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ARTIKEL/403: Psychiatrie-Paten - Netzwerk gegen Stigmatisierung und Isolation (Soziale Psychiatrie)


Soziale Psychiatrie Nr. 133 - Heft 3, Juli 2011
Rundbrief der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.

Netzwerk gegen Stigmatisierung und Isolation
Der Verein Psychiatrie-Patinnen und -Paten e.V. stellt sich vor

Von Doris Thelen und Sabine Früke


Bereits im Mai 1997 haben sich von psychischen Problemen oder Krankheiten Betroffene zum Verein Psychiatrie-Patinnen und -Paten (PP) e.V. in Aachen zusammengeschlossen, um nach dem Vorbild niederländischer Ombudsleute ein gesellschaftliches und politisches Forum zur Selbsthilfe zu schaffen. Entstanden ist ein Netzwerk von zirka neunzig Betroffenen, einigen Nichtbetroffenen und Fördermitgliedern, die kontinuierlich die Situation Betroffener verbessern. Das Kernstück des Vereins sind die Patenschaften, die dem Verein den Namen gegeben haben. Grundgedanke ist, dass stabilere Betroffene am besten andere Betroffene unterstützen können, da sie mit den Erkrankungen aus eigener Erfahrung vertraut sind. Erreichen möchten wir auf diesem Wege in erster Linie Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung sowie Ärzte, Angehörige, Politiker und die allgemeine Öffentlichkeit.

Was sind unsere Ziele?

Kennzeichnend für die Ziele des Vereins ist die Satzung. Hier ein Auszug (Präambel): "Grundsätzlich ist unser Verein ein von Betroffenen hervorgerufener Verein, in dem Betroffene aus der Idee der Selbsthilfe heraus sich selbst und anderen Betroffenen eine Unterstützung sein wollen. Die historische Entwicklung und die zum Teil eigene gemachte Erfahrung der jahrelangen Verwaltung durch die Psychiatrie, aber auch der Gesellschaft bis hin zur Entmündigung haben uns dazu bewogen, Initiative an den Tag zu legen, um erworbene Selbständigkeit zu erhalten und weiter auszubauen. Aus Solidarität mit Schicksalsgleichen ist der Patenschaftsgedanke entstanden, der nicht in erster Linie lebensorganisatorische Funktion übernimmt, sondern eine Begleitung von Mensch zu Mensch beabsichtigt. Dazu gehört auch das Vermitteln eines Bewusstseins, das Eigenverantwortung und Selbstverwaltung beinhaltet. Zu den nicht betroffenen Mitgliedern ist zu sagen: Jede Mithilfe und Mitarbeit in unserem Verein wird anerkennend entgegengenommen, solange diese Hilfe dem Selbstverständnis und der Satzung des Vereins entspricht ..."

Was wir tun

Hilfe zur Selbsthilfe für Betroffene
Hilfe zur Selbsthilfe wird geschaffen durch persönliche Beratung und Vermittlung von Hilfsangeboten und Rechtsanwälten. Hierzu bieten wir dienstags und donnerstags von 9 bis 11 Uhr das Infotelefon an sowie persönliche Gespräche nach Vereinbarung.

Breit gestreutes Informationsmaterial, zahlreiche Fachbücher, Studien über Psychopharmaka, Informationen zu Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht stehen bereit. Dadurch werden Rechte der Betroffenen gestärkt und Gewalt in der Psychiatrie eingedämmt. PP e.V. arbeitet mit dem Bundesverband der Psychiatrie-Erfahrenen (BPE) und dem Landesverband der Psychiatrie-Erfahrenen (LPE) NRW und anderen Selbsthilfegruppen zusammen. Dies stärkt die Rechte Betroffener, die zunehmend weiter im Gesetz verankert werden. Besonders zu erwähnen sind auch die Fachvorträge, die mehrmals jährlich von PP e.V. organisiert werden, sowie das Seelsorgetelefon mittwochs von 13 bis 15 Uhr.

Stärkung der Eigenmacht der Mitglieder
Um die Eigenmacht der Mitglieder zu stärken, werden viele Aktivitäten und Gelegenheiten zum Mitmachen geboten. Die Möglichkeiten ändern sich mit dem Engagement der Mitglieder und dem Gesundheitszustand. Daneben werden Gruppenaktivitäten und Ausflüge, z.B. die jährliche Fahrt nach Rohren [Stadtteil von Monschau, Eifel], offeriert.

