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INFEKTION/1399: Forschung - Neue Hoffnung für den Kampf gegen Tuberkulose (idw)


Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung - 04.06.2015

Neue Hoffnung für den Kampf gegen Tuberkulose

Wissenschaftler von HIPS und HZI entdecken neue Zielstruktur für die Bekämpfung von multiresistenten Mykobakterien


Der Weltgesundheitsorganisation zufolge infizierten sich im Jahr 2012 rund 8,7 Millionen Menschen an Tuberkulose, rund 1,3 Millionen Menschen sterben jährlich weltweit an der Krankheit. Ein großes Problem dabei ist, dass die Tuberkuloseerreger Resistenzen gegen die Antibiotika entwickelt haben, mit denen sie bekämpft werden sollen. Wissenschaftler am Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) in Saarbrücken und am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig sowie am Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) haben nun gemeinsam mit Wissenschaftlern von Sanofi einen neuen Wirkstoff des Gesundheitsunternehmens untersucht, der das Potential hat, diese Probleme zu beheben: den Naturstoff Griselimycin. Diesen Wirkstoff und seine einzigartige Wirkweise beschreiben die Wissenschaftler nun im renommierten Fachmagazin Science.

Mycobacterium tuberculosis ist der Hauptverursacher von Tuberkulose. Behandelt wird die Erkrankung, indem verschiedene Medikamente über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten verabreicht werden. Hält man sich nicht konsequent an den Behandlungsplan, scheitert die Bekämpfung der Krankheit und Resistenzen treten verstärkt auf. "Komplexität und Dauer der Behandlung stellen ein Problem dar und führen dazu, dass sich in den letzten Jahren vermehrt resistente Erreger gebildet haben", sagt Prof. Rolf Müller, Geschäftsführender Direktor und Leiter der Abteilung Mikrobielle Naturstoffe am HIPS, einer gemeinsamen Einrichtung des HZI und der Universität des Saarlandes.

Neue Medikamente und Behandlungswege gegen die resistenten Erreger werden daher ebenso dringend benötigt, wie eine Möglichkeit, die Behandlungsdauer zu verringern. Basierend auf früheren Berichten konzentrierte sich Müller gemeinsam mit Kollegen vom HZI, Prof. Jacques Grosset an der John Hopkins School University of Medicine in Baltimore und Sanofi-Wissenschaftlern zunächst auf den Naturstoff Griselimycin. Das Potential dieses Naturstoffs wurde bereits in den 60er Jahren entdeckt. Aufgrund der Erfolge anderer Tuberkulose-Medikamente und geringer Wirksamkeit im Infektionsmodell wurde er aber seinerzeit nicht weiterentwickelt.

"Wir haben nun die Arbeiten mit diesem Wirkstoff wieder aufgenommen. Die Muttersubstanz wurde so optimiert, dass sie nun hervorragende Aktivität im Infektionsmodell zeigt - und das auch gegen multiresistente Tuberkulose-Erreger", sagt Müller. Die Forscher entdeckten, dass Cyclohexylgriselimycin, eine Variante des Griselimycins, besonders effektiv gegen die Mycobacterium tuberculosis wirkte und zwar sowohl in Zellen wie auch im Tiermodell. Ein weiterer entscheidender Punkt, der das Medikament als Tuberkulose-Wirkstoff interessant macht, ist dass er seine Wirksamkeit auch entfaltet, wenn er oral verabreicht wird. So wird die Einnahme über einen langen Zeitraum deutlich unkomplizierter. Außerdem erhöhte sich die Wirksamkeit des normalerweise verabreichten Antibiotika-Cocktails durch die Kombination mit dem Stoff.

