine große Plattenfirma hinter uns haben, kommen bei unseren bundesweiten Auftritten im Schnitt 200 bis 300 Leute in die Klubs. Nun ja, hin und wieder spielen wir auch vor einem leeren Saal, aber in aller Regel schlägt uns ein großes Interesse entgegen. Damit es sich kommerziell lohnt, müßte man eigentlich mehrere Millionen an Werbung investieren. Insofern, denke ich, ist das auch unserer Beharrlichkeit zuzurechnen - wir machen seit zehn Jahren Musik. Aber die Leute haben die ganzen hohlen Phrasen satt und merken auch, daß sie von der hohen Politik dauernd angelogen werden. Insofern gibt es schon einige, die nach Antworten suchen, aber die große Masse betrifft das natürlich nicht. Die geht dann eher zu solchen Events, auf denen Dieter Bohlen irgendwo öffentlich eine Krawattensammlung präsentiert. Dann ist das zehnmal so voll wie bei uns, aber es gibt trotzdem genug Leute mit Gehirn. Auch wenn sie uns nicht unbedingt toll finden, hören sie sich unsere Musik zumindest einmal an. Und das ist schon ganz gut.

SB: Spielt ihr auch auf Demos?

HR: Eigentlich ständig. Wir haben viel gegen rechts gespielt. Im Moment widmen wir uns halt dieser Flüchtlingsproblematik, aber das kann man eigentlich auch als eine große Demo auffassen.

SB: Heinz, danke für das Gespräch.

Ruderboot auf dem Trockenen - Foto: Strom & Wasser - http://www.traumton.de/label/releases/?id=226&lang=de

CD-Cover des "Refugee"-Projektes
Foto: Strom & Wasser

Fußnoten:
[1] Termine Lagertour 2013 Strom & Wasser feat. THE REFUGEES http://www.strom-wasser.de/stromundwasser2009/tourdaten.html

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/politik/report/prbe0141.html


31. Januar 2013