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FORSCHUNG/1179: Übertragung von Tierversuchsergebnissen auf den Menschen kann lebensgefährlich sein (MfT)


Pressemitteilung Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V. vom .06.2017

Tod eines Probanden: Die Übertragung von Tierversuchsergebnissen auf den Menschen kann lebensgefährlich sein


Im Januar 2016 musste die klinische Phase I-Studie des Pharmaunternehmens Biotrial Frankreich aufgrund schwerer Nebenwirkungen und dem Tod eines Probanden abgebrochen werden. Das Medikament war vorher in Tierversuchen getestet worden. Wissenschaftler der Universität Leiden berichten jetzt im Fachjournal "Science", dass im Vorfeld artunterschiedliche Reaktionen nicht ausreichend mit humanspezifischen Methoden untersucht wurden. Für den Bundesverband Menschen für Tierrechte ist dies ein weiterer Beleg dafür, dass die Ergebnisse aus Tierversuchen für den Menschen risikoreich sind. Die aktuellen Erkenntnisse bestätigen die Forderungen des Verbandes nach kompletten humanspezifischen Untersuchungsmethoden.

Anfang 2016 starb ein Proband im französischen Rennes bei klinischen Tests einer pharmazeutischen Substanz mit der Bezeichnung BIA 10-2474. Bei vier weiteren Probanden traten neurologische Beschwerden auf, bei dreien stellten die Ärzte Hirnblutungen und eine Zerstörung von Nervengewebe fest. Der klinischen Studie waren umfangreiche Tierversuche an Mäusen, Ratten, Hunden und Affen vorausgegangen. Bei den Tieren waren derartige Schäden nicht aufgetreten.

Niederländische Wissenschaftler vermelden jetzt neue Erkenntnisse, wie es zu den Nebenwirkungen und dem Tod des Probanden kommen konnte. Als einer der Hauptautoren des Science-Artikels wies Prof. Dr. Steven Kushner von der psychiatrischen Abteilung des Erasmus Medical Centers der Universität Rotterdam darauf hin, dass die Sicherheitsprüfung von BIA 10-2474 im Tierversuch die Nebenwirkungen beim Menschen nicht vorhersagen konnte. Dies unterstreiche die Wichtigkeit, Wirkstofftests auf neue humane Zellmodelle auszuweiten, mit denen das Sicherheitsprofil experimenteller Arzneistoffe besser abgeschätzt werden könne.

"Die aktuellen Untersuchungen der Universität Leiden zeigen, dass die Übertragung von Ergebnissen aus Tierversuchen auf den Menschen lebensgefährlich sein können. Deswegen fordern wir eine besondere Förderung für die Entwicklung humanspezifischer Verfahren. Die Politik ist hier in der Pflicht. Nach dem Vorbild der Niederlande muss sie endlich einen Masterplan für den Abbau von Tierversuchen und für die Weiterentwicklung tierversuchsfreier Testmethoden vorlegen", fordert Christina Ledermann, stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes Menschen für Tierrechte.

Als Ursache für die Nebenwirkungen wird vermutet, dass die Substanz mit der Bezeichnung BIA 10-2474 in höheren Dosen nicht nur am gewünschten sogenannten FAAH-Inhibitor*, sondern auch an mehreren anderen ähnlichen Proteinen angedockte (Target-Off-Effekt), was zu schweren neurologischen Symptomen bei Mehrfachgabe an die Probanden geführt hatte.

Das portugiesische Pharmaunternehmen Bial wollte aus BIA 10-2474 ein potentes Schmerzmittel entwickeln, mit dem sich Angst und motorische Störungen aufgrund neurodegenerativer Erkrankungen wie Parkinson und Multipler Sklerose sowie chronische Schmerzen behandeln lassen.


Anmerkung:
*Enzyms Fatty Acid Amide Hydrolase (FAAH)


Quellen:
http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=69828
https://www.universiteitleiden.nl/en/news/2017/06/experimental-drug-bia-10-2474-deactivates-proteins-in-human-nerve-cells

Originalpublikation:
Annelot C. M. van Esbroeck, Antonius P. A. Janssen, Armand B. Cognetta III, Daisuke Ogasawara, Guy Shpak, Mark van der Kroeg, Vasudev Kanta, Marc P. Baggelaar, Femke M. S. de Vrij, Hui Deng, Marco Allarà, Filomena Fezza, Zhanmin Lin, Tom van der Wel, Marjolein Soethoudt, Elliot D. Mock, Hans den Dulk, Ilse L. Baak, Bogdan I. Florea, Giel Hendriks, Luciano De Petrocellis, Herman S. Overkleeft, Thomas Hankemeier, Chris I. De Zeeuw, Vincenzo Di Marzo, Mauro Maccarrone, Benjamin F. Cravatt, Steven A. Kushner, Mario van der Stelt (2017): Activity-based protein profiling reveals off-target proteins of the FAAH inhibitor BIA 10-2474. Science 356/6342, 09 June 2017. http://science.sciencemag.org/content/356/6342/1084

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Der Bundesverband Menschen für Tierrechte setzt sich seit seiner Gründung 1982 auf rechtlicher, politischer, wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Ebene für die Anerkennung elementarer Tierrechte ein. Dem Dachverband mit Hauptsitz in Aachen sind über 60 Vereine sowie Fördermitglieder angeschlossen. Seine Stärke liegt im Zusammenwirken von Seriosität, Fachwissen und Lobbyarbeit auf höchster politischer Ebene.
Der Verband Menschen für Tierrechte e.V. kämpft gegen jeglichen Missbrauch von Tieren. Er verfolgt den Ausstieg aus dem Tierversuch und das Ende der "Nutztier"-Haltung. Um diese Ziele zu erreichen, ernennt der Verband beispielsweise das "Versuchstier des Jahres", betreibt die Wissenschaftsplattform InVitro+Jobs und setzt sich für eine konsequente Förderung der tierversuchsfreien Forschung und Lehre ein. Weitere Arbeitsschwerpunkte sind die Etablierung der Tierschutz-Verbandsklage, eine tierlose bio-vegane Landwirtschaft sowie die Aufnahme von Tierrechten in die Lehrpläne von Schulen. Der Verband gibt viermal im Jahr das Magazin tierrechte heraus. Neben einem Themenschwerpunkt informiert die Zeitschrift Journalisten, Wissenschaftler, Politiker, Behörden und Verbandsmitglieder über aktuelle Entwicklungen in der politischen Tierrechtsarbeit. Zudem erscheint zweimal monatlich der Tierrechte Newsletter. Der Bundesverband Menschen für Tierrechte ist seit seiner Gründung als gemeinnützig und besonders förderungswürdig anerkannt.

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Quelle:
Infodienst: Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V. vom . Juni 2017
52072 Aachen, Roermonder Straße 4a
Telefon der Pressestelle: 05237/231 97 90
E-Mail: elsner@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2017

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