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INTERVIEW/007: Hommage an Mikis Theodorakis - Konstantin Paraskevaidis, Auslandsgrieche und Publizist (SB)


"Mikis Theodorakis ist eine Ikone für jeden Griechen"

Interview mit Konstantin Paraskevaidis im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg am 1. April 2012


Wandzettel mit der Aufschrift 'Mikis Theodorakis - Du bist Griechenland' - Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Theodorakis-Matinee - angekündigt an der Wand des Deutschen Schauspielhauses
Foto: © 2012 by Schattenblick

"Mikis Theodorakis - Du bist Griechenland" - unter diesem Titel fand im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg am 1. April 2012 eine Matinee zu Ehren des griechischen Sängers und Komponisten, früheren Widerstandskämpfers, Politikers und bis heute streitbaren Zeitgenossen statt, in der es den Veranstaltern und Mitwirkenden gelungen war, die in der Person des weltweit bekannten und geachteten griechischen Künstlers verkörperte Verbindung zwischen musikalischem und politischen Engagement nachvollziehbar und miterlebbar zu machen. [1] Erklärtermaßen galt die Hommage an den Künstler Theodorakis zu einhundert Prozent auch der Solidarität mit dem griechischen Volk, das wie kaum ein zweites unter die Räder einer EU-gesteuerten Verwertungsmaschinerie gebracht wurde, deren polit-moralische Bezichtigungen und Diffamierungen in demselben Maße gesteigert werden, wie der reale, Sozialabbau und Massenarmut begründende und befördernde Raubbau vorangetrieben wird.

In dem bis auf den letzten Platz vollbesetzten großen Haus des Hamburger Schauspielhauses lauschten rund fünfhundert Menschen mit großem Interesse und angesichts des sensibel und pointiert inszenierten Gesamtprogramms anwachsender Betroffenheit, um nicht zu sagen Ergriffenheit, den Darbietungen. Es waren zwei Stunden, die die Welt, zumindest in diesem Rahmen, zu verändern schienen, stellte sich doch alsbald eine Atmosphäre oder vielmehr Realität ein, in der die anfängliche Trennung zwischen Publikum und Künstlern aufgehoben zu sein schien bzw. einer Verbindlichkeit gewichen war, die von einer wohl von allen Anwesenden erlebten und mit Leben erfüllten Symbiose zwischen politischer Stellungnahme und künstlerischem Ausdruck getragen war.

Ganz unter diesem Eindruck hatte der Schattenblick die Gelegenheit, im Anschluß an die Matinee mit dem in Deutschland lebenden Griechen Konstantin Paraskevaidis ein Gespräch zu führen. Herr Paraskevaidis war lange Zeit als Gastronom tätig und ist heute Herausgeber und Chefredakteur des Magazins "Die Griechische Botschaft" [2], einem zweimonatlich im Raum Hannover in deutscher Sprache erscheinenden Periodikum, das in Deutschland lebende Griechen der zweiten und dritten Generation ebenso informieren will wie die deutschen Freunde Griechenlands.

Konstantin Paraskevaidis im Porträt - Foto: © 2012 by Schattenblick

Konstantin Paraskevaidis während des Interviews im Schauspielhaus
Foto: © 2012 by Schattenblick

Schattenblick: Zunächst einmal würde ich gerne wissen, wie Sie die aktuelle Lage einschätzen?

Konstantin Paraskevaidis: Griechenland ist sehr flexibel. Wenn Sie jetzt wissen wollen, ob Griechenland aus der Krise herausgeführt wird - da bin ich definitiv sicher, daß es das wird.

SB: Wichtig ist auch die historische Entwicklung. Kommen wir doch einmal auf die Geschichte Griechenlands zu sprechen, die eigentlich von der deutschen Okkupation im Zweiten Weltkrieg und einer Auseinandersetzung, die nie wirklich aufgehört hat - erst der Bürgerkrieg, später die Junta -, geprägt ist. Wie sehen Sie die Zusammenhänge zwischen der aktuellen Krise und den historischen Wurzeln?

