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INFEKTION/1755: Forschung - Mehr Aufmerksamkeit für vernachlässigte tropische Krankheiten (idw)


Deutsches Zentrum für Infektionsforschung - 24.08.2018

Mehr Aufmerksamkeit für vernachlässigte tropische Krankheiten


Das DZIF hat ein neues Forschungskonsortium gegründet, das die vernachlässigten tropischen Krankheiten in den Blick nimmt. Es reagiert damit auf den dringenden Forschungsbedarf für diese Gruppe von Krankheiten, die die Ärmsten in tropischen Ländern Afrikas treffen und eine hohe Zahl an Todesfällen und lebenslangen Beeinträchtigungen hervorrufen. Anders als Malaria, Tuberkulose und HIV/Aids betreffen sie nicht die Industrieländer und wurden daher vielfach vernachlässigt, auch im Hinblick auf Forschungsgelder. Wir sprachen mit dem Koordinator des neuen Konsortiums, Prof. Achim Hörauf vom Universitätsklinikum Bonn, über die Notwendigkeit dieser neuen Projekte und ihrer Ziele im DZIF.


Die Deutschen Zentren für Gesundheitsforschung wurden vor einigen Jahren ins Leben gerufen, um insbesondere "Volkskrankheiten" zu bekämpfen. Wie passen die vernachlässigten tropischen Krankheiten in dieses Programm?

Achim Hörauf: Diese Krankheiten passen hervorragend in unser Konzept. Viele vernachlässigte Tropenkrankheiten sind Wurmerkrankungen, die zwar nicht so gefährlich sind für Touristen, die aber in den betroffenen Ländern ebenfalls als Volkskrankheiten bezeichnet werden können. Sie sind teilweise häufiger als beispielsweise Malaria.


Das Konsortium arbeitet im DZIF eng mit den Afrikanischen Partner-Institutionen zusammen. Bisher gab es hier vor allem Projekte zu Tuberkulose, Malaria und Aids. Wie entstand die Idee, sich intensiver mit den vernachlässigten Erkrankungen wie zum Beispiel Wurmerkrankungen auseinanderzusetzen?

Achim Hörauf: Die Idee ist nicht neu und wir arbeiten im DZIF bereits an einigen vernachlässigten Krankheiten. Doch auch aus der Politik kamen jetzt klare Signale, diese Forschung auszubauen. Deutschland sollte hier eine größere Rolle spielen als bisher. Gerade das DZIF kann das leisten, weil wir bereits gute Partnerschaften in einige betroffene Weltregionen aufgebaut haben.


Die WHO hat 20 Krankheiten als vernachlässigte tropische Krankheiten eingeordnet. Es handelt sich in erster Linie um Wurmerkrankungen, aber auch um einige bakterielle und virale Erreger. Auf welche Krankheiten wollen Sie sich in Ihren Forschungsprojekten im DZIF konzentrieren?

Achim Hörauf: Wir werden zunächst an vier Themen arbeiten. In Bonn wollen wir bessere Biomarker für die Diagnose der Flussblindheit entwickeln. In Hamburg steht eine verbesserte Diagnostik und die Epidemiologie der Bilharziose auf dem Programm, eine weitverbreitete Wurmerkrankung mit vielen Folgeschäden. Am Standort München sind die Helminthen im Fokus, parasitische Würmer, die häufig als Co-Infektion bei HIV-Infizierten auftreten. In Tübingen wird es zunächst um Diagnostika gehen, die mehrere Parasiten aufspüren können. Das Auftreten von verschiedenen Parasiten ist in Afrika ein häufig auftretendes Problem, das bei Impfungen und anderen Maßnahmen berücksichtigt werden muss.


Es geht demnach insbesondere um die Entwicklung neuer Diagnosemethoden. Wird das DZIF auch an Medikamenten und Impfstoffen gegen diese Krankheiten forschen?

