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DIABETES/1416: Augenkomplikationen - Vorsorgeuntersuchungen müssen stärker in die Öffentlichkeit (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 10/2010

Diabetes und Augenkomplikationen
Vorsorgeuntersuchungen müssen stärker in die Öffentlichkeit

Von Judith Eick


Regelmäßiges und vor allem rechtzeitiges Screening ist erforderlich. Die Angst vor Erblindung ist unter Diabetikern stark ausgeprägt.


Deutschland ist europaweit das Land mit der höchsten Diabetesprävalenz: zwölf Prozent bei den 20- bis 79-Jährigen, das sind bundesweit 7,5 Millionen betroffene Menschen, davon über 90 Prozent mit Diabetes Typ 2. Zusätzlich wird von rund drei Millionen nicht diagnostizierten Zuckerkranken ausgegangen. Tendenz steigend: Jedes Jahr kommen schätzungsweise rund 300.000 Typ 2-Diabetiker hinzu. Allein in Schleswig-Holstein leben heute rund 200.000 Diabetiker.

Mit seinen Folgeerkrankungen kostet der Diabetes mellitus das deutsche Gesundheitssystem rund 38 Milliarden Euro jährlich (direkte + indirekte Kosten, KoDiM-Studie): Herzinfarkt, Schlaganfall, Erblindung, Nierenversagen, Amputationen. (Quelle: Gesundheitsbericht 2010, diabetesDE, eine Initiative der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) und des Verbandes der Diabetesberatungs- und Schulungsberufe in Deutschland (VDBD).

Typ 2-Diabetes wird durchschnittlich erst zehn Jahre nach Ausbruch der Krankheit diagnostiziert und zu einem hohen Anteil erst anhand einer bereits lebensbedrohlichen Folgeerkrankung: dem Herzinfarkt als Erstsymptom. Bislang fehlen noch geeignete Parameter, um die Vorstufe des Diabetes mellitus eindeutig und vor dem Untergang der insulinproduzierenden B-Zellen der Bauchspeicheldrüse zu diagnostizieren.

Wird im Rahmen eines oralen Glukosetoleranztests eine Störung festgestellt, ist es für präventive Maßnahmen meist schon zu spät. Als Frühwarnsystem für Diabetes müssen Begleiterkrankungen wie Bluthochdruck, erhöhte Blutfette und Übergewicht rechtzeitig in Betracht gezogen werden, sagt Dr. Joachim Oldenburg, Diabetologe aus Flensburg. Fast 70 Prozent aller Typ 2-Diabetiker leiden bereits zu Beginn ihrer Stoffwechselerkrankung an Bluthochdruck. Umgekehrt sind Störungen des Zuckerstoffwechsels bei akut Gefäßkranken die Regel (> 60 Prozent). Evaluationen belegen, dass Strukturverträge und Disease Management Programme bessere Ergebnisse in der Versorgung bringen, doch die nur etwa 30%ige Abdeckung durch das DMP in Schleswig-Holstein reiche bislang nicht aus, so Oldenburg. Das Zusammenwirken der Hausärzte, Diabetologen und Augenärzte beispielsweise ließe sich zum Vorteil der Patienten intensivieren, wobei die Hauptlast der medizinischen Betreuung die Hausärzte tragen, die die überwiegend älteren und multimorbiden Diabetes-Typ 2-Patienten umfassend und wohnortnah betreuen.

Die Hauptakteure der Therapie wiederum sind die Patienten selber, die die weitgehend lebensverändernden und lebenslangen Anpassungsleistungen eigenverantwortlich umsetzen müssen. Die Angst vor Erblindung ist dabei eine der am stärksten empfundenen Bedrohungen für Diabetiker - wahrscheinlich stärker noch als die Gefahr eines Infarkts oder des Verlustes von Gliedmaßen. Der Angst wird zwar generell kein Lerneffekt zugeschrieben, sie scheint aber in diesem Fall "nicht selten Anlass für tiefgreifende Veränderungen im Verhalten gegenüber der Erkrankung" zu sein (diabetesDE, Gesundheitsbericht 2010, S. 88).

