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POLITIK/1695: Rede von Philipp Rösler zum Haushaltsgesetz 2010, 19. März 2010 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers für Gesundheit, Dr. Philipp Rösler,
zum Haushaltsgesetz 2010 vor dem Deutschen Bundestag am 19. März 2010 in Berlin


Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Zunächst einmal möchte ich die gute Tradition fortsetzen und mich bei den Berichterstattern des Einzelplans 15 ausdrücklich auch im Namen aller meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die gute Zusammenarbeit bedanken. Die Ergebnisse für den Haushalt waren nicht immer angenehm, aber zumindest die menschliche Zusammenarbeit.

Die Gesundheitspolitik steht vor großen Aufgaben. Sie wurden schon zu Recht beschrieben. Wir werden immer älter, wir werden auch gesünder älter. Wir freuen uns über den medizinisch-technischen Fortschritt. Er ist ein Segen für die Menschheit. Aber all das muss natürlich auch bezahlt werden. Deswegen müssen wir hier alle ehrlich zu den Menschen sein. Zur Wahrheit gehört dann eben, dass Gesundheit und Gesundheitsversorgung in Zukunft besser werden, aber eben nicht billiger. Diese Wahrheit gehört zur Ehrlichkeit einer jeden gesundheitspolitischen Debatte einfach dazu.

Weil das so ist, brauchen wir ein robustes Finanzierungssystem. Die Menschen müssen die Sicherheit haben und die Gewissheit bekommen, dass das Geld, das sie heute einbezahlen, morgen auch für Vorsorge und Versorgung tatsächlich zur Verfügung steht. Diese Gewissheit haben sie bisher nicht. Wir sind als christlich-liberale Regierungskoalition angetreten, diese Gewissheit herzustellen.

Ihr Finanzierungssystem, in dem wir uns heute befinden, ist nicht in der Lage, diese Sicherheit den Menschen weiterhin zu geben, weil es sich im Prinzip in einem Zustand befindet wie eine Straße nach einem elf Jahre langen Winter. Überall tun sich neue Löcher auf. Es reicht eben nicht, einfach nur Notreparaturen durchzuführen. Statt Flickschusterei brauchen wir endlich ein solides Finanzierungsfundament für unsere gesetzliche Krankenversicherung.

Gerade jetzt in Krisenzeiten sehen wir doch die Konjunkturanfälligkeit reiner lohnbezogener Beiträge. Wir gleichen einen Großteil durch 3,9 Milliarden Euro aus, weil wir alle wissen, dass es fatal wäre, den Beitragssatz in der jetzigen Krisenzeit zu erhöhen. Das würde nämlich zu mehr Arbeitslosigkeit und zu weniger Einnahmen aus sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung führen. Dieses System schadet dem Arbeitsmarkt, auch der Krankenversicherung und damit den Menschen insgesamt. Deswegen ist es richtig, die Krankenversicherungskosten auf der einen Seite von den Lohnzusatzkosten auf der anderen Seite stärker zu entkoppeln als bisher; denn wir wollen nicht weniger Arbeitsplätze, sondern endlich wieder mehr.

Wir wollen auch mehr Gerechtigkeit. Ich habe Ihnen eine kurze Situationsbeschreibung mitgebracht. Ich darf zitieren: Angenommen, ein Bankdirektor mit einer Million Euro Jahresgehalt wäre bei der AOK versichert. Als Spitzenverdiener zahlt er 296,25 Euro. Das entspricht einem Beitragssatz von 0,36 Prozent seines Bruttogehaltes. Wörtlich heißt es weiter:

"Die Haushälterin des Bankiers und ihr als Gärtner angestellter Ehemann, Jahresgehalt jeweils 25.000 Euro, sind auch noch bei der AOK.

Zusammen zahlen sie 329,17 Euro an die Krankenkasse. Das sind gut 30 Euro mehr als ihr Chef."

Das sind keine Zahlen von CDU/CSU oder FDP, sondern Zahlen aus dem Spiegel der letzten Woche. Der Spiegel steht ja nicht im Verdacht, ein reines Regierungsverlautbarungsblatt zu sein. Deswegen darf ich das Zitat weiterführen:

"Willkommen in der gesetzlichen Krankenversicherung - dem vermutlich einzigen Solidarsystem der Welt, wo Putzfrauen bisweilen ihre Chefs subventionieren ..."

Wer das System noch solidarisch nennt, der hat es nicht verstanden. Das ist das Gegenteil von sozialer Gerechtigkeit, und deswegen werden wir das System verbessern. Die Regierungskommission wird dazu die richtigen Vorschläge unterbreiten.

