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OFFENER BRIEF/005: Superviren - kein Thema für die Bundesregierung? (Testbiotech)


Testbiotech e.V. - München/Berlin, 2. März 2012
Institut für unabhängige Folgenabschätzung in der Biotechnologie

Superviren - kein Thema für die Bundesregierung?

Testbiotech und Gen-ethisches Netzwerk fordern öffentliche Stellungnahme


Das Gen-ethische Netzwerk (GeN) in Berlin und Testbiotech (München) haben sich heute mit einem offenen Brief an Angela Merkel gewendet. Sie fordern die Bundeskanzlerin auf, sich für einen Stopp der Herstellung von neuen Varianten des Vogelgrippevirus (H5N1) und eine Beschränkung des Zugangs zu den Genom-Daten einzusetzen. Wissenschaftlern ist es gelungen, im Labor eine Variante des Virus herzustellen, die für Säugetiere extrem gefährlich ist. Die Wissenschaftler haben am 20. Januar 2012 ein Moratorium für ihre Arbeit beschlossen, um der Öffentlichkeit die Gelegenheit zu geben, Stellung zu beziehen. Testbiotech und das GeN fordern nun die Kanzlerin auf, sich zu dem Thema zu äußern. Gleichzeitig soll eine breitere Diskussion in der Öffentlichkeit angeregt werden. Der Brief wird deswegen für weitere mögliche Unterzeichner bis Ende Juni online gestellt.

"Wir brauchen demokratisch und international legitimierte Prozesse, die den Zugang zu Informationen und den Umgang mit der Forschung regeln. Der Gesellschaft muss ein Mitspracherecht bei missbrauchsgefährdeter Forschung dieser Art eingeräumt werden", sagt Christof Potthof vom Gen-ethischen Netzwerk. "Im konkreten Fall sind wir für die Vernichtung der neuen Viren."

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat sich im Februar 2012 dafür ausgesprochen, die Arbeiten an den Viren fortzusetzen und die Daten zu veröffentlichen - allerdings zu einem späteren Zeitpunkt als ursprünglich geplant. Die Zeit bis dahin solle für eine öffentliche Diskussion genutzt werden.

Bereits im September 2011 hatte Testbiotech der Bundesregierung knapp 10.000 Unterschriften übergeben. Die Unterzeichner verlangten unter anderem eine staatliche Überwachung von Laboren, die in der Lage sind, Erbgut künstlich zu synthetisieren. Für Christoph Then von Testbiotech belegt die aktuelle Debatte die Dringlichkeit der Forderungen: "Fast unbemerkt hat sich die Biotechnologie in den letzten Jahren immer weiter entwickelt. Insbesondere die Synthese des Erbguts von neuen Krankheitserregern ist technisch längst kein Problem mehr. Sollten entsprechende Daten veröffentlicht werden, könnten die gefährlichen Viren in anderen Labors nachgebaut werden. Daraus ergibt sich ein hohes Missbrauchspotenzial."


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Brief an Frau Merkel wegen Diskussion um Vogelgrippenvirus

Verfasst von Testbiotech am 29. Februar 2012 - 12:07


Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,

wir wenden uns an Sie anlässlich der aktuellen Diskussion über die Forschung am Vogelgrippevirus H5N1.

Wie umfassend berichtet wurde, ist es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Erasmus Medical Centers Rotterdam (Niederlande) und der Universität von Wisconsin in Madison gelungen, eine neue Variante des Vogelgrippevirus herzustellen, die für Menschen und Tiere vermutlich noch gefährlicher ist, als die bereits bekannten Varianten. Die Arbeiten an diesem Virus sind am 20. Januar 2012 für 60 Tage ausgesetzt worden (siehe z.B. Nature vom 26. Januar 2012). Die beteiligten Wissenschaftler, die in Zukunft für weitere Mutationen des Virus sorgen wollen, geben so der internationalen Gemeinschaft Zeit, sich zu dem Projekt zu äußern. Auf der Ebene der WHO fand im Februar ein Expertentreffen statt. Dabei sprach man sich für eine Verlängerung des Moratoriums aus, um der Öffentlichkeit mehr Gelegenheit zu geben, sich zu diesem Thema zu äußern.

Wir fordern die deutsche Bundesregierung auf, öffentlich zu dem Thema Stellung zu beziehen. Dabei sollten die folgenden Aspekte Berücksichtigung finden:

• In den vorliegenden Fällen (Fouchier et al. und Kawaoka et al.) sollte sich die Bundesregierung für die Zerstörung der bereits hergestellten Virus-Stämme einsetzen.

