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DEMENZ/295: Recht - Die Patientenverfügung ... hilft sie bei Entscheidungen am Lebensende? (Alzheimer Info)


Alzheimer Info, Ausgabe 4/16
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz

Die Patientenverfügung
Hilft sie bei Entscheidungen am Lebensende?

Von Bärbel Schönhof


Der Bundesgerichtshof hat in einem Urteil vom 6. Juli 2016 (AZ: XII ZB 61/16) den Inhalt von Patientenverfügungen konkretisiert. Grundsätzlich stellen sämtliche ärztliche Behandlungen eine strafbare Körperverletzung dar, sofern die Ärzte nicht mit Einwilligung der Patienten handeln. Ausnahmen bilden nur ärztliche Maßnahmen, die keinen Aufschub dulden, weil sich die Patienten in einer lebensbedrohlichen Situation befinden. Hier muss sich der Arzt nach dem mutmaßlichen Willen des Patienten richten, wobei er davon ausgehen darf, dass ein Patient in Lebensgefahr behandelt werden will.

Für alle anderen medizinischen Behandlungssituationen ist die Einwilligung zur Behandlung erforderlich. Wenn der Patient selbst nicht mehr in der Lage ist, eine solche Einwilligung zu erteilen (z.B. aufgrund fortgeschrittener Demenz), kann die Einwilligung stellvertretend erteilt werden, sofern ein Dritter dazu berechtigt ist. Notwendig ist dafür die Erteilung einer Vollmacht seitens des Patienten an den Angehörigen oder einen anderen Dritten (Vorsorgevollmacht) oder die Einrichtung einer rechtlichen Betreuung durch das Betreuungsgericht. Sowohl Bevollmächtigte als auch rechtliche Betreuer dürfen eine solche Entscheidung jedoch nur treffen, wenn sie den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge wahrnehmen.

Sollen Bevollmächtigte oder Betreuer auch Entscheidungen treffen dürfen, mit denen sie ggf. Behandlungsmaßnahmen in der letzten Lebensphase beenden oder die Einwilligung in lebensverlängernde Maßnahmen verweigern, muss zusätzlich ein Verweis auf § 1904 BGB erfolgen. Dabei muss inhaltlich auf die dort genannten Maßnahmen ausreichend klar Bezug genommen werden, weil sonst der Schutz des Patienten nicht erreicht würde. Der Vollmachttext muss klar umschreiben, dass sich die Entscheidungskompetenz des Bevollmächtigten auf die im Gesetz genannten ärztlichen Maßnahmen sowie darauf bezieht, diese zu unterlassen oder am Patienten vornehmen zu lassen. Hierzu muss aus der Vollmacht auch deutlich werden, dass bei einer solchen Entscheidung die Gefahr besteht, dass der Patient stirbt oder einen schweren oder länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleiden kann.

Die Praxis zeigt, dass nicht nur nahe Angehörige von Patienten zu Bevollmächtigten oder rechtlichen Betreuern bestellt werden, sondern auch fremde Dritte, die die Patienten möglicherweise erst im Zustand der Einwilligungsunfähigkeit kennenlernen und insofern nicht wissen, wie die Patienten sich in der letzten Lebensphase in Bezug auf lebensverlängernde Maßnahmen entscheiden würden. Hilfreich ist hier eine Patientenverfügung, die nicht nur konkrete Weisungen an die behandelnden Ärzte für den Fall der Einwilligungsunfähigkeit des Patienten beinhalten, sondern auch dem Bevollmächtigten oder rechtlichen Betreuer Hinweise dafür geben, wie sie stellvertretend entscheiden sollen.

Der Gesetzgeber wollte mit den Regelungen in §§ 1901a und b, 1904 BGB den betroffenen Patienten eine vorsorgende Entscheidung der Fragen ermöglichen, die sich zu einem Zeitpunkt stellen können, in dem die Patienten zu einer eigenen rechtlich wirksamen Entscheidung nicht mehr in der Lage sind. Hierfür ist die Patientenverfügung vorgesehen.

Wirkung entfaltet eine Patientenverfügung jedoch nur dann, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Patienten über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können. Nicht ausreichend sind, insbesondere nach der aktuellen Entscheidung des Bundesgerichtshofes, allgemeine Anweisungen, wie die Aufforderung, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist. Anforderungen an solche Formulierungen dürfen jedoch nicht überspannt werden. Vorausgesetzt werden kann nur, dass die Betroffenen beschreiben, was sie in einer bestimmten Lebens- und Behandlungssituation wollen und was sie nicht wollen. Eine konkrete Beschreibung dessen, was die Patienten wünschen oder nicht wünschen, kann durch die Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen (z.B. künstliche Ernährung oder künstliche Beatmung) oder die Bezugnahme auf ausreichend beschriebene Krankheiten oder Behandlungssituationen (z.B. Zustand nach Wachkoma, Demenz etc.) erfolgen.

Bevollmächtigte und Betreuer müssen prüfen, ob die Patientenverfügung auf die aktuell eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft. In diesem Zusammenhang sollen sie auch prüfen, ob die Entscheidung noch dem Willen des Betroffenen entspricht oder ob sein aktuelles Verhalten konkrete Anhaltspunkte dafür liefert, dass er unter den gegebenen Umständen nicht mehr an dem zuvor geäußerten Willen festhalten möchte. Die Entscheidung ist mit dem behandelnden Arzt zu erörtern, hierbei haben nahe Angehörige und sonstige Vertrauenspersonen die Möglichkeit, sich ebenfalls zu äußern. Liegt eine wirksame und auf die aktuelle Situation zutreffende Verfügung vor, müssen Bevollmächtige bzw. rechtliche Betreuer diesen Willen durchsetzen.

Insoweit trägt die Entscheidung des Bundesgerichthofes zu einer weiteren Konkretisierung der Anforderungen an eine wirksame Patientenverfügung bei, ohne diese Anforderungen für die Patienten zu überspannen oder gar unmöglich zu machten.


Bärbel Schönhof, Bochum
Rechtsanwältin und Fachanwältin für Sozialrecht

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Quelle:
Alzheimer Info, Ausgabe 4/16, S. 18
Nachrichten der Deutschen Alzheimer Gesellschaft Selbsthilfe Demenz
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Januar 2017

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