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DIABETES/1187: Gezielte Untersuchung vor (Wieder-)Aufnahme von Sport ist immer sinnvoll! (DJ)


Diabetes-Journal 2/2009 - aktiv gesund leben

Vor Aufnahme/Wiederaufnahme von Sport:
Gezielte medizinische Untersuchung ist immer sinnvoll!

Von Dr. med. Meinolf Behrens


Für die meisten Diabetes-Journal-Leser gibt es sicher gute Gründe, sich wieder mehr im Alltag zu bewegen ... oder gar mit einer Sportart (wieder) zu beginnen. Was sollten Sie zuvor beachten? Welche Sportarten sind die richtigen für Sie?


Körperliche Aktivität hat viele positive Auswirkungen auf die Gesundheit: Optimierung der Herz-Kreislauf-Funktion, Stärkung des Gelenk- und Bewegungsapparates, Verbesserung des psychischen Befindens, Vorbeugung von bestimmten Krebserkrankungen, um nur einige zu nennen. Nicht zuletzt ist Sport in der Gruppe eine wunderschöne Basis für soziale Kontakte. - Also: reichlich Gründe, endlich (wieder) mit dem Sport zu beginnen.

Bekannt ist aber auch, dass sich Bewegung und Sport unter bestimmten Bedingungen auch ungünstig auf den Gesundheitszustand auswirken können. Bestehende diabetesbedingte Begleit- und Folgeerkrankungen müssen daher bei der Auswahl der richtigen Sportart und der richtigen Belastungsintensität immer individuell berücksichtigt werden.

Sicherlich gibt es aber auch Sportarten wie Tauchen, Fallschirmspringen oder Drachenfliegen, die in erster Linie wegen der eingeschränkten Urteilsfähigkeit bei Unterzuckerungen als sehr risikoreich einzustufen sind; solche Sportarten sind für Diabetiker zunächst einmal ungeeignet. Falls sie dennoch durchgeführt werden, erfordern sie eine große individuelle Sorgfalt und auch persönliche Erfahrung.


Belastender Alltag: Infarkt als Fußballzuschauer

Wissen muss man natürlich auch, dass bestimmte Alltagsaktivitäten (Treppensteigen, Tragen schwerer Einkaufstaschen, Gartenarbeit) mitunter belastender sind als ein gezieltes Trainingsprogramm in einer Gruppe unter qualifizierter Anleitung. Eine aktuelle wissenschaftliche Untersuchung hat sogar gezeigt, dass selbst das Anschauen eines spannenden Fußballspiels das Risiko für einen Herzinfarkt oder schwere Herzrhythmusstörungen erhöhen kann.

Wie in vielen anderen Bereichen des Lebens wird man also auch vor der (Wieder-)Aufnahme körperlicher Aktivität eine Risiko-Nutzen-Betrachtung durchführen müssen. Schließlich ist es nur sinnvoll, mit der Bewegung zu beginnen, wenn der erwartete Nutzen größer eingeschätzt wird als ein erwartetes Risiko. Einerseits möchte man Sie durch solche Überlegungen auf keinen Fall von der Bewegung abschrecken oder fernhalten, andererseits möchte man Ihnen natürlich auch ein höchstmögliches Maß an Sicherheit garantieren. Dies ist nicht immer ganz einfach. Lassen Sie sich daher in dieser Frage von einem Arzt mit diabetologischer und sportmedizinischer Erfahrung beraten.


Wer sollte sich untersuchen lassen?

Prinzipiell ist eine gezielte (sport-)medizinische Untersuchung vor (Wieder-)Aufnahme körperlicher Aktivität immer sinnvoll; dies gilt sicherlich für Menschen ohne Diabetes genauso wie für Menschen mit Diabetes. Unbedingt nötig ist eine gezielte fachärztliche Untersuchung, wenn

die Diabetesdauer über 10 Jahren oder das Lebensalter über 35 Jahren liegt;
eine diabetesbedingte Folgeerkrankung bereits vorliegt;
ein Diabetes mellitus Typ 2 vorliegt.


Was gehört zu einer solchen Untersuchung?