KP: Dazu habe ich in meinem Magazin einen ganzen Artikel verfaßt. Wir müssen noch viel weiter zurückgehen. Es reicht nicht, zum Zweiten Weltkrieg Stellung zu beziehen. Griechenland ist ein gebeuteltes Land, und das schon seit 500 Jahren. Den meisten Menschen gerade hier in Deutschland ist das nicht bewußt, weil die Medien es leider nicht so wiedergeben, daß Griechenland eigentlich erst seit 1974 überhaupt ein freies Land ist. Das heißt, wir sind noch ein ganz junges Volk, das erst einmal mit diesen Wirtschaftsmächten, mit denen wir zu kämpfen haben im Augenblick, zurechtkommen muß. Erst seit 1974 haben wir die Demokratie, seit 1981 sind wir in der EWG, seit 2002 im Euro-Raum - meiner Meinung nach alles viel zu früh. Was andere Länder in vielen, vielen Jahren aufbauen konnten, haben wir innerhalb kürzester Zeit schaffen müssen. Im Grunde genommen stecken wir noch in den Kinderschuhen. Das ganze System, das wir hier in Deutschland haben, beispielsweise das Krankenkassensystem, gibt es in Griechenland nicht.

Die Problematik in Griechenland ist viel komplexer, als sie hier dargestellt wird. Das heißt, wir müssen Strukturen zerschlagen, die über 500 Jahre lang gewachsen sind. Jeder mußte zusehen, wo er bleibt. Das war natürlich während der Osmanischen Herrschaft bis 1821 so, in Nordgriechenland sogar bis 1910, dann im Ersten Weltkrieg, im Balkankrieg, im Zweiten Weltkrieg und schließlich im Bürgerkrieg. Zwischendurch gab es immer wieder Diktaturen, schließlich die Monarchie und dann, in den 1960ern noch einmal die Diktatur bis 1974. Seitdem sind wir eigentlich erst ein freies Land. Wenn man das einmal nachvollzieht, dann kann man vielleicht verstehen, warum Griechenland den Karren in den Dreck gefahren hat.

SB: Man könnte von der Geschichte Griechenlands sagen, es sei eine politische Auseinandersetzung zwischen rechts und links gewesen, bei der die Kräfte der Rechten verhindern wollten, daß das Land kommunistisch oder sozialistisch werden könnte, und die nie wirklich aufgehört hat. Wie sehen Sie das?

KP: Diese Auseinandersetzung gibt es in jedem Land, das betrifft nicht speziell Griechenland. Wenn wir jetzt aber auf die wirtschaftlichen Fakten zurückkommen, dann hat es gar keine Rolle gespielt, ob die Linken oder die Rechten dran waren, also die Sozialisten der PASOK oder die Néa Dimocratía. Die hätten beide das Gleiche getan. Die Obrigkeit war also durchwachsen mit Korruption, und das Volk badet das jetzt im Augenblick aus, obwohl es eigentlich nicht den Karren in den Dreck gefahren hat. Deswegen gehen wir natürlich auch auf die Straße. Aber es hat, glaube ich, nichts mit links und rechts zu tun, nicht in unserem Fall.

SB: Ich würde bei links und rechts jetzt auch nicht zwischen PASOK und Néa Dimocratía den Unterschied machen, sondern eigentlich eine grundsätzlichere Infragestellung der herrschenden Kräfte thematisieren wollen, wie beispielsweise auch die kommunistische Bewegung in Griechenland eine Unabhängigkeit vom Kapitalismus angestrebt hat. Wenn man jetzt zurückgeht zum Zweiten Weltkrieg, war es doch so, wenn ich richtig informiert bin, daß es eine Übereinkunft zwischen Hitler und Churchill gegeben hatte, um zu verhindern, daß Griechenland kommunistisch werden könnte. Die griechischen Volksbefreiungskräfte waren so stark, daß die deutsche Wehrmacht so lange in Griechenland ausgeharrt hat, bis die Briten da waren. Ist es nicht eine Ungeheuerlichkeit, daß es zwischen den Kriegsgegnern eine Allianz gab, um zu verhindern, daß in Griechenland eine sozialistische Entwicklung hätte möglich werden können?

KP: Ja, das ist richtig. Und wenn man so will, haben die den Bürgerkrieg sogar noch weiter angefacht.

SB: Wäre der sogenannte Bürgerkrieg insofern eine Fortsetzung dieser Auseinandersetzung aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges?

KP: Der Bürgerkrieg kam erst durch den Zweiten Weltkrieg zustande. Die Lunte dafür hat tatsächlich die deutsche Besatzungsmacht gelegt.

SB: Die Geschichtsschreibung ist da wohl ein bißchen interessengebunden, so daß man das heute eher trennt und sagt: Von dann bis dann war der Zweite Weltkrieg und danach kam von dann bis dann der Bürgerkrieg.

KP: Die sind nahtlos ineinander übergegangen. Der Bürgerkrieg hat schon während des Zweiten Weltkriegs angefangen. Das hört man hier nur nicht so gerne.

SB: Ist es nicht heute wegen der aktuellen Entwicklung gerade wichtig, diese Seite der Geschichte Griechenlands einmal deutlich zu machen?