Kontakt von Mensch zu Mensch
Wichtig ist PP e.V., die Betroffenen miteinander zu vernetzen. Einige Betroffene sind aufgrund der Erkrankung sehr allein und bedürfen des Kontaktes von Mensch zu Mensch. So bieten nette Leute Gespräche und Musik, Feten und Feiern sowie einen wöchentlichen Stammtisch.

Patenschaften für Betroffene
Die Patenschaften (Psychiatrie-Erfahrene helfen anderen Betroffenen) sind das zentrale Herzstück des Vereins. Sie sind - nach unserem Wissen - in Deutschland einzigartig. Die Idee ist, dass die "Psychiatrie-Patinnen! -Paten" die so genannten "Patenkinder" oder Bepateten durch die Psychiatrieszene begleiten und ihnen in den täglichen Schwierigkeiten in ihrem Leben beistehen. Dabei handelt es sich nicht um Betreuungen nach dem so genannten Betreuungsgesetz, sondern um ein eigenes Konzept, das die Patinnen und Paten und die begleitende Person gleichberechtigt sieht. Dabei unterliegt die Patin bzw. der Pate der Schweigepflicht.

Im Jahr 2010 haben wir das Konzept der Patenschaft neu überarbeitet. Hieraus ist ein Patenschaftsleitfaden entstanden, der sowohl dem Paten/der Patin und der Patenperson eine Hilfestellung bietet. Die Patenschaft ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen, wobei der Pate tendenziell etwas mehr geben sollte. Der Pate und die Patin sollten in der Regel selber leidvoll psychiatrieerfahren sein. Gegen Ende des Jahres 2010 gab es zweiundzwanzig Patenschaften, die von sechzehn Patinnen und Paten begleitet werden. Für diese Aktivität stellte der Landschaftsverband Rheinland (LVR) dem Verein Mittel zur Verfügung, die jedoch bei weitem nicht ausreichen, um die Patenschaften auf dem Vorjahresniveau zu halten. Mögliche Maßnahmen sind ein Patenschaftsstopp, die Begrenzung der Dauer einer Patenschaft, die Reduzierung der Mittel je Patenschaft und die Beendigung bestehender Patenschaften. Die Patenschaften kommen sehr gut an bei den Bepateten, weil sie ein Bindeglied darstellen zwischen der ambulanten Psychiatrie und dem alltäglichen Leben. Die Patenschaften gestalten sich sehr unterschiedlich. Manche treffen sich mehrmals wöchentlich, andere monatlich. Aktivitäten im Rahmen einer Patenschaft sind beispielsweise Informationsaustausch, Freizeitgestaltung wie Spazierengehen, Ausstellungen und Museenbesuche, Sport und Kontakte zu anderen. Die Begleitung und Unterstützung bei Behördengängen und Arztbesuchen sowie die Hilfe im Alltag sind eher selten. Da die Patenschaft besonders zu Beginn eine erhöhte Belastung bedeuten kann, ist geplant, eine regelmäßige Supervision für Patinnen und Paten wieder einzuführen. In den letzten Jahren war die Nachfrage jedoch gering.

Besuchsdienst in der Psychiatrie
Das zweite Standbein des PP e.V. ist der Besuchsdienst in der Psychiatrie, vorrangig auf den geschlossenen Stationen. Besuchsdienst erreicht die Menschen, die aufgrund ihrer psychischen Störung kaum noch Kontakt auftauen und pflegen können. Dazu arbeiten wir mit dem Alexianer-Krankenhaus, dem Aachener Klinikum, dem LVR-Klinikverbund und der Einrichtung in Gangelt [Kreis Heinsberg] zusammen. Einzelne Besuchsdienstmitglieder fragen auf den Stationen nach, wer selten Besuch bekommt, um ein Gesprächsangebot zu unterbreiten und gegebenenfalls Hilfe anzubieten. Auf der anderen Seite melden sich Betroffene beim Infotelefon oder sind sogar selber Mitglied oder bei PP e.V. bekannt. Neben der Entlastung durch Besuch und Gespräch ist das Ziel von PP e.V., die Psychiatrie humaner zu gestalten. PP e.V. setzt sich ein für den Schutz vor willkürlichen Zwangsmaßnahmen wie Fixierungen und Zwangsmedikation in der Psychiatrie. Mit der Präsenz von PP-Mitgliedern auf den Stationen wollen wir eine Art Kontrolle schaffen. Gleichzeitig möchten wir mit Ärzten und Pflegepersonal gut zusammenarbeiten.

