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PFLEGE/399: Mehr Transparenz durch den Pflege-TÜV? (SoVD)


Sozialverband Deutschland - SoVD-Zeitung Nr. 7 / Juli 2009

Mehr Transparenz durch den Pflege-TÜV?

Sämtliche Heime und ambulanten Dienste sollen überprüft werden


Zum 1. Juli des vergangenen Jahres trat das sogenannte Pflege-Weiterentwicklungsgesetz in Kraft. Mit dieser Pflegereform 2008 sollte die Pflegeversicherung stärker auf die Bedürfnisse pflegebedürftiger Menschen und deren Angehöriger ausgerichtet werden. Beschlossen wurde zum einen die Einführung der Pflegezeit, deren Regelung auf einen Vorschlag des SoVD zurückgeht. Zum anderen soll der individuelle Pflegebedarf künftig nicht mehr nur an dem erforderlichen Zeitaufwand für einzelne Hilfestellungen bemessen werden (SoVD-Zeitung 3/2009, S. 1).
Eine weitere Regelung betrifft die Qualität der in Deutschland geleisteten Pflege: Wo werden hilfebedürftige Menschen gut versorgt, welcher Anbieter leistet schlechte Pflege? Um Betroffenen eine verlässliche Orientierung zu bieten, werden bis Ende 2010 alle Pflegeheime und ambulanten Pflegedienste in Deutschland überprüft, die Ergebnisse anschließend in Form von Schulnoten veröffentlicht. Ein wichtiger erster Schritt hin zu mehr Transparenz in der Pflege, der vom SoVD ausdrücklich begrüßt wird.


Für die Überprüfung von stationären und ambulanten Pflegeanbietern ist auch weiterhin der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) zuständig. Seit Juli 2008 führen MDK-Mitarbeiter unangemeldete Kontrollen durch, wodurch sich die Chance, Pflegemissstände auch tatsächlich aufzudecken, deutlich erhöht hat, da niemand im Vorfeld von einer bevorstehenden Prüfung unterrichtet wird. Bisher war es den Pflegekassen jedoch nicht erlaubt, die Prüfergebnisse auch zu veröffentlichen - schlechte Pflege konnte somit nicht eindeutig erkannt werden. Mit der Pflegereform 2008 wurde dieses Manko beseitigt.


Schlechte Zeiten für "schwarze Schafe"

Die Prüfergebnisse des MDK müssen nach der neuen Regelung sowohl durch die zuständigen Pflegekassen als auch durch die Pflegeanbieter selbst veröffentlicht werden. Im Interesse der Betroffenen schreibt der Gesetzgeber dabei vor, dass die Informationen "verständlich, übersichtlich und vergleichbar" sein müssen.

Auch der Umfang der Kontrolle ist von grundsätzlichen Änderungen betroffen: Wurden die Prüfer des MDK bisher nur gezielt und in der Regel aufgrund vorliegender Beschwerden tätig, so werden im Rahmen des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes nun alle Pflegeheime und ambulanten Dienst ein Deutschland überprüft. Für die Koordination ist der Medizinische Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) zuständig.

Christiane Grote, Pressesprecherin des MDS, zeigt sich zuversichtlich, dadurch eine größere Dynamik zu erreichen. Die grundsätzliche Frage sei, wie man den Prozess hin zu mehr Qualität in der Pflege beschleunigen könne. Gegenüber der SoVD-Zeitung erklärte Grote: "Natürlich geht das nur bei Einrichtungen, die auch bereit sind, Anregungen aufzunehmen und sich diesem Prozess zu stellen. Aber genau für die, die auf diesem Weg sind, ist das eine gute Chance, sich nach außen zu präsentieren und weiter an ihrer Qualität zuarbeiten."


Wie wird geprüft?

Die Prüfer des MDK untersuchen stationäre Pflegeeinrichtungen anhand von insgesamt 64 Einzelkriterien, die sich auf die folgenden vier Teilbereiche verteilen:

* Pflege und medizinische Versorgung,
* Umgang mit demenzkranken Bewohnern,
* soziale Betreuung und Alltagsgestaltung,
* Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene.