Zu einer medizinischen Untersuchung in dem Sinn gehört

eine ausführliche Erhebung der Krankengeschichte,
eine körperliche Untersuchung,
ein Ruhe-EKG,
eine diabetesrelevante Labordiagnostik,
eine ergometrische Untersuchung (z.B. Belastungs-EKG) mit maximal symptomlimitierter Belastung
(zur Festlegung der Herz-Kreislauf-Leistungsfähigkeit und Einschätzung des allgemeinen Herz-Kreislauf-Risikos),
eine Augenärztliche Untersuchung (sofern nicht in den individuellen Kontrollintervallen erfolgt).

Grundsätzlich sind die genannten Untersuchungen Bestandteil einer strukturierten Diabetesbetreuung, so dass sich der Aufwand für eine solche Vorsorgeuntersuchung in Grenzen hält. Sollten sich im Rahmen der genannten Basisdiagnostik Auffälligkeiten zeigen, so wird Ihr Hausarzt oder Diabetologe weitere Untersuchungen veranlassen müssen. Diese sollten auch unbedingt wahrgenommen werden. Mitunter können besondere kardiologische Untersuchungen (Ultraschalluntersuchung vom Herzen, Herzkatheteruntersuchung), Röntgenuntersuchungen oder weitere spezielle Untersuchungen erforderlich sein.


Wie geht es weiter?

Nach der Untersuchung sollte gemeinsam mit Ihrem Arzt entschieden werden, ob die von Ihnen geplante körperliche Aktivität für Sie ganz persönlich geeignet ist. Hierbei werden die Untersuchungsergebnisse unter Berücksichtigung der bekannten diabetischen Begleit- oder Folgeerkrankungen in die Überlegungen einfließen. Festgelegt werden sollte dann auch die Intensität der geplanten Belastung.


Einfache Formeln

Anhand des Ergebnisses der Ergometrie kann mit einfachen Formeln für Sie ein persönlicher Trainingsbereich festgelegt werden - man benötigt nur den Ruhepuls und den Puls bei maximaler Belastung, siehe rechts. Der Infokasten auf der nächsten Seite gibt ohne Berechnung einen groben Anhalt darüber, in welchem Herzfrequenzbereich altersabhängig trainiert werden sollte.


Trainingsbereich - Untere Grenze:

HFu = 0,5(HFmax - HFRuhe) + HFRuhe

Obere Grenze (HFo):

HFo = 0,75(HFmax - HFRuhe) + HFRuhe

Formeln für den Trainingsbereich (moderate Belastung, untere und obere Grenze): Die maximale Herzfrequenz (HFmax) wird meist mittels Fahrradergometrie ermittelt. Der Ruhepuls (HFRuhe) wird morgens noch im Bett liegend festgestellt. Bei einer maximalen Herzfrequenz von 160/Min. und einem Ruhepuls von 60/Min. läge der persönliche Belastungsbereich zwischen 110/Min. und 135/Min.


Zur Frage der Sporttauglichkeit bei Vorliegen bestimmter diabetischer Begleit- und Folgeerkrankungen gibt es sehr umfassende wissenschaftliche Empfehlungen. Nicht immer lassen sich die Empfehlungen so einfach auf den Einzelnen übertragen, so dass am Ende einer Untersuchung immer eine individuelle Empfehlung unter Berücksichtigung der allgemeinen Leistungsfähigkeit, der Summe der bestehenden Begleit- und Folgeerkrankungen, der geplanten Bewegungsform und natürlich auch der Bewegungsintensität steht.

Trotzdem gibt es für den Umgang mit einzelnen Folge- und Begleiterkrankungen Grundsätze, die zu berücksichtigen sind. Einige besonders wichtige Empfehlungen sind im Folgenden für Sie zusammengefasst:


Diabetische Retinopathie

Es gibt keine Hinweise, dass leichte körperliche Aktivität das Fortschreiten einer diabetischen Retinopathie beschleunigt. Lediglich bei starken Blutdruckanstiegen systolisch über 180 bis 200 mmHg steigt das Risiko für Netzhautblutungen. Daher sind Sportarten, bei denen bei großer Anstrengung der Atem angehalten werden muss ("Valsalva-Manöver"), wie Gewichtheben oder auch einige Kampfsportarten, ungeeignet beim Vorliegen einer Retinopathie.

