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HERZ/494: Schrittmacherkontrolle nur durch Magnetauflage höchst bedenklich (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 11/2010

Kardiologie
Schrittmacherkontrolle nur durch Magnetauflage höchst bedenklich

Von Dr. Dirk Poppe


Eine Patientengefährdung und unkalkulierbare Haftungsrisiken sind damit nicht auszuschließen, warnt Dr. Dirk Poppe aus Eutin.


Anruf eines Notarztes auf unserer Intensivstation: "Ich bin im Pflegeheim XY bei einem Patienten, der mehrfach generalisiert gekrampft hat, im EKG zeigt sich wiederholt eine Asystolie, offenbar bei Schrittmacherfehlfunktion - darf ich Ihnen den Patienten bringen?" - Selbstverständlich darf er.

Zur Aufnahme kommt ein 75-jähriger Patient in akut reduziertem Allgemeinzustand. Am EKG-Monitor zeigt sich ein Sinusrhythmus mit AV-Block III® ohne Ersatzrhythmus, intermittierend erfolgt eine ventrikuläre Stimulation mit einer Frequenz von 65/min, die zudem vereinzelt ineffektiv ist (Stimulationsartefakt ohne darauf folgenden QRS-Komplex). Aus der Vorgeschichte bekannt sind u.a. eine KHK mit Z.n. Herzinfarkt und eingeschränkter LV-Funktion sowie eine DDD-Schrittmacherimplantation 2001 aufgrund eines AV-Blockes III®. Aufgrund einer kongenitalen Minderbegabung lebt der Patient in einem Pflegeheim. Dort sei in den letzten Tagen eine zunehmende Dyspnoe aufgefallen, der Patient habe immer wieder über Schwindel geklagt.

Da es wiederholt zu längeren Stimulationsausfällen kommt, erfolgt zunächst unter Analgosedierung die externe, transkutane Stimulation. Damit kann ein stabiler Auswurf und ein Blutdruck von 120/70 mmHg erreicht werden. Die Abfrage des Schrittmachers ergibt, dass das Gerät bereits vor zehn Monaten den Austauschzeitpunkt erreicht hat, die Batterie ist fast völlig entleert. Die Rückfrage beim Hausarzt ergibt, dass zuletzt vor sechs Monaten eine Kontrolle des Schrittmachers durchgeführt wurde, die unauffällig gewesen sei. Diese Kontrolle war in einer allgemein-internistischen Arztpraxis mittels Magnetauflage erfolgt.

Knapp eine Stunde nach Aufnahme des Patienten erfolgt als Notfalleingriff unter laufender transkutaner Stimulation der unkomplizierte Aggregatwechsel in Lokalanästhesie in anästhesiologischem Standby. Die Schrittmacherelektroden zeigen exzellente Messwerte, sodass der Eingriff nach nur zehnminütiger Operationszeit abgeschlossen werden kann. Es besteht abschließend ein normofrequenter Sinusrhythmus mit regelrechter, vorhofgesteuerter Ventrikelstimulation. Nachfolgend wird der Patient noch 24 Stunden intensivmedizinisch überwacht, um mögliche Folgen der Reanimationsmaßnahmen zu erfassen. Erfreulicherweise treten keine Komplikationen oder Folgeschäden auf, der Patient kann nach wenigen Tagen in die ambulante Weiterbetreuung entlassen werden.

Jährlich werden in Deutschland aufgrund symptomatischer bradykarder Herzrhythmusstörungen fast 100.000 Schrittmacher implantiert. Hierbei hat der Anteil von Zweikammersystemen in den letzten Jahren erheblich zugenommen und lag zuletzt bei rund 70 Prozent(1). Neben einer Batterie enthalten die Schrittmachersysteme eine komplexe Steuerungselektronik, die vielfältige Programmiermöglichkeiten und zunehmend komplexere Diagnostikfunktionen bietet. Die Abfrage und Programmierung erfolgt mittels spezieller herstellerspezifischer Programmiergeräte. Diese werden von den Firmen üblicherweise nur Krankenhäusern und spezialisierten kardiologischen Fachpraxen zur Verfügung gestellt.

Die Abfrage und Programmierung von SM-Systemen stellt aufgrund der Komplexität der Systeme, der Vielzahl programmierbarer Parameter und der Notwendigkeit einer auf den einzelnen Patienten abgestimmten Programmierung hohe Anforderungen an die Kenntnisse und Sachkunde des die Schrittmacherkontrolle durchführenden Arztes. In noch viel höherem Maße trifft dies auf implantierbare Defibrillatoren (ICD) und Systeme zur kardialen Resynchronisationstherapie (CRT) zu, die oftmals nur in spezialisierten Krankenhausambulanzen nachgesorgt werden.