KP: Ähnliche politische Entwicklungen hat auch Deutschland mitgemacht in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Denn Deutschland sollte auch zum Agrarstaat umfunktioniert werden, weil die alliierten Kräfte die Befürchtung hatten, daß Deutschland womöglich in das kommunistische Lager abwandern könnte. Die Hilfe kam erst, als diese Gefahr abgewendet war, dann erst wurde der Marshallplan aufgerufen. Das aber ist auch genau das, was Griechenland jetzt bräuchte. Ich bin überhaupt nicht damit einverstanden, daß Milliarden Gelder nach Griechenland fließen, die dem Land gar nicht zugute kommen und schon gar nicht der wirtschaftlichen Entwicklung. Im Endeffekt werden die Hedgefonds bedient, die Zinsen und all die Darlehen, die wir zuvor ungerechtfertigterweise bekommen haben.

SB: In den Redebeiträgen heute wurde deutlich, welche Rolle dabei die Waffengeschäfte gespielt haben. Daß nun diese Schulden bedient werden, mutet aberwitzig an.

KP: Die Waffengeschäfte spielen eine sehr große Rolle. Wir haben erst letzten Monat Waffenlieferungen aus Deutschland bekommen, obwohl wir hoch verschuldet sind und die gar nicht bezahlen können. Trotzdem haben wir sie bekommen. Natürlich werden damit die Arbeitsplätze hier in Deutschland gesichert, nur das entgeht den meisten Bürgern hier. Ich glaube, Ende Januar stand ein großer Artikel in der ZEIT, daß da Panzer nach Griechenland geliefert wurden, die eigentlich gar nicht bezahlt werden können. Das ist, wenn man so will, Machiavellismus. Wenn man dann noch sieht, daß die deutschen Waffenexporte zu 13 Prozent an Griechenland gehen und zu 14 Prozent an die Türkei, die doch eigentlich, wie auch Deutschland, NATO-Partner sind, ist da doch wohl irgendwo Machiavellismus drin, oder nicht? Wir haben bei 10 Millionen Einwohnern 100.000 Soldaten, während Deutschland bei 82 Millionen nur 200.000 hat. Das ist also ein Vielfaches, was wir an Militär haben. So wird Angst geschürt, wohinter natürlich wirtschaftliche Interessen stecken.

SB: Vielleicht eine etwas prekäre Frage, aber wie würden Sie die Souveränität der griechischen Regierung heute einschätzen?

KP: Die wird, wenn es so weiter geht, von der EU ausgeübt. Darauf läuft es doch hinaus, deswegen gehen die Leute auch auf die Straße.

SB: Es wird als größter anzunehmender Unfall oder schlicht Katastrophe dargestellt, würde Griechenland aus der Eurozone, möglicherweise auch aus der Europäischen Union, austreten. Das sind aber eigentlich nur Annahmen. Wie würden Sie dazu stehen, würde diese Option in Erwägung gezogen werden?

KP: Da ist man zweigeteilt in Griechenland, man könnte wirklich sagen "fifty - fifty". Tatsache ist, daß es der Europäischen Union natürlich nicht recht ist, wenn Griechenland rausfliegt. Das wäre eine enorme finanzielle Belastung für die EU. Es ist nicht so, daß Griechenland unbedingt drin bleiben will, sondern es ist eher so, daß die EU uns nicht rauslassen will, denn irgendwie müssen die Schulden ja getilgt werden. Ich war seinerzeit, 2002, schon ein Gegner der Euro-Einführung in Griechenland - nicht, weil ich nicht an das System der EU glaube, sondern weil es einfach für Griechenland viel zu früh war. Griechenland hat mehr Wirtschaftskraft gehabt zu Drachmen-Zeiten, die Menschen waren an sich, was vielleicht auch ein interessanter Aspekt sein könnte, glücklicher. Sie hatten zwar nicht den Konsum von Luxusgütern, den sie jetzt haben, aber sie hatten auch keine Schulden. Das heißt, sie kamen sehr, sehr gut zurecht.

