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STUDIE/492: Adipositas - Gesellschaftliche Ablehnung begünstigt psychische Erkrankungen (idw)


Universität Leipzig - 08.01.2015

Adipositas: Gesellschaftliche Ablehnung begünstigt psychische Erkrankungen



Die Vorurteile, Abwertung, soziale Ausgrenzung und Diskriminierung, die Menschen aufgrund ihrer Adipositas erleben, wirken wie chronische Stressoren. Die psychische Belastung durch diese Stigmatisierung kann zu Depressionen, Angststörungen und oft sogar zu weiterer Gewichtszunahme führen. Die Mechanismen dieses Teufelskreislaufs untersuchte Dr. Claudia Sikorski für das Integrierte Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) AdipositasErkrankungen in Leipzig anhand von vorliegenden Studien zur Stigmatisierung bei Adipositas.

Die Ergebnisse erschienen kürzlich im Fachjournal "Obesity" (doi: 10.1002/oby.20952). Gerade weil Adipositas weiter zunimmt bei gleichzeitig nur wenigen wirksamen Behandlungsmöglichkeiten, ist es wichtig zu verstehen, welche Mechanismen den Erfolg von Adipositastherapien vereiteln.

Sikorski und ihr Team analysierten 46 wissenschaftliche Studien, die den Zusammenhang zwischen der Stigmatisierung von stark übergewichtigen Menschen mit psychischen Belastungen und Störungen untersuchten. "Wir finden viele Risikofaktoren, die im Bereich psychischer Störungen etabliert sind, bei Menschen mit Adipositas stark ausgeprägt. Diese Risikofaktoren sind nicht etwas Spezielles für diese Gruppe, aber Menschen mit Adipositas scheinen, auch aufgrund von Stigmatisierung, eine erhöhte Häufigkeit dieser Faktoren aufzuweisen", sagt sie. Vor allem das in den Studien beschriebene herabgesetzte Selbstwertgefühl gilt als ein großer Risikofaktor für psychische Leiden wie Depressionen und Angststörungen.

Angelehnt an Mark Hatzenbuehlers (Columbia University) Erklärungsansatz zu den Auswirkungen von Stigmatisierung bei homosexuellen Menschen entwickelte Sikorski ein Modell der Prozesse, die zur größeren Anfälligkeit adipöser Patienten für psychische Erkrankungen führen. Die Betroffenen hätten ein vermindertes Selbstwertgefühl und eine verminderte Fähigkeit zur Problembewältigung (Coping). Dazu kämen weitere Risikofaktoren wie die negative Selbstwahrnehmung, vermehrte Einsamkeit und der Mangel an sozialer Unterstützung. Krankhaft übergewichtige Männer und Frauen nehmen außerdem Sikorski zufolge das negative Fremdbild, das sich durch die Stigmatisierung zeigt, als Selbstbild an. Experten sprechen von einem internalisierten Stigma oder Selbststigma. Gerade in einem Gewichtsreduktionsprogramm sei aber das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Kräfte unabdingbar, denn die Therapie der Adipositas erfordere mehr als bei anderen Erkrankungen viel Kraft, Engagement und Motivation des Patienten.

In der Adipositasforschung hat sich gezeigt, dass die Stigmatisierung und das Selbststigma zu einem ungünstigen Essverhalten und somit zur Erhaltung oder Verschlimmerung der Adipositas beitragen. Es entwickelt sich ein Teufelskreislauf aus Stigmatisierung aufgrund von Adipositas, mehr sozialem Rückzug, weiterer Zunahme des Gewichts und folglich immer stärkerer Stigmatisierung. Dazu kommt häufig noch die Erfahrung von Benachteiligung und Diskriminierung im sozialen und Berufsleben. Sikorski sucht nach therapeutischen Ansätzen, wie dieser Teufelskreislauf durchbrochen werden kann. "Für eine verbesserte Adipositastherapie ist unsere Arbeit wichtig, weil wir nicht darauf vertrauen können, dass sich die gesellschaftliche Wahrnehmung von Menschen mit Adipositas in absehbarer Zeit verbessert. Deshalb sollten wir den Betroffenen Mittel und Wege zum Umgang mit Stigmatisierung aufzeigen. Dies sollte möglichst integraler Bestandteil der Adipositastherapie werden", erklärt die 29-jährige Wissenschaftlerin.

In einer Folgestudie befragt Sikorskis wissenschaftliches Team in Kooperation mit dem forsa-Meinungsforschungsinstitut rund 1.000 Erwachsene mit Adipositas zu ihren Erfahrungen mit Stigmatisierung und ihrem Umgang damit. Dies soll helfen, besser zu verstehen, wie Stigmatisierung erlebt wird, wie sie ihre negative Wirkung entfaltet und wie die Betroffenen damit umgehen können. Erst die wissenschaftliche Auswertung dieser Phänomene ermöglicht es dann, Leitlinien für eine wirksamere Therapie zu entwickeln, die einer evidenzbasierten Medizin gerecht werden.

Das IFB AdipositasErkrankungen ist eines von acht Integrierten Forschungs- und Behandlungszentren, die in Deutschland vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert werden. Es ist eine gemeinsame Einrichtung der Universität Leipzig und des Universitätsklinikums Leipzig (AöR). Ziel der Bundesförderung ist es, Forschung und Behandlung interdisziplinär so unter einem Dach zu vernetzen, dass Ergebnisse der Forschung schneller als bisher in die Behandlung adipöser Patienten integriert werden können. Am IFB Adipositas-Erkrankungen gibt es derzeit über 60 Forschungsprojekte. Zur Patientenversorgung stehen eine IFB Adipositas-Ambulanz für Erwachsene und eine für Kinder und Jugendliche zur Verfügung. Das IFB wird das Feld der Adipositasforschung und -behandlung in den nächsten Jahren kontinuierlich ausbauen.

Doris Gabel


Weitere Informationen:

Doris Gabel
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit IFB
E-Mail: presse@ifb-adipositas.de
http://www.ifb-adipositas.de

Dr. Claudia Sikorski
Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP) / Medizinische Fakultät
E-Mail: claudia.sikorski@medizin.uni-leipzig.de

Prof. Dr. Steffi Riedel-Heller
Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public Health (ISAP)
E-Mail: steffi.riedel-heller@medizin.uni-leipzig.de
http://isap.uniklinikum-leipzig.de


Weitere Informationen finden Sie unter
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/oby.20952/full

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution232

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Universität Leipzig, Susann Huster, 08.01.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2015


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