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HINTERGRUND/157: Genderdiskurse am Beispiel kubanischer Perkussion und Musik (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 110, 4/09

Female Drums
Genderdiskurse am Beispiel kubanischer Perkussion und Musik

Von Lucia Mennel


Musikinstrumente und die Art sie zu spielen definieren nicht nur Ränge und Hierarchien, sondern reflektieren auch Status und Werte der Geschlechter. Im folgenden Beitrag wirft die Autorin einen Blick auf Geschichte und Gegenwart des kubanischen Musikgeschehens und auf die damit verbundene Rollenverteilung der Geschlechter.


"Que viva Changó - Santa Barbara, bendita!" "Möge Changó leben - gebenedeite heilige Barbara!" So lautet der Text des von Celina Gonzales komponierten und vielfach interpretierten Liedes, das kubanische Religiosität und kreolische Musikalität in ihrem Zusammenwirken afrikanisch philosophischer und spanisch katholischer Komponenten repräsentiert. Trommeln und Gitarre könnten gleichfalls als Symbole für das Musikspektrum Kubas stehen. Als Resultat karibischer, europäischer, afrikanischer, asiatischer und amerikanischer Kulturkontakte von kreativen Individuen und Gruppen entstanden Musikformen wie Son, Danzón, Chachachá u.a., deren Namen oft analog für Tanzstile stehen. Der Heterogenität und Doppelstruktur entsprechen auch exemplarische Kombinationen wie Bolero-Son, Son-Guaracha, Jazz-Trova und Timba-Rap. Aktuell wird in den Städten und Diskotheken Kubas vor allem Reggaetón in der kubanischen Version des Cubatón gehört und dazu der Perreo getanzt.


Musik als geschlechtsrelevanter Spiegel

In Musikkulturen werden Geschlechterrollen erzeugt, konstruiert, repräsentiert und diskursiv verhandelt. In der kubanischen Praxis bedeutet dies, dass Frauen, Männer und Kinder musizieren. Es sind vor allem weibliche Familienmitglieder, die den Jüngsten der Gesellschaft die ersten Tanzschritte und musikalischen Gesten, Liedtexte und Melodien beibringen. Aufgrund der Bildungsreformen können sämtliche Musikinstrumente an Schulen, Konservatorien und Universitäten unabhängig von Geschlecht oder Ethnizität erlernt werden. Seit 1962 gibt es klassische und kubanische Perkussion sowie Folklore als Unterrichtsfach.

Zahlreiche nationale und regionale Musikinstitutionen wurden gegründet und die Musikschaffenden wurden zu Angestellten des revolutionären Staates. Über ein kategoriales Entlohnungssystem je nach Bildungsstand und Erfolgsgrad wurden sie staatlichen Musikunternehmen zugeteilt. Dem Vorteil der finanziellen Absicherung durch regelmäßige Auftritte, Bereitstellung von Instrumenten, Proberäumen und technischen Ausstattungen standen Produktionskontrolle und Ausdrucksfreiheit entgegen. Nach dem Wegfall der Austauschbeziehungen mit den ehemaligen Ostblockstaaten, mit dem boomenden Tourismus und mit der fortdauernden Krise ist es aber auch im Musikbereich zu entsprechenden Verschiebungen gekommen.


Frauen trommeln Batá

Obwohl sich die profanen von den sakralen Trommeln durch Spannmechanismen, Spieltechniken und Sakralisierungsprozesse im Rahmen des kubanischen Volksglaubens, der Santería, differenzieren, war es für kubanische Frauen vor 1991 nicht möglich, mit Batá-Trommeln im öffentlichen Raum aufzutreten. Durch die Nachfrage nach Batá-Unterricht seitens europäischer Touristinnen und durch die kulturökonomische Situation konnten aber die Trommler und Direktoren des Conjunto Folkóriko Nacional den Kubanerinnen diese Trommeln nicht länger vorenthalten. Von manch religiösem Experten werden Frauengruppen wie Obini Batá (ab 1991) oder Ibú Okun (ab 1994) bis heute als Tabubruch kritisiert und abgelehnt. Auffallend häufig finden sich bei den assoziativen Namensgebungen der Perkussionistinnen symbolische Archetypen für Weiblichkeit wie Flüsse und Meer, respektive die afrokubanischen Heiligen Ochún und Yemaya.

Auf der Ebene der musikalischen Zeichen und Bezeichnungen ergeben sich, wie in der Alltagssprache, je nach Kontext und Kompetenz mehrwertige Bedeutungen. Für die bimembranophonen Trommeln Batá sowie für Bongó, Congas oder Timbales werden jeweils geschlechtsspezifische Zuschreibungen von weiblich (hembra) und männlich (macho) gemacht. Timbales kann aber je nach Verwendung des Wortes zugleich männliche Testikel metaphorisieren. Mit der binären Geschlechterkodierung werden nicht nur die Klanghöhe, sondern auch Funktionen wie Improvisation oder Basisrhythmus, Klangqualität oder ganze Genres wie Salsa dura (harter Salsa) versus Salsa romántica (romantischer Salsa) unterschieden und gendermäßig zugeordnet. Generell entspricht der tiefere, weichere Klang den weiblichen und der höhere, härtere den männlichen Tönen.