Das alles ist eigentlich erst durch die Euro-Einführung kaputtgegangen, als die Konsumgesellschaft sich so dermaßen verändert hat wie seinerzeit die DDR, als sie zur D-Mark gewechselt ist. Ich hatte damals das erste griechische Restaurant in Gotha, und da habe ich hautnah miterlebt, wie die Leute in die Pleite getrieben wurden bzw. in die Schuldenfalle getappt sind, nämlich indem sie einfach ohne Schufa- und Creditreform-Auskunft Kredite in jeder Höhe bekommen und damit natürlich erst einmal ihre Häuser renoviert und sich Autos und Klamotten, alles, was ihnen jahrelang gefehlt hat, gekauft haben. Das ist ein guter Vergleich zu Griechenland, ähnlich ist es bei uns passiert. Man konnte damals nicht einfach einen Flachbildfernseher kaufen oder ähnliches, das ging nicht. Der hätte das Dreifache gekostet, weil es eine Luxussteuer darauf gab. Seit der Euro- Einführung bekommt man so etwas, auf gut deutsch gesagt, "für'n Appel und 'n Ei", und vor allen Dingen auch auf Kredit.

SB: Wurde denn bei der Einführung des Euro, mehr oder minder massiv, Druck ausgeübt? Ist der Beitritt zur Eurozone vom griechischen Parlament abgesegnet worden?

KP: Ja, auf jeden Fall, auch vom ganzen Volk. Das ist, um noch einmal diesen Vergleich zu ziehen, ähnlich gewesen wie mit der DDR. Da haben auch alle gejubelt, als es zur Wiedervereinigung kam, und dann hieß es: Oh, wir sind jetzt in einem kapitalistischen Land (lacht), können uns alles leisten und sind frei. So ähnlich haben die Griechen natürlich auch reagiert. Sie haben sich natürlich gefreut, daß sie mit dem Euro jederzeit überall hinreisen und sich alle möglichen Luxusgüter, die sie bis dahin nicht hatten, leisten konnten. Das war schon eine Schuldenfalle. Ich glaube, da wäre jeder reingetappt und gerade Griechenland, das wie gesagt erst seit 1974 überhaupt frei ist, umso mehr. Die Griechen hatten einfach diesen Nachholbedarf an Waren und Gütern, die sie vorher nicht haben konnten. Da hat man neidisch auf Europa geguckt, auch darauf, wie toll es hier uns Auslandsgriechen ging. Wenn wir dann in Urlaub gefahren sind, dann waren die regelrecht neidisch darauf, wenn wir mit tollen Autos kamen oder auch 'mal einen Videorekorder oder irgendetwas als Geschenk mitbrachten, wie man es eben mitnimmt in die Heimat. Und dann, auf einmal, brauchten sie sich das nicht mehr zu erbetteln oder so, sondern konnten sich das alles kaufen. Also standen sie auch zu 100 Prozent hinter dem Euro. Die Folgen dessen, daß das alles nur Kredit ist, war niemandem so richtig bewußt. Das war das große Problem, und das meine ich mit "Schuldenfalle". Die Griechen sind in die Falle getappt.

SB: Eine Falle, die ihnen sicherlich, um es einmal so zu formulieren, absichtlich gestellt wurde.

KP: Definitiv! Wir dürfen nicht vergessen, daß Deutschland seinerzeit, um nur einmal ein Beispiel zu nennen, weil wir ja nun einmal hier leben, weltweit Fünfter im Export war. Jetzt sind wir Exportweltmeister. Das kommt nicht von ungefähr, sondern natürlich dadurch, daß man kleine Länder wie Griechenland, die natürlich Konsumgüter aus Deutschland aufsaugen, mit hineingenommen hat. Da gingen die Exporte hier natürlich entsprechend los. Da die kleineren Länder sich diese Produkte aber nicht leisten konnten, gab es natürlich Kredite, die hier so gerne als Hilfen dargestellt werden. Aber: Das sind keine Hilfen, das sind Kredite! Ich weiß nicht, was es an dem Wort "Kredit" nicht zu verstehen gibt. Den muß man verzinst zurückzahlen. Es wurden Waren nach Griechenland geliefert - nicht nur aus Deutschland, auch aus Frankreich und natürlich oft auch Waffen - auf Kredit, wobei man hierzulande eigentlich schon damals wußte: Das können die Griechen mit ihrer Wirtschaftskraft und ihrem Bruttosozialprodukt und dem, was sie da einnehmen, doch gar nicht zurückzahlen. Das ist gar nicht machbar gewesen, was den Leuten hier schon bewußt gewesen sein muß, als sie damals die Kredite großzügig verteilten. Wahrscheinlich war ihnen aber auch bewußt: Wenn es einmal kracht, müssen alle zahlen, und schon sind die Kredite gerettet. Jetzt haben wir ja im Endeffekt diesen sogenannten Rettungsfonds. Dieser Zusammenhang muß denen aber damals schon bewußt gewesen sein.

SB: Diese Verschuldung ist jetzt der Sachzwang, wie ich es einmal formulieren möchte, um einen Sozialabbau durchzuführen, der alles zerstört, was an Entwicklung vielleicht einmal da gewesen ist. All die Versprechen und Hoffnungen, die man sich in Griechenland sicherlich durch den EU-Beitritt gemacht hat, werden damit konterkariert.