Mit dem Alexianer-Krankenhaus wurde eine Soteria-Gruppe gebildet, in der nicht pharmazeutische Behandlungen im Vordergrund standen. Daraus entstanden die Möglichkeit von Spaziergängen, auch für Patienten geschlossener Stationen, Aromatherapie, ein Snoozelraum und zahlreiche andere Behandlungsangebote.

Die Erfahrungen aus dem Besuchsdienst 2010 sind sehr gemischt: Generell wird das Angebot von Patienten, Ärzten und Pflegepersonal zwar gut angenommen. Im zentral gelegenen Alexianer-Krankenhaus üben zurzeit neun Mitglieder Besuchsdienst aus. Der Kontakt zu Ärzten, Pflegepersonal und Patienten ist überaus gut, und ein soziales Netzwerk hat sich gebildet. Das Gesprächsangebot tut den Betroffenen gut. Laut unserem Besuchsdienst kehren leider immer dieselben Menschen ins Krankenhaus zurück, weil sie Traumaerlebnisse auf den geschlossenen Stationen haben. Darüber hinaus werden in allen Kliniken immer noch Zwangsmaßnahmen verübt. Auch hier kehren dieselben Menschen häufiger zurück und werden oft ohne Zukunftsperspektive entlassen. In Düren und Gangelt musste der Besuchsdienst aufgrund der hohen Fahrtkosten nach kurzer Zeit wieder eingestellt werden. Um den Zugang zu den geschützten Stationen in den Rheinischen Kliniken in Düren zu ermöglichen, wurde kurz zuvor ein Gespräch auf oberster Ebene geführt. Im Kreis Heinsberg existieren nur wenige Anlaufstellen für Psychiatrie-Erfahrene. Geplant ist der Aufbau einer regionalen PF-Gruppe in Düren, um ein intensiveres Verhältnis zur Landesklinik herzustellen. Auch hierfür fehlen zurzeit die Mittel.

Treffpunkt
PF e.V. stellt Interessierten und Mitgliedern einen Treffpunkt in Aachen zur Verfügung. Dort finden mit dem PP-Café, der PP-Disko, der Musik- und der Kochgruppe niedrigschwellige Angebote statt. Die jeweilige Leitung organisiert selbstständig den Treffpunkt.

Die PP-Disko ist seit 2010 ein neuer, fester Bestandteil des PP-Programms geworden. Zu den einmal im Monat stattfindenden Diskos erscheinen oft Gäste des Vereins.

Die Musikgruppe gibt es seit rund drei Jahren. Dort wird Gitarre gespielt und gesungen. Die selbst zusammengestellte Liedermappe enthält rund neunzig Songs. Die Gruppe umfasst sechs bis elf aktive Personen. Musik ist ein Medium, das oftmals Menschen aus gedrückter Stimmung herausholt und die Sorgen des Alltags für eine Zeit lang vergessen macht. Wir freuen uns über jeden, der kommt.

In der Kochgruppe versuchen fünf bis zehn Teilnehmende, kalorienarm zu kochen, weil fast alle Mitglieder aufgrund der Nebenwirkungen der Psychopharmaka übergewichtig sind.

Die PP-Räume können auch für private Feten und Feiern von PF-Mitgliedern nach Rücksprache genutzt werden.

Abbau von Vorurteilen
Um bestehende Vorurteile abzubauen, leistet PF e.V. Öffentlichkeitsarbeit in Form von Pressemitteilungen und Berichten für Zeitschriften. PF-Mitglieder erstellen Briefe an Parteien und Ministerien. In 2010 wurde der Selbsthilfetag der Volkshochschule (VHS) genutzt, um den Verein der Öffentlichkeit zu präsentieren. Leider tendierten die Besucherzahlen gegen null, sodass wir jetzt eher davon Abstand nehmen wollen, noch mal an einem Selbsthilfetag der VHS teilzunehmen.

