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ARTIKEL/399: Eine offene Sprechstunde gegen Kontaktängste junger Patienten (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2011

Kinder- und Jugendpsychiatrie
Eine offene Sprechstunde gegen Kontaktängste junger Patienten

Von Dirk Schnack


Das MVZ Brücke geht in Rendsburg auf Kinder und Jugendliche zu, die den Weg in die Praxen von Kinder- und Jugendpsychiatern scheuen.

Der Stadtteil Mastbrook gilt als sozialer Brennpunkt Rendsburgs. Die rund 650 Kinder dort wachsen häufig in Familien auf, in denen es nur noch einen Elternteil gibt und die häufig auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Nur ein praktischer Arzt ist in dem Stadtteil mit dichter Bebauung niedergelassen. Soziale Infrastruktur ist rar, Freizeitmöglichkeiten für Jugendliche sind kaum vorhanden. In Mastbrook leben Familien vieler Nationalitäten, wobei die einzelnen ethnischen Gruppen kaum Kontakt zueinander pflegen - es besteht eine Ballung von Familien mit geringem Einkommen und schwierigen Lebenslagen.

Mitten in Mastbrook betreibt die Brücke, ein Anbieter sozialer Leistungen, ein Stadtteilhaus. Hier gibt es verschiedene Angebote für die Bewohner. Neu ist eine offene Sprechstunde des von der Brücke betriebenen MVZ, die von der angestellten Ärztin Dr. Kathrin van Heek für Patienten unter 20 Jahren angeboten wird. Ohne Voranmeldung können die jungen Patienten mit oder ohne Eltern bei ihr anklopfen, um ihre Probleme mit der Fachärztin zu besprechen.

"Der Bedarf ist da", sagte van Heek in einem Pressegespräch zum Start des Angebots. Nach ihrer Schilderung ist für viele Kinder der Weg zu einem Psychotherapeuten in einem angrenzenden Stadtteil eine organisatorische Herausforderung, die sie scheuen. "Was nicht als lebensbedrohlich eingeschätzt wird, wird von den Menschen hier gern verdrängt. Der Weg zum Arzt ist ihnen zu lang", sagt Angela Rix-Juister vom MVZ-Betreiber Brücke. Zugleich beschreibt sie Kontakt- und Schwellenängste der Bewohner. "Insbesondere für Eltern mit Kindern und für Jugendliche bedeutet es eine große Überwindung, einen Psychotherapeuten aufzusuchen."

Die erste Mutter, die zum Start der Sprechstunde das Angebot wahrnimmt, bestätigt das. "Mit meinem fünfjährigen Sohn bin ich eine Dreiviertelstunde lang unterwegs, wenn ich in die Sprechstunde der Praxis will", sagt sie. Für ein erstes Informationsgespräch war ihr dieser Weg zu weit. In Mastbrook dagegen hat sie das Angebot angenommen. Für eine weitere Behandlung müsste sie allerdings in die Praxis von van Heek kommen. Um die Kontaktängste abzubauen, nimmt van Heek an einem regelmäßigen Frühstück der Brücke mit Müttern im Stadtteilhaus teil. In einem angrenzenden Raum kann sie sich mit Patienten zur Sprechstunde zurückziehen.

Mit der neuen Tätigkeit kann van Heek einen kleinen Ausschnitt ihres Traums aus dem Medizinstudium verwirklichen. Damals war es ihr Wunsch, als Barfußärztin Patienten in entlegenen afrikanischen Dörfern zu helfen. In Rendsburg kann die 44-Jährige nun zumindest aufsuchende Medizin praktizieren. Ohne die Anstellung im MVZ wäre dies für sie allerdings nicht realisierbar gewesen. 1999 hat sie sich niedergelassen, 2007 zusammen mit einem Kollegen ein MVZ gegründet. Dieses haben sie im vergangenen Jahr an die Brücke verkauft. Seitdem arbeitet sie an gleicher Stelle wie zuvor, nur als Angestellte. "Ich bin sehr zufrieden damit, es ermöglicht uns eine viel bessere Vernetzung", sagt sie. Mittelfristig ist geplant, dass auch andere Kollegen die Sprechstunde unterstützen.

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2011 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2011/201103/h11034a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Offene Sprechstunde: Dr. Kathrin van Heek (rechts) berät eine Mutter, die im sozialen Brennpunkt Rendsburgs lebt.

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt März 2011
64. Jahrgang, Seite 33
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2011

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