KP: Ja, wir werden zurückgestoßen. Die Wirtschaft ist rückläufig, wenn Sie das meinen, und wird auch nicht wieder aufgebaut werden können, solange wir nicht investieren. Was wir also in Griechenland brauchen ist nicht die Troika, sondern ein Marshall-Plan, wie ihn Deutschland damals bekommen hat. Das heißt Hilfen, Hilfen im wahrsten Sinne des Wortes, und zwar, indem in die Wirtschaft investiert wird. Ansonsten gibt es keinen Ausweg für Griechenland.

SB: Wenn Sie eine persönliche Prognose wagen wollten, wie es in fünf, vielleicht zehn Jahren um Griechenland bestellt ist, wie sähe die aus?

KP: Ich glaube an die Griechen. Es ist ein sehr fleißiges Volk im Gegensatz zu der Meinung, die hier in den Boulevardblättern kolportiert wird. Die Griechen sind sehr flexibel, sie kommen in guten wie in schlechten Zeiten durch und werden nicht aufhören, zu tanzen und zu feiern (lacht). Man wird die Griechen damit nicht ändern können. Natürlich ist es jetzt schmerzhaft, 25 oder 30 Prozent weniger Geld im Portemonnaie zu haben. Wenn man bedenkt, daß das in Deutschland nicht gehen würde! Da würden noch mehr Leute auf die Straße gehen. 25 oder 30 Prozent von einem Grundgehalt von 500 Euro, das ist enorm, wenn man bedenkt, daß die Lebenshaltungskosten in Griechenland höher sind als in Deutschland. Das heißt, ein Kaffee kostet dort vier Euro, hier bezahlt man zwei. Das muß man sich einmal vorstellen! Brot, Milch, alle Dinge, die man nicht umgehen kann, die man eben zum täglichen Bedarf braucht, sind wesentlich teurer als in Deutschland. Also wie soll man da mit 300 oder 400 Euro auskommen?

SB: Eine letzte Frage noch: Ist es in der griechischen Regierung Ihres Wissens nach jemals in Erwägung gezogen worden, wirtschaftliche Beziehungen zu außereuropäischen Ländern aufzubauen? Ich denke da an Lateinamerika und die ALBA-Staaten, die in ihrem Rahmen eine, nennen wir es einmal so, tatsächlich solidarische Wirtschaftspolitik betreiben. Oder ist ein solcher Gedanke angesichts der bestehenden Verbindlichkeiten völlig illusionär?

KP: Angesichts der Verbindlichkeiten und bestehenden Verträge ist das gar nicht machbar. Das wäre aber auch kein Gedanke, der von der Regierung ausgesprochen werden würde, von der kommunistischen Seite schon. Da gab es sowieso schon seit langem den Gedanken, sich abzukapseln und mehr oder weniger an den Ostblock zu halten, den es ja auch nicht mehr gibt. Aber offizielle Gedankengänge sind das heute nicht.

SB: Das wäre dann wohl eher eine Idee, die in einer innergriechischen Auseinandersetzung, in der grundsätzliche Fragestellungen diskutiert werden, thematisiert werden könnte.

KP: Ja, da wird in Griechenland noch viel geschehen. Diese Problematik ist noch lange nicht erledigt, auch innenpolitisch wird da noch einiges passieren.

SB: Und wie sehen Sie die Bedeutung von Mikis Theodorakis? Er ist ein Volksheld, ganz klar, aber auch ein Widerstandskämpfer der ersten Stunde, der noch heute kritisch seine Stimme gegen die aktuelle Politik erhebt.

KP: Mikis Theodorakis ist eine Ikone für jeden Griechen, und wenn wir ein paar mehr davon hätten, dann hätten wir nicht dieses Dilemma, das wir heute haben.

SB: Ich bedanke mich sehr für dieses Gespräch.

Bühnenbild 'Mikis Theodorakis - Du bist Griechenland' von oben - Foto: © 2012 by Schattenblick

Mikis Theodorakis füllt das Große Haus des Deutschen Schauspielhauses
Foto: © 2012 by Schattenblick

Fußnoten:

[1]‍ ‍BERICHT/005: Hommage an Mikis Theodorakis - "Du bist Griechenland" (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/musik/report/murb0005.html

[2]‍ ‍"Die Griechische Botschaft", Das Magazin für Griechen und Freunde Griechenlands
http://www.magazin-botschaft.de


20.‍ ‍April 2012