Daneben veröffentlichen wir in unregelmäßigen Abständen die interne Zeitung für PF-Mitglieder, die "PF-Nachrichten". Die Ausgabe März 2010 berichtete über den Film "Himmel und mehr" von Dorothea Buck, PP-Termine wie die nächste Mitgliederversammlung, ambulante Angebote des Sozialpsychiatrischen Dienstes des Gesundheitsamtes usw. Weitere Artikel informierten über den Vortrag bei PF e.V. zur traditionellen chinesischen Medizin (TCM), Termine für die PP-Disko und andere PP-Angebote sowie den Roman über das Leben einer von Depressionen heimgesuchten jungen Frau. Redakteure werden noch gesucht.

Teilhabe am gesellschaftlichen Leben
Viele PP-Mitglieder sind mittlerweile wegen Erwerbsunfähigkeit berentet und leben vom Existenzminimum. Um diesen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu erleichtern, werden kulturelle Veranstaltungen geboten, z.B. in Form von ermäßigten Eintrittskarten, aber auch mit gemeinsamen Fahrten wie kürzlich nach Köln zur Ausstellung "Tutanchamun" oder zum Kinofilm der Dorothea Buck. Darüber hinaus organisiert der PP-Vorstand mehrmals jährlich Fachvorträge. Eine Heilpraktikerin, die schon mehrfach bei uns zu Gast war, referierte über Abschied und Neuanfang ein Mitarbeiter des LPE NRW besuchte uns in Rohren und gestaltete das Seminar zum Thema "Selbsthilfe". Der leitende Oberarzt des Alexianer-Krankenhauses stellte uns das neue Konzept zum "Hometreatment" vor, bei dem akute Patienten zu Hause behandelt werden.

Wege aus der Isolation und Stigmatisierung
PP e.V. bietet Mitgliedern und Gästen Wege aus der Isolation und Stigmatisierung. Die Isolation wird bekämpft durch ein weites Netzwerk Betroffener, die sich auf dem Wege der Selbsthilfe organisieren und zahlreiche Gruppen- und Gesprächsangebote bieten. Damit schaffen wir den Weg aus der Stigmatisierung, weil wir ein positives Selbstbild entwickeln können und inneres Wachstum anregen. Selbstbewusst werden und eigene Entscheidungen treffen, Handlungsalternativen erkennen, neue Fähigkeiten erlernen, Veränderungen bewirken, kritisches Denken, Gefühle erkennen und äußern, Stigmatisierung überwinden sind unsere Ziele.

Wir freuen uns über neue Mitglieder, Spenden und Fördermitgliedschaften: Psychiatrie-Patinnen und -Paten e.V., Kto.-Nr. 430 637, BLZ 390 500 00, Sparkasse Aachen.

Der Verein finanziert sich in erster Linie durch Zuschüsse des Landschaftsverbandes Rheinland, der Stadt Aachen, der Krankenkassen, von Stiftungen, Spenden und Beiträgen von Mitgliedern und Fördermitgliedern. Der Mitgliedsbeitrag beträgt zwölf Euro pro Jahr. Alle Engagierten arbeiten ehrenamtlich.

Doris Thelen ist Diplom-Bauingenieurin und Vorstandsmitglied von Psychiatrie-Patinnen und -Paten e.V.
Sabine Früke ist Diplom-Kauffrau und verantwortliche Redakteurin der "PP-Nachrichten". Kontaktadresse und Treffpunkt: Psychiatrie-Patinnen und -Paten e.V., Adalbertsteinweg 123, 52070 Aachen; Tel.: (0241) 515 00 15; Internet: www.ppev.de E-Mail: ppev@gmx.de

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Quelle:
Soziale Psychiatrie Nr. 133 - Heft 3, Juli 2011, Seite 20 - 21
veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung der Autorinnen und der Redaktion
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie e.V.
Zeltinger Str. 9, 50969 Köln
Telefon: 0221/51 10 02, Fax: 0221/52 99 03
E-Mail: dgsp@netcologne.de
Internet: www.psychiatrie.de/dgsp
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2011

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