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POLITIK/1697: Neuer "Pflegeurlaub" - Geschenk an die Unternehmer (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 11 vom 19. März 2010
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Neuer "Pflegeurlaub" - Geschenk an die Unternehmer
Familienministerin Schröder legt neue Regelung zur häuslichen Pflege vor

Von Hans-Peter Brenner


Am Rande der Münchner Handwerksmesse trafen letzte Woche die Chefs der wichtigsten Unternehmer- und Handwerksverbände D. Hundt (BDA), H.-P. Keitel (BDI), P. Bauwens-Adenauer (DIHK), und O. Kentzler, (ZDH), mit Bundeskanzlerin Merkel zusammen. In einer gemeinsamen Erklärung forderten die Spitzenverbände des Kapitals die Bundesregierung dazu auf, ihre in der Koalitionsvereinbarung festgelegten Pläne zu einer noch stärkeren Begünstigung der Unternehmen und Kapitalinteressen zügiger umzusetzen. Dies müsse für den Bereich der Steuer- und Wirtschaftspolitik - hier sei eine grundlegende Steuerreform nötig - aber auch auf dem Gebiet von Gesundheits- und Sozialversicherung gelten.

Die noch stärkere Bedienung der Unternehmerinteressen im Bereich der Steuern und Finanzen, so räumen die Spitzen des Kapitals ein, könnte objektiv angesichts der schwierigen Finanzsituation der "öffentlichen Hand" kompliziert sein. Es gebe durchaus Widersprüche zu den anderen unternehmerfreundlichen Zielen: Haushaltskonsolidierung, Beitragsstabilität in den Sozialversicherungen und Investitionen in Bildung, Forschung und Infrastruktur. Deswegen, so erklärten die Unternehmerverbände, komme es entscheidend auf ein "stufenweises Vorgehen" an.


Eckpunkte im Bereich Gesundheit und Pflege

Die Eckpunkte im Bereich Gesundheit und Pflege heißen dafür: "Die Gesundheits- und Pflegekosten müssen dringend vom Arbeitsverhältnis entkoppelt werden. Die von der Koalition geplante Schaffung von mehr marktwirtschaftlichen Elementen und Anreizen für ein kosten- und gesundheitsbewusstes Verhalten der Versicherten, die Festschreibung des Arbeitgeberanteils bei der gesetzlichen Krankenversicherung, die Einführung einkommensunabhängiger Arbeitnehmerbeiträge und die Ergänzung der Pflegeversicherung durch kapitalgedeckte Vorsorge sind wichtige Schritte dorthin." Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte nach dem Treffen, sie verstehe die Kritik als "Ansporn". BDI-Präsident Hans-Peter Keitel sagte, es sei deutlich geworden, "dass wir uns um gemeinsame Ziele Sorgen machen". Keitel hatte der Koalition aus CDU/CSU und FDP zuvor in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung "Orientierungslosigkeit", das "Fehlen mittel- und langfristiger Konzepte", "handwerkliche Fehler" sowie "einen Mangel an Ernsthaftigkeit" vorgeworfen.

Gegenüber der öffentlichen Kritik der Unternehmerverbände, dass die schwarz-gelbe Regierung viel zu zögerlich an die Umsetzung der vereinbarten Einschnitte in das "sozialstaatliche Netz" und den radikalen Umbau der sozialen Sicherungssysteme herangegangen sei, setzte sich Merkel zur Wehr. Es gebe ein hohes Maß an Übereinstimmung. Außerdem habe ihre Regierung doch schon die Kurzarbeit verlängert und die Erbschaftssteuer reformiert. Die Kanzlerin empfahl außerdem den Kapitalistenverbänden der geplanten Teilzeitarbeit für Beschäftigte mit pflegebedürftigen Familienangehörigen zuzustimmen. Sie rate dazu, diesen Plan "nicht vom Tisch zu wischen", sondern darüber zu diskutieren. Mit dem Pflegezeit-Vorschlag greife Familienministerin Kristina Schröder ein "zentrales Thema der Gesellschaft" und die Sorgen vieler Menschen auf, lobte die Kanzlerin. Der von der neuen Familienministerin Schröder vorgelegte Plan sieht vor, dass Berufstätige während einer zweijährigen Pflegezeit, in der sie Angehörige zu Hause versorgen, nur einer Halbzeitarbeit bei einem auf 75 Prozent reduzierten Gehalt nachzugehen brauchen. Bei Wiederaufnahme der Vollzeitarbeit bekämen sie solange auch nur 75 Prozent ihres Gehaltes ausgezahlt, wie sie zuvor in Teilzeit gearbeitet haben.


Pflegeverbände erkennen die "Pferdefüße" nicht

Dieser Vorschlag wurde von den großen Sozialverbänden, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband (DPWV) und der Volkssolidarität (SoVD) positiv bewertet. Der Vorsitzende des DPWV, Dr. Jüttner, lobte sogar die CDU-Ministerin, weil sie ein Thema angepackt habe, das bislang "sträflich vernachlässigt" worden sei. Und auch der Bundesgeschäftsführer des SoVD, eines der wenigen noch bestehenden sozialen Relikte aus DDR-Zeiten, Dr. Niederland, sprach sich für eine wohlwollende ernsthafte Prüfung dieses Vorschlages aus. Dabei übersehen die Repräsentanten der beiden großen Sozialverbände gleich mehrere Pferdefüße.