Für jeden dieser vier Bereiche wird eine Note vergeben die sich an dem gängigen Schulprinzip orientiert - von 1 für "sehr gut" bis 5 für "mangelhaft". Diese vier Einzelergebnisse fließen schließlich in eine Gesamtnote ein, die dann im Internet veröffentlicht wird (siehe Tabelle unten).

Als zusätzliche Vergleichsmöglichkeit wird ebenfalls die Durchschnittsnote der in dem jeweiligen Bundesland geprüften Pflegeheime angegeben. Eine weitere Note ergibt sich aus einer Befragung der Pflegebedürftigen selbst. Diese Einschätzung der Heimbewohner wird als Note separat ausgewiesen.

Für ambulante Pflegeeinrichtungen wird ähnlich verfahren. Dort gibt es drei Teilgebiete mit insgesamt 49 Einzelkriterien:

* pflegerische Leistung,
* ärztlich verordnete pflegerische Leistung,
* Dienstleistung und Organisation.

Die Note "Befragung der Kunden" wird auch hier separat
ausgewiesen.


Mehr Transparenz durch den Pflege-TÜV?

  MDK-Prüfung
Pflege und medizinische Versorgung
3,5 (ausreichend)
Umgang mit demenzkranken Bewohnern
4,5 (mangelhaft) 
Soziale Betreuung und Alltagsgestaltung
3,4 (befriedigend)
Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene
2,9 (befriedigend)
GESAMTERGEBNIS
Rechnerisches Gesamtergebnis
Landesdurchschitt
3,5 (ausreichend)
3,3 (befriedigend)
Befragung der Bewohner
1,6 (gut)        

Quelle: GKV-Spitzenverband

Aufgeteilt in vier Bereiche werden die jeweiligen Noten der stationären Einrichtung veröffentlicht.
Das Gesamtergebnis setzt sich aus dem Durchschnitt dieser vier Bewertungen zusammen.
Um einen besseren Vergleich der Pflegeheime untereinander zu ermöglichen, wird zusätzlich der Landesdurchschnitt
angegeben. Eine weitere Note ("Befragung der Bewohner") gibt die Einschätzung der Heimbewohner selbst wieder.



Kritik am Pflege-TÜV

Von verschiedenen Seiten wurde teilweise vehemente Kritik an der Einführung der Pflegenoten geäußert. So bezeichnete etwa der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach das Bewertungssystem insgesamt als irreführend. Nach Ansicht des Politikers führt die Durchschnittsnote der drei bzw. vier Teilbereiche dazu, dass etwa Mängel in der pflegerischen Versorgung durch gute Noten in anderen Bereichen ausgeglichen werden können. Auf diese Problematik hatte ebenfalls SoVD-Präsident Adolf Bauer hingewiesen: "Es darf nicht sein, dass zum Beispiel eine schlechte Flüssigkeitsversorgung von Pflegebedürftigen mit regelmäßigen Erste-Hilfe-Schulungen 'verrechnet' werden kann." Auch Prof. Dr. Heinz Rothgang, der als Gutachter für das Bundesgesundheitsministerium tätig ist, bemängelte, dass die Prüfkriterien gleich gewichtet werden. Der Wissenschaftler sprach sich dafür aus, dass eine mangelhafte Bewertung in einem zentralen Punkt - wie etwa der pflegerischen Versorgung - auch zu einer mangelhaften Gesamtbewertung führen müsse (siehe Interview unten).

Christiane Grote vom MDS räumt ein, dass es durch die Bildung einer Durchschnittsnote zu einem gewissen Ausgleich innerhalb der Bewertung komme. Gegenüber der SoVD-Zeitung betonte sie jedoch, dass der Schwerpunkt der Prüfkriterien eindeutig im Bereich Pflege liege: "Wenn sich allein sechs Kriterien mit dem Thema Dekubitus beschäftigen, dann kann man diese nicht mit einem einzelnen Kriterium etwa zum Notfallplan ausgleichen."


Wie geht es weiter?