Jedoch hängt die Codierung vom Grad der Transkulturation und Anpassung an europäische Wertvorstellungen ab. In der durch kurze Phrasierungen gekennzeichneten Musik mit starken Bantu-Einflüssen, beispielsweise der Rumba und des Mambo, übernimmt die Quinto-Trommel mit der hohen, also männlichen Stimme die Improvisation. An dieser Trommel orientieren sich auch die Tanzenden. In der Yoruba-Musiktradition, wie sie speziell für die Santería bekannt ist, entspricht die Zuordnung hingegen eher afrikanischen Konzeptualisierungen. Dem tiefen Klang der Muttertrommel Iyá obliegt die Sprechfunktion in der Konversation mit den beiden kleineren und höher gestimmten Trommeln Itótele und Okónkolo. Dass diese den Orishas (Gottheiten) Ochún, Yemayá und Changó zugeordnet werden, ist dabei nur ein weiterer Aspekt der komplexen Geschlechterverhältnisse.


HipHop, Rap und Cubatón

Die Bewegung des HipHop und Rap begann in der Latino-Musikszene der Bronx und mit Breakdance zur Musik von Michael Jackson. Nicht zuletzt fand sie über die GIs(1) in Guantánamo Bay mit audiovisuellen Medien ihren Weg in den 1990er Jahren zu den Jugendlichen der Region und in die Städte Santiago und Havanna. Seit 1995 finden in Kuba regelmäßig Rap-Festivals statt. Inzwischen wird von einer zweiten HipHop-Generation gesprochen. Tendenziell ist eine Abnahme der aktiven weiblichen Partizipation in der Szene zu beobachten. Der Sprechgesang wird gleichfalls von Artistinnen der Timba-Musik, der Trova und im Jazz eingesetzt. Derzeit erfreut sich vor allem Cubatón mit Gruppen wie Gente de Zona und Cola Loca unter anderem mit Liedern wie El Animal, Dále Sandunga, La Pandemia oder La Estafa del Babalao großer Beliebtheit. In den Reggaetón-Texten werden Tourismuseffekte, Emigration und Kommerzialisierung ebenso thematisiert wie sexuelles Begehren und erotisches Verhalten. Neben den männlichen Artisten finden sich wenige Frauen wie beispielsweise Yusa oder Haila. Letztere hatte unter anderen verschiedene Auftritte und Aufnahmen mit Eddy K. Haila, ist aber vor allem als Sängerin bei Bamboleo und aufgrund ihrer Solokarriere für andere Genres bekannt.

Im Gegensatz zu Bolero, Trova, Salsa oder Jazz ist die performative Präsenz der Frauen im Cubatón marginal. Ihre Funktion reduziert sich meist auf die der Chor- oder Telefonstimme bzw. als kurzfristige Tänzerin im Zuge eines erotischen Show-Wettbewerbes auf der Bühne. Ihre aktive Rolle ist die der weiblichen Provokation und tänzerischen Verführungskunst. Der tembleque, das Zittern am ganzen Körper, der despelote, das schnelle Rotieren mit den Hüften, das Auf und Ab des ganzen Körpers und andere typische Gesten kennzeichnen den Cubatón-Tanzstil. Gestylt in figurbetonten engen Dressen manifestiert sie nicht selten das Andere, das weibliche Du des/der Sänger/s. Sie wird zum Objekt der Begierde oder der Ablehnung als Verführerin, Bandolera oder Betrügerin. V.a. für kritische Ohren und europäische Wahrnehmungen wirkt Reggaetón meist monoton und sexistisch.

Frauen sind im Bereich des Rap seit Anfang der Bewegung mit Namen wie Instinto, Las Krudas oder Magia MC dabei. Mit der Band Obsesión artikuliert Magia MC den Afrostyle mit eigenen Positionen, weiblichen Referenzen und Themen; seit kurzem ist sie Direktorin der kubanischen Rap-Agentur (Agencia Cubana de Rap). Von Musikerinnen werden männliche Positionen diskursiv kritisiert und Geschlechterzuordnungen performativ in Frage gestellt. Die mangelnde Präsenz von Frauen in der globalen Musikindustrie des HipHop wird lokal mit mangelnden technischen Ressourcen, fehlender Anerkennung seitens männlicher Akteure, sozialen Vorurteilen und Mehrfachbelastungen durch Einkommensbeschaffung, Haushaltführung und Nahrungsversorgung begründet. Am Ende weiblicher Musikkarrieren auf der Insel stehen oft Resignation, Heirat oder Emigration. Nichts desto trotz gibt es in Kuba viele bekannte Komponistinnen, Musikwissenschafterinnen, Sängerinnen und erfolgreiche Musikerinnen von lokaler, regionaler und internationaler Bedeutung mit Namen wie Anacaona, Celia Cruz, Isolina Carrillo, Omara Portuondo, Sara Gomez oder Mayra Caridad Valdés.


Anmerkungen:
(1) GI: Infanteriesoldat der Vereinigten Staaten.


Literaturtipp:
Mennel, Lucia: Fe/male Drums: Genusdiskurse am Beispiel von Trommeln in Havanna (Wien 2005)

Zur Autorin:
Lucia Mennel arbeitet als freie Ethnographin und ist Preisträgerin des Premio internacional CUBADiSCO 2009 für die CD-Produktion "PARAMPAMPIN - Kinder & Karibik" (www.unartproduktion.at). Sie lebt in Wien.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 110, 4/2009, S. 12-13
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Senseng 3, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-406
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2010