Achim Hörauf: Gute Diagnostik, das frühzeitige Erkennen dieser Krankheiten, spielt eine enorm große Rolle. Denn viele dieser Krankheit werden derzeit erst sehr spät erkannt, weil die Tests dafür nicht empfindlich genug sind. Wir müssen aber - das ist eine Forderung, die sich auch aus den "Sustainable Development Goals" ergibt - die Infektionen jedes einzelnen Patienten sicher erkennen können, um auch individuell gut helfen zu können. Aber natürlich werden wir in Zukunft auch an Medikamenten und Impfstoffen forschen, so wie das DZIF es in den anderen Bereichen tut. Ein Beispiel ist unser Forschungsprojekt zu Filariosen. Hier entwickeln wir gerade ein wirksames Antibiotikum, das Corallopyronin A (siehe Kasten), das aber auch gegen Staphylokokken und sexuell-übertragene Infektionen wie Chlamydien und Gonokokken wirksam ist.

Planen Sie, das Forschungsspektrum für vernachlässigte tropische Krankheiten im DZIF zu erweitern und wenn ja, in welche Richtung?

Achim Hörauf: Wir haben, sozusagen als "Seed-Project", uns im ersten Schritt auf Diagnostika gegen einige wichtige Helminthen fokussiert. Aber es gibt auch etliche Gruppen an den DZIF-Standorten, die bereits an anderen NTDs arbeiten, z. B. an Leishmanien oder dem Schweinebandwurm, sodass wir auch andere Infektionen in das Konsortium integrieren können.

Vielen Dank für das Gespräch.


Hintergrundinformationen
Vernachlässigte tropische Krankheiten (Neglected Tropical Diseases, NTD) Die vernachlässigten tropischen Krankheiten kommen vor allem in armen Ländern in tropischen und subtropischen Regionen vor, zum Beispiel in Afrika. Sie treffen die Ärmsten und führen oft zu lebenslangen Behinderungen oder auch zum Tode der Betroffenen. Schätzungen gehen von etwa 1 Milliarde Erkrankungen weltweit aus. 1,9 Milliarden Menschen sind in Gefahr, derzeit durch vernachlässigte Tropenkrankheiten arbeitsunfähig, blind, entstellt, behindert zu werden oder zu sterben. Es sind vor allem Erkrankungen, die durch Würmer hervorgerufen werden. So zum Beispiel die Flussblindheit (Onchozerkose) oder auch die gefürchtete Elefantiasis (lymphatische Filariose), die zu elefantös entstellten Gliedmaßen führen kann. Neben Wurmerkrankungen sind auch bakterielle und virale Infektionen verbreitet; zu den letzteren gehören zum Beispiel die Tollwut oder das Dengue-Fieber. Allen Krankheiten ist gemeinsam, dass die Symptome oft nur langsam auftreten und eine Diagnose schwierig ist. Meist wird die Krankheit zu spät erkannt und nimmt einen chronischen Verlauf.

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In der Arbeitsgruppe von DZIF-Professor Dr. Achim Hörauf, Uniklinikum Bonn, wurde bereits 2011mit Corallopyronin A eine Substanz entdeckt, die ein wirksames Antibiotikum gegen Würmer aus der Gruppe der Filarien sein kann. Die Substanz schadet den Würmern, indem sie deren symbiotischen "Lebenspartner" angreift: Sie tötet nämlich die Bakterien, die überlebenswichtig für die Würmer sind. Infektionen mit Filarien führen unbehandelt zur sogenannten Elephantiasis, bei der ein Körperteil sich "elefantös" vergrößert. Auch die Flussblindheit ist eine bekannte Folge einer Filarieninfektion. Bisher eingesetzte Medikamente haben den Nachteil, dass sie meist nur die kurzlebigen Wurmlarven, nicht aber die zehn bis 15 Jahre lebenden erwachsenen Würmer abtöten oder zu hohen Nebenwirkungen führen. Corallopyronin A bietet hierfür eine erfolgversprechende Lösung und wird derzeit in präklinischen Studien weiterentwickelt. Die derzeitige Planung ist dabei eine Zulassung für erste Studien am Menschen in ca. vier Jahren.


Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1833

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsches Zentrum für Infektionsforschung - 24.08.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2018

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