Die Wissenschaftler konnten nicht nur zeigen, dass Cyclohexylgriselimycin gegen Tuberkulose wirkt, sie konnten auch den Mechanismus dahinter aufklären. "Die Substanz bindet im Tuberkulose-Erreger an die sogenannte DNA-Klammer und unterdrückt dadurch die Aktivität des Enzyms DNA-Polymerase, welche die Erbinformation in der Zelle vervielfältigt", sagt Müller. Ohne die DNA-Klammer kann weder DNA-Replikation noch effiziente DNA-Reparatur stattfinden und die bakteriellen Erreger können sich im Körper nicht mehr vermehren. Strukturbiologen am HZI gelang es, die Detailstruktur der DNA-Klammer mit daran gebundenem Cyclohexylgriselimycin zu ermitteln. "Auf diese Weise konnte der besondere Wirkmechanismus des neuen Antibiotikums bei hoher Auflösung aufgeklärt werden", sagt Prof. Dirk Heinz, Wissenschaftlicher Geschäftsführer des HZI, der ebenfalls an der Studie beteiligt war.

Da sich dieser Mechanismus von der Wirkweise der bisher gegen Tuberkulose und alle anderen bakteriellen Erreger eingesetzten Antibiotika unterscheidet, ist die Gefahr der Resistenzbildungen zunächst gering. Zudem konnten die Wissenschaftler auch zeigen, dass in Mykobakterien, zu denen der Tuberkulose-Erreger gehört, die Resistenzbildung zwar möglich ist, aber mit extremen Einbußen für das Wachstum der Erreger einhergeht, so dass man das Potential für die Resistenzentwicklung als gering einschätzen kann. "Wir sind hoffnungsvoll, mit Cyclohexylgriselimycin einen Wirkstoff in der Hand zu haben, der künftig sogar gegen resistente Tuberkuloseerreger eingesetzt werden kann und zu einer erfolgreicheren Bekämpfung der Krankheit beiträgt", sagt Müller.

"Es werden dringend neue Medikamente benötigt, um multi-resistente Erreger zu bekämpfen. In dieser Studie ist es zum einen gelungen, eine neue Therapiemöglichkeit für Tuberkulose zu identifizieren und zum anderen konnte ein Mechanismus aufgeklärt werden, der die Entstehung von Resistenzen verhindert", sagt Gary Nabel, Wissenschaftlicher Direktor von Sanofi. "Wir freuen uns sehr über die gute Zusammenarbeit mit den Kollegen in Deutschland und den USA, die es uns ermöglicht die Expertise aus der Industrie mit der aus der akademischen Forschung zu kombinieren, um Patienten zu helfen".

Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung

Am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen Wissenschaftler die Mechanismen von Infektionen und ihrer Abwehr. Was Bakterien oder Viren zu Krankheitserregern macht: Das zu verstehen soll den Schlüssel zur Entwicklung neuer Medikamente und Impfstoffe liefern. Am seinem Standort in Braunschweig-Stöckheim blickt das Zentrum auf eine jahrzehntelange Historie zurück. Bereits 1965 begannen hier die ersten Arbeiten; 2015 feiert das HZI 50-jähriges Jubiläum. Weitere Informationen:
www.helmholtz-hzi.de

Die Universität des Saarlandes

Die Universität des Saarlandes ist international bekannt durch die Informatikforschung und die Nano- und Lebenswissenschaften. Allein in den Lebenswissenschaften, vor allem der Medizin, Pharmazie und Biologie, sowie den Naturwissenschaften, forschen über 600 Wissenschaftler auf dem Uni-Campus in Saarbrücken. Die engen Beziehungen zu Frankr und der Europa-Schwerpunkt sind weitere Markenzeichen der Saar-Uni. Weitere Information:
http://www.uni-saarland.de/

Das Deutschen Zentrum für Infektionsforschung

Im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) entwickeln bundesweit mehr als 250 Wissenschaftler aus 32 Institutionen gemeinsam neue Ansätze zur Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Infektionskrankheiten. Ziel ist die sogenannte Translation: die schnelle, effektive Umsetzung von Forschungsergebnissen in die klinische Praxis. Damit bereitet das DZIF den Weg für die Entwicklung neuer Impfstoffe, Diagnostika und Medikamente gegen Infektionen. Weitere Informationen:
www.dzif.de


Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.helmholtz-hzi.de/de/aktuelles/news/ansicht/article/complete/neue_hoffnung_fuer_den_kampf_gegen_tuberkulose/
Diese Meldung auf der Homepage des HZI (sobald das Embargo fällt)

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution129

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung, Rebecca Winkels, 04.06.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2015

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