Im Grundsatz bedeutet die von Ministerin Köhler vorgeschlagene Regelung, dass die pflegenden Familienangehörigen mit den enormen finanziellen, gesundheitlichen und psychischen Belastungen der heimischen Pflege allein gelassen werden. Sie selbst tragen die Kosten dieser Pflege aus der eigenen Tasche. Sie nehmen im Grunde nur einen von ihnen selbst zu finanzierenden "Pflegeurlaub." Damit tun sie aber genau das, was die großen Kapitalistenverbände im Bereich der Pflegeversicherung seit Jahren gefordert haben. Aus einem die gesamte Gesellschaft mehr und mehr berührenden Problem soll ein individuelles, privates gemacht werden.


Forderungen der Kapitalistenverbände

Seit Einführung der gesetzlichen "Sozialen Pflegeversicherung" im Jahre 1995 war es die erklärte Position der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände BDA die Pflege von den Arbeitskosten abzukoppeln und die Sachleistungen, wie es in einer BDA-Erklärung vom Februar 2007 hieß, "auf einem insgesamt niedrigeren Niveau" anzusiedeln und sich auf "eine Basissicherung mit Kernleistungen" zu beschränken. Die gesamte Pflege müsse als eine Privatangelegenheit angesehen werden und dementsprechend auch durch eine private, "kapitalgedeckte Risikovorsorge" versichert werden.

In dem in dieser Zeitung in den letzten Jahren mehrfach erwähnten strategischen "Masterplan" des Großkapitals von 1994 "Sozialstaat vor dem Umbau", verfasst von der BDA, hatte die Zentrale des deutschen Monopolkapitals massiv gegen die ein Jahr später staatliche Pflegeversicherung polemisiert und den jetzt durch das Pflegemodell der jungen CDU Familienministerin verwirklichten Grundsatz der Privatisierung der Pflegeleistungen so begründet: "Eine nach den herkömmlichen Grundsätzen der Sozialversicherung ausgestaltete Pflegeversicherung widerspricht den Grundsätzen der Subsidiarität und Eigenverantwortung. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse in der Bundesrepublik lassen es zu, der Eigenverantwortung der Bürger mehr Raum zu geben ...

Große Bedenken bestehen nach wie vor gegenüber der Beteiligung der Arbeitgeber an der Finanzierung der Pflegeversicherung." Der Schröder Vorschlag ist also nichts anderes als ein weiteres Geschenk an die Unternehmer, ein weiterer Baustein für den "Systemwechsel" und dem Bruch mit einem mehr oder minder bürgerlich-sozialstaatlich verfassten Sozial- und Gesundheitssystem, in dem die Unternehmer gesetzlich gezwungen sind - bzw. waren - auf der Basis des Lohnbezuges der Beitragszahlungen einen "paritätischen" Anteil der Finanzierung mit zu übernehmen. Es ist unverständlich, dass die großen Sozialverbände diesen Zusammenhang nicht erkennen oder nicht politisch richtig einschätzen.


Kritik aus öffentlich-rechtlichen Medien

Doch es gibt auch richtige Grundsatzkritik an dem Modell des neuen Pflegeurlaubs aus den öffentlich-rechtlichen Medien. Überraschend klar hat z. B. die Kommentatorin des Westdeutschen Rundfunks, Lioba Werrelmann, den Vorschlag der Familienministerin als Täuschungsmanöver kritisiert. "Die Vorschläge von Familienministerin Kristina Schröder für eine gesetzlich garantierte Pflegezeit sind so dermaßen von gestern - man fragt sich, wie eine 32-Jährige auf so etwas kommt. Und ahnt mehr als zuvor, wessen Geistes Kind sie ist ....

Niemand käme auf die Idee, das Elterngeld, das Mütter bekommen, wenn sie bis zu einem Jahr bei ihren kleinen Kindern zu Hause bleiben, später von diesen abarbeiten zu lassen. Das ist so, weil die Erziehungsarbeit mittlerweile als gesellschaftlich wichtig anerkannt ist. Ohne die Leistung von Müttern schmälern zu wollen, die Pflege einer demenzkranken Mutter kann um ein Vielfaches anstrengender sein. Und um ein Vielfaches deprimierender. Wer sich das antut, aus Liebe oder aus Pflichtbewusstsein, der sollte - zusätzlich zu dem, was die Pflegeversicherung bezahlt - eine Lohnersatzleistung bekommen, vergleichbar dem Elterngeld. Das wäre gerecht, und es wäre zeitgemäß."

Und Lioba Werrelmann kommt zu dem Fazit: "Was ist der Ministerin also diese Pflege wert? Gar nichts." Genau so ist es. Aber damit setzt Schröder nur um, was die eigentlichen Drahtzieher in den Zentralen des Großkapitals ihr diktieren und von ihr erwarten.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 42. Jahrgang, Nr. 11,
19. März 2010, Seite 4
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. März 2010