Mikrovaskulär ist die diabetische Retinopathie die häufigste Komplikation bei Diabetes mellitus. Bei Diagnosestellung besteht bei bis zu einem Drittel der Typ 2-Patienten bereits eine krankhafte Veränderung der Netzhaut. Eine diabetische Makulapathie kann bei einer Diabetesdauer von 15 bis 20 Jahren bei bis zu 25 Prozent der Patienten auftreten. Dabei muss in Betracht gezogen werden, dass die Augengefäße generell die Gefäßveränderungen im gesamten Körper spiegeln, mahnt Professor Dr. Detlef Uthoff. Der Kieler Augenarzt weist im Gespräch mit dem Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatt auf die Bedeutsamkeit des regelmäßigen und vor allem rechtzeitigen Screenings hin: "Nur den Augenärzten ist der direkte diagnostische Blick auf Gefäße möglich". Bei bundesweit 27 Erblindungen täglich infolge der diabetischen Retinopathie besteht erheblicher Handlungsbedarf. Laut diabetesDE ist derzeit aber eher eine gewisse "Ermüdungserscheinung" bei der Überweisung zum Retinopathie-Screening erkennbar (Gesundheitsbericht 2010, S. 89).

Zur Behandlung einer diabetischen Retinopathie kommen zur gewünschten dauerhaften normnahen Blutzuckereinstellung weitere Parameter hinzu, sagt Uthoff. Hierzu gehört nach Möglichkeit die Vermeidung der größten Risikofaktoren: Bluthochdruck, Rauchen, hohe Blutfettwerte. Auch hormonelle Umstellungen bei Schwangerschaft und in der Pubertät können sich negativ auf die schon angegriffenen Zellen der Netzhaut auswirken. Unterschiede zwischen Typ 2- und Typ 1-Diabetikern liegen vor allem im Stellenwert der Blutzuckerkontrolle, die bei letzteren deutlich im Vordergrund stehe. Positiv auf die Netzhaut wirke sich zudem die Gabe eines ACE-Hemmers aus - auch bei einer bereits entwickelten Retinopathie. Bei fortgeschrittener Retinopathie, das heißt z.B. bei der proliferativen Form, bei der es zur Bildung von neuen Blutgefäßen kommt, die in das Auge hineinwachsen, und bei der diabetischen Makulapathie ist eine medikamentöse Behandlung nicht mehr möglich.

Goldstandard der lokalen operativen Therapie bei fortgeschrittener Erkrankung sei nach wie vor die Laserkoagulation, ergänzt durch die intravitreale Injektion von Steroiden oder Wachstumsfaktoren. Ist es zu Einblutungen in die Netzhaut gekommen, kann durch die Vitrektomie der Glaskörper entfernt und durch klare Flüssigkeit ersetzt werden, benennt Uthoff die Behandlungsoptionen. Bei optimaler Einstellung des Diabetes, Vermeidung der genannten Risikofaktoren und regelmäßigen Kontrollen durch den Augenarzt kann eine Erblindung jedoch auch bei langjährigem Diabetes in den meisten Fällen vermieden werden. Die Screeningempfehlung des Berufsverbandes der Augenärzte Deutschlands e.V. (BVA) lautet: Betroffene ohne eine bislang bekannte diabetische Retinopathie sollten einmal jährlich ihre Augen untersuchen lassen. Werden Veränderungen festgestellt, wird der Augenarzt einen individuellen Plan für die zeitlichen Abstände der Kontrolluntersuchungen empfehlen. Weitere Informationen auf der Website der "Initiativgruppe Früherkennung diabetischer Augenerkrankungen" (IFDA) und der "Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Auge" (AGDA), www.die-ifda.de.


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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 10/2010 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2010/201010/h10104a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de


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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt Oktober 2010
63. Jahrgang, Seite 68 - 69
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2010