• Es ist außerdem erforderlich, die Arbeit an vergleichbaren Projekten in Deutschland (z.B. die absichtliche Verbesserung der Übertragbarkeit von bekanntermaßen gefährlichen Grippeviren und künstliche Erhöhung ihrer Gefährlichkeit) - so vorhanden - vorerst zu stoppen.

• Wissenschaftliche, staatliche, wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Stellen sollten sich auf verbindliche Regeln für hoch missbrauchsgefährdete Forschung einigen. Nötig sind insbesondere Richtlinien für eine obligatorische und effektive Bewertung des Missbrauchspotentials von geplanten biotechnologischen Versuchen geschaffen werden.

• Die Bundesregierung sollte sich außerdem auf internationaler Ebene für die Etablierung von Verfahren und Gremien einsetzen, die dafür sorgen, dass Forschung dieser Art überprüft wird, bevor Ergebnisse mit hohem Missbrauchspotenzial vorliegen.

• Wissenschaftliche Details mit erheblichen Missbrauchsrisiko sollten nur eingeschränkt publiziert und einem ausgesuchten Kreis von Experten zugänglich gemacht werden. Auch in diesem Punkt sind Verfahren notwendig, in denen ein demokratisch legitimierter Kreis von Personen aus Wissenschaft und Politik über den Zugang zu diesen Informationen entscheidet.

• Aspekte der Biosicherheit (Biosecurity) sollten verpflichtender Bestandteil von lebenswissenschaftlichen Ausbildungen sein.

Die aktuelle Diskussion macht deutlich, dass Politik und Verwaltungen derzeit über keine Instrumentarien verfügen, um verantwortlich und in Interaktion mit den Bürgern mit bedenklichen biotechnologischen Entwicklungen umzugehen. Es ist unhaltbar, dass einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der internationalen Gemeinschaft eine Frist für die Auseinandersetzung mit dem Thema setzen.

In diesem Zusammenhang wollen wir auch auf die Risiken der Synthetischen Biologie hinweisen, die vor dem Hintergrund der aktuellen Forschung eine besondere Aktualität erlangen: Auch wenn die Arbeiten von Fouchier und Kawaoka nicht der Synthetischen Biologie zuzurechnen sind, möchten wir Sie, sehr geehrte Frau Merkel, auf unseren "Aufruf zum Schutz der Umwelt vor künstlichen Organismen" aus dem vergangenen Jahr aufmerksam machen. Werden die Ergebnisse wie die von Fouchier und Kawaoka im Detail veröffentlicht, könnte das Erbgut der Viren in anderen Laboren nachgebaut werden - damit wächst das Missbrauchspotential erheblich.

Wir sind sehr besorgt über die ungenügende Regulierung der Synthetischen Biologie sowohl in Deutschland als auch im internationalen Kontext. Die Möglichkeiten zur künstlichen Synthetisierung von Erbsubstanz (DNA) haben in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen. Inzwischen lassen sich auch gefährliche Krankheitserreger synthetisch herstellen. Bislang gibt es keine ausreichenden gesetzlichen Regelungen zur Überwachung der Labore, die über entsprechende Technologien verfügen.

In einem gemeinsamen Aufruf mit anderen Verbänden und Initiativen haben wir uns deswegen für entsprechende Richtlinien eingesetzt. Im September 2011 wurden dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) dazu knapp 10.000 Unterschriften übergeben (http://www.testbiotech.de/node/538).

In dem Aufruf heißt es: "Die Unterzeichner fordern (...) die Erfassung und laufende Kontrolle der Firmen und Forschungseinrichtungen, die Gene oder Organismen synthetisieren oder diese verwenden, um beispielsweise der Produktion gefährlicher Krankheitserreger und Biowaffen vorzubeugen."

Sehr geehrte Frau Merkel, wir fordern Sie auf, den aktuellen Anlass zu nutzen und sich auch für striktere Regeln zur Überwachung der Synthetischen Biologie einzusetzen. Die Bundesregierung muss jetzt auf nationaler und internationaler Ebene aktiv werden und verbindliche Regelungen an dieser äußerst wichtigen Schnittstelle von Wissenschaft und Politik auf den Weg bringen.

Mit freundlichen Grüßen


Eine Möglichkeit, diese Petition zu unterschreiben, gibt es unter:
http://www.testbiotech.de/supervirus


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Quelle:
Testbiotech e. V., 02.03.2012
Institut zur unabhängigen Folgenabschätzung in der Biotechnologie
Frohschammerstr. 14, 80807 München
Telefon: 089/35899276
E-Mail: info@testbiotech.org
Internet: www.testbiotech.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2012