Nach einer Augenoperation oder Lasertherapie am Auge darf in der Regel für 6 Wochen kein Sport durchgeführt werden.


Diabetische Neuropathie

Beim Vorliegen einer diabetischen Neuropathie besteht insbesondere bei fußbelastenden Sportarten (wie Jogging oder Walking) das Risiko, ein diabetisches Fußsyndrom zu entwickeln. Beste Vorbeugung ist die regelmäßige Inspektion der Füße vor dem Sport und das Tragen diabetesgerechter Schuhe. Bei bestimmten Konstellationen kann auch die Verordnung orthopädischer Sportschuhe erforderlich sein.

Bei Vorliegen einer Neuropathie sollte körperliche Aktivität nie ohne Schuhe erfolgen. Bei Wunden an den Füßen oder einer aktiven "diabetischen Osteoarthropathie" (mit Zerstörung von Knochen und Gelenk, "Charcot-Fuß") verbietet sich praktisch jeglicher Sport (Übungen im Sitzen, zum Beispiel mit dem Theraband, sind möglich).


Diabetische Nephropathie

Bei einer leichten bis mittleren Beeinträchtigung der Nierenfunktion sind keine besonderen Vorsichtsregeln zu beachten. Lediglich starke Blutdruckanstiege (systolisch über 180 bis 200 mmHg) sind zu vermeiden.


Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen

Bei Blutdruckwerten systolisch über 160 mmHg und/oder diastolisch über 100 mmHg sollte kein Sport durchgeführt werden. Es gibt viele unterschiedliche Formen und auch Schweregrade von Herzerkrankungen. Patienten mit bekannter koronarer Herzkrankheit wird man in der Regel die Teilnahme an einer Herzsportgruppe empfehlen. Aber auch hier wird man im Einzelfall - ausgehend vom individuellen Risikoprofil, der geplanten Bewegungsart und -intensität und unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Ergometrie - die Teilnahme an anderen strukturierten Bewegungsprogrammen befürworten.


Altersabhängige Trainingsherzfrequenzen
Alter

Idealer Trainingspuls/Schläge pro Minute
(ca. 60 bis 75 Prozent der maximalen Herzfrequenz)
70 
90-120                       
60 
95-125                       
50 
100-130                       
40 
105-145                       


Das Fazit

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass vor Aufnahme oder Wiederaufnahme körperlicher Aktivität ein sportmedizinischer Check in jedem Fall sinnvoll und fast immer auch unbedingt erforderlich ist. Diabetische Begleit- und Folgeerkrankungen sollten Sie aber nicht von körperlicher Aktivität abhalten.

Gemäß der Leitlinie Diabetes und Sport der Deutschen Diabetes-Gesellschaft ist es prinzipiell in fast jedem Stadium diabetischer Folgeerkrankungen möglich, bestimmte Bewegungsformen und Sportarten bis zu einer gewissen Intensität gefahrlos und gewinnbringend auszuüben. Sprechen Sie Ihren Hausarzt oder Diabetologen an.

Wie Bewegungsangebote konkret in einer Diabetologischen Schwerpunktpraxis umgesetzt werden, können Sie ebenfalls in diesem Titelthema weiter hinten lesen.


Kontakt
Dr. med. Meinolf Behrens
Internist/Diabetologe DDG/Sportmediziner
Bismarckstr. 43
32427 Minden
E-Mail: mb@diabetes-minden.de


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Quelle:
Diabetes-Journal 2/2009, Seite 28 - 30
Herausgeber: Verlag Kirchheim + Co GmbH
Kaiserstr. 41, 55116 Mainz
Tel.: 06131/960 70 30, Fax: 06131/960 70 90
E-Mail: info@kirchheim-verlag.de
Internet: www.diabetes-journal.de

Das Diabetes-Journal erscheint monatlich.
Einzelheft: 3,80 Euro
Jahres-Abonnement: 38,40 Euro

Diabetes-Journal gibt es auch auf CD als
Daisy/MP3-Hörzeitschrift für Blinde und Sehbehinderte:
Westdeutsche Blindenhörbücherei
Harkortstr. 9, 48163 Münster, Tel.: 0251/71 99 01


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2009