Parallel zu den Prüfungen des MDK findet eine wissenschaftliche Begleitung statt. Durch diese Evaluation sollen die verwendeten Kriterien auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Hierzu hat das Bundesministerium für Gesundheit ein zweijähriges Forschungsprojekt vorgesehen, das von einem Beirat begleitet werden soll. In diesen Beirat wurde auch die für den Pflegebereich zuständige Referentin des SoVD-Bundesverbandes berufen. Dadurch ist sichergestellt, dass der Sozialverband Deutschland an der weiteren Ausgestaltung des Begutachtungsverfahrens beteiligt ist und auf diesem Wege auch die Interessen der SoVD-Mitglieder mit Nachdruck vertreten wird.
jb


Info

Laut Gesetz sind für die Veröffentlichung der Pflegenoten sowohl die Pflegeanbieter selbst als auch die Landesverbände der Pflegekassen zuständig. Mit der Veröffentlichung erster Prüfergebnisse ist im Spätsommer dieses Jahres zu rechnen. Nähere Informationen hierzu erhalten Sie direkt bei Ihrer jeweiligen Pflegekasse.


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Interview

Prof. Dr. Heinz Rothgang ist Leiter der Abteilung Gesundheitsökonomie, Gesundheitspolitik und Versorgungsforschung im Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen. Zuletzt war er Mitglied des Beirates zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes des Bundesministeriums für Gesundheit.


Welche Verbesserung bringt der Pflege-TÜV?

Ich denke, die Tatsache, dass es den Pflege-TÜV überhaupt gibt, ist ein Durchbruch. Prüfungen wurden bereits seit der Einführung der Pflegeversicherung durchgeführt. Der MDK und die Kassen wussten zwar hinterher, dass eine bestimmte Einrichtung ein Problem hat, durften es aber nicht weitersagen - aus Datenschutzgründen. Das ist jetzt anders: Jetzt müssen die Daten weitergegeben und veröffentlicht werden.


Warum hat diese Entwicklung so lange gedauert?

Die Debatte über Qualität ist ein Verdienst der Pflegeversicherung. Während man in den Neunzigerjahren zunächst den Weg über Vereinbarungen gegangen ist, spielt heute der Wettbewerbsgedanke eine größere Rolle. Man geht also inzwischen viel eher auf die Bedürfnisse der Verbraucher ein.


Sind Pflegeskandale damit für die Zukunft ausgeschlossen?

Im Gegenteil: Je genauer wir hingucken, desto mehr sehen wir auch. Wenn die Zahl der Pflege-Skandale steigt, heißt das aber nicht automatisch, dass die Qualität schlechter wird.


Kann man schlechte Pflege tatsächlich durch gute Noten in anderen Bereichen ausgleichen?

Man kann solche Fälle konstruieren. Es ist jedoch eher unwahrscheinlich, dass Heime zwar einen erstklassigen Service, gute Verpflegung und freundliches Personal bieten, die Bewohner aber dennoch unter schlechter Pflege leiden. Ich würde mir aber wünschen, dass man mittelfristig versucht, die Prüfkriterien stärker zu differenzieren, und zwischen zentralen und weniger wichtigen Kriterien unterscheidet. Außerdem ist die Bewertung zu überprüfen. Wenn man beispielsweise die Note "gut" erhält, weil drei von vier Bewohnern keinen Dekubitus haben, dann finde ich das falsch: Eine Dekubitusquote von 25 Prozent ist immer noch zu hoch.


Wie geht es weiter mit den Pflegenoten?

Es ist gut, dass wir den Pflege-TÜV haben. Noch nicht ausgereift ist die Art und Weise, wie dieser ausgestaltet wurde. Man sollte das Ganze als ein lernendes System begreifen, bei dem man Erfahrungen sammelt und das Instrument dann nach und nach verbessert. Deshalb wird dieser Prozess wissenschaftlich evaluiert.

Interview: Joachim Baars


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Quelle:
SoVD-Zeitung des Sozialverband Deutschland (SoVD)
Nr. 7 / Juli 2009, S. 1 und 2
Herausgeber: Bundesvorstand des Sozialverband Deutschland e.V.
Stralauer Str. 63, 10179 Berlin
Tel.: 030/72 62 22-0, Fax: 030/72 62 22-145
E-Mail: redaktion@sovd.de
Internet: www.sovd.de

Die SoVD-Zeitung erscheint am 1. eines jeden Monats.
Der Bezugspreis wird im Rahmen des Verbandsbeitrages
erhoben.


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2009