Wir wollen die Einnahmeseite stabilisieren, und zwar durch einen höheren Anteil einkommensunabhängiger Beiträge. Wir werden jeden, je nach seiner Leistungsfähigkeit, zu einem steuerfinanzierten Solidarausgleich heranziehen. Wir werden dafür sorgen, dass nur diejenigen Hilfe erhalten, die unsere Unterstützung wirklich benötigen. In unserem System wird es jedenfalls keinen Solidarausgleich für Banker geben. Unser System ist gerechter und sorgt endlich für mehr Solidarität in der Krankenversicherung.

Wir werden aber nicht nur die Einnahmeseite stabilisieren, sondern auch auf die Ausgaben achten. Wir sind es den Menschen schuldig, dafür zu sorgen, dass sie nicht mehr als notwendig für die Krankenversicherung bezahlen. Das beste Beispiel ist der Arzneimittelsektor. Sie, Herr Kollege, mit all Ihren Vertretern der ehemals großen Volkspartei SPD hatten elf Jahre lang Zeit, etwas im Arzneimittelsektor zu tun. Sie haben einfach weggesehen, als die Arzneimittelindustrie den Menschen die Preise diktiert hat. Sie sind die Letzten, die uns an dieser Stelle Ratschläge erteilen sollten.

Wir brauchen Innovationen im Arzneimittelmarkt. Wir wollen auch eine schnelle Markteinführung. Trotzdem können wir nicht akzeptieren, dass die Industrie den Menschen die Preise diktiert. Das geht nämlich zulasten der Versicherten, zulasten der Patientinnen und Patienten.

Deswegen brauchen wir ein neues Preissystem. Künftig muss jedes Unternehmen, das einen höheren Preis haben will, zunächst einmal einen höheren Nutzen für Patientinnen und Patienten belegen. Ich finde, die Industrie ist diesen Beweis bisher schuldig geblieben. Deswegen werden wir sie gesetzlich dazu verpflichten, einen solchen Beweis in Form von Studien vorzulegen. Wir jedenfalls lassen unsere Patientinnen und Patienten nicht im Stich.

Diese Studien werden dann selbstverständlich die Grundlage für Vertragsverhandlungen zwischen den Kassen auf der einen Seite und der Industrie auf der anderen Seite sein. Seien Sie versichert: Wir werden dafür sorgen, dass die Partner sich an einem Tisch zusammenfinden, um schnellstmöglich Verträge abzuschließen; denn neben den mittel- und langfristigen Maßnahmen werden wir selbstverständlich auch schnell wirksame Instrumente einsetzen, beispielsweise Preismoratorien oder verpflichtende Rabatte. Diese Maßnahmen und Instrumente werden so lange erhalten bleiben, bis die mittel- und langfristigen Instrumente anfangen zu wirken. Gute Versorgung mit Medikamenten zu niedrigeren Preisen, das ist unser Ziel. Wir als Regierungskoalition werden dabei erfolgreich sein und dieses Ziel auch erreichen.

Sie sehen bei diesen Haushaltsberatungen: Selbstverständlich kann es gelingen, auf der Einnahmeseite das System robuster und stabiler zu gestalten und die Ausgaben besser als bisher zu kontrollieren. Wir sind angetreten, damit im deutschen Gesundheitssystem endlich etwas passiert. Wir werden ein Gesundheitssystem auf den Weg bringen, das zukunftsorientiert zu Ende gedacht ist und endlich wieder sozial gerecht ist. Das haben wir den Menschen versprochen und das werden wir auch einhalten.

Zuerst zu der Frage, Herr Kuhn, in welche Richtung die Arbeit der Regierungskommission gehen soll. Das ist einfach und klar zu beschreiben. Das ist auch nachzulesen; das steht im Koalitionsvertrag. Ich schicke Ihnen diesen gerne zu. Es lohnt sich übrigens, sich auch alle anderen Kapitel durchzulesen. Herr Kollege, die Aufgabe der Regierungskommission ist nicht, das endgültige System zu beschreiben - das steht bereits im Koalitionsvertrag -, sondern, den Weg vom Zustand heute zum Idealzustand von morgen genau vorzugeben; denn nach elf Jahren roter und rot-grüner Gesundheitspolitik wird man nicht von heute auf morgen das System schlagartig verbessern können.

Wir werden daher in kleinen Schritten - das macht Sinn - auch einkommensunabhängige Beiträge einführen; denn wir dürfen weder die steuerlichen Finanzierungssysteme noch die