Noch aus den Anfängen der Schrittmachertherapie stammt die Überprüfung eines Schrittmachers durch Magnetauflage. Diese führt in den meisten Fällen zu einer asynchronen (d.h. sich nicht nach dem Eigenrhythmus des Patienten richtenden) Stimulation, die je nach Hersteller und Modell mit unterschiedlicher Frequenz und Betriebsart erfolgt. Dabei kommt es im Verlauf mit abnehmender Batteriekapazität zu charakteristischen Änderungen der Stimulationsfrequenz und -art, auch diese sind wiederum spezifisch für jedes Schrittmachermodell.

Die Beurteilung des Ladezustandes der Batterie ist auf diese Weise nur ungenau möglich und erfordert genaue Kenntnisse über das Stimulationsverhalten bei Magnetauflage für das jeweils untersuchte Modell. Eine Überprüfung der Programmierung, Abfrage von Diagnostikdaten oder Umprogrammierung ist so nicht möglich. In den 2005 von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie veröffentlichten "Leitlinien zur Herzschrittmachertherapie"(2) werden diese "Minikontrollen" denn auch konsequenterweise als obsolet und nur im Notfall statthaft bezeichnet.

Im Fall unseres Patienten bestand seit Juli 2009 der ERI-Zustand. (ERI: elective replacement indicator, Austauschzeitpunkt erreicht. Ab diesem Zeitpunkt besteht für den bei unserem Patienten implantierten SM nur noch eine garantierte Restlaufzeit von drei Monaten, bevor es zu Stimulationsausfällen kommen kann).

Der implantierte Schrittmacher hat in diesem Moment auf reine VVI-Stimulation mit einer starren Frequenz von 65/min umgeschaltet(3). In jedem ab diesem Zeitpunkt geschriebenen EKG hätte auffallen müssen, dass der Schrittmacher nicht mehr AV-synchron stimulierte (also auf jede P-Welle eine ventrikuläre Stimulation folgte), sondern P-Wellen und ventrikuläre Stimulation unabhängig voneinander waren. Bei der 11/2009 durchgeführten "Schrittmacherkontrolle" wäre darüber hinaus erkennbar gewesen, dass die Stimulationsfrequenz bei Magnetauflage nicht mehr 85/min, sondern nur noch 65/min betrug. Spätestens dann hätte bei dem vom Schrittmacher abhängigen Patienten die umgehende ausführliche Kontrolle bei einem Fachkardiologen oder aber eine sofortige Krankenhauseinweisung erfolgen müssen.

Glücklicherweise hat unser Patient die oben beschriebene lebensbedrohliche Notfallsituation unbeschadet überstanden. Bei nicht so glücklichem Ausgang wäre ein Haftungsanspruch des Patienten oder seiner Angehörigen nach aktuellem Sachstand der Leitlinien zu bejahen gewesen.

Sogenannte "Schrittmacher-Minikontrollen" durch alleinige Magnetauflagen sind aus mehreren Gründen höchst bedenklich. Zum einen sollte jedem Arzt, der einen Magneten auf ein Schrittmachersystem auflegt, klar sein, dass mit der durch diese Magnetauflage ausgelösten asynchronen Stimulation ein Kammerflimmern ausgelöst werden kann - ein (eingeschalteter) Defibrillator muss also bei jeder Kontrolle vorhanden sein.

Zum anderen ist es bei etlichen Schrittmachermodellen inzwischen möglich, die Reaktion des Schrittmachers auf eine Magnetauflage zu verändern. Es kann also unter Umständen unmöglich sein, durch Magnetauflage irgendeine diagnostisch verwertbare Reaktion des Schrittmachers auszulösen. Schließlich kann bei oberflächlicher Betrachtung des EKGs eine Batterieerschöpfung übersehen werden und somit insbesondere bei schrittmacherabhängigen Patienten eine lebensbedrohliche Situation durch Stimulationsausfall die Folge sein. Die zivil- und möglicherweise auch strafrechtlichen Konsequenzen, die sich für den kontrollierenden Arzt ergeben können, sind letztlich unkalkulierbar.

Es ist deshalb dringlich zu empfehlen, die Kontrolle eines jeden Herzschrittmacher- oder Defibrillatorsystems in fachkundige Hände zu geben. Dabei sind entsprechend den geltenden Standards mindestens halbjährliche Kontrollen mit einem speziellen Programmiergerät, ausführlicher Testung verschiedener Stimulations- und Wahrnehmungsparameter sowie patientenspezifischer Anpassung der Programmierung notwendig. Sobald sich eine Batterieermüdung abzeichnet, aber auch bei instabilen Messwerten oder Schrittmachersystemen mit epikardialen Elektroden, sollten die Kontrollintervalle auf maximal drei Monate verkürzt werden, um einen elektiven Schrittmacheraggregatwechsel frühzeitig planen zu können.


Literatur beim Verfasser oder im Internet unter www.aeksh.de

Dr. Dirk Poppe, Zentrum für Innere Medizin und Intensivmedizin, Sana-Klinikum Eutin
d.poppe@sana-OH.de


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 11/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201011/h10114a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt November 2010
63. Jahrgang, Seite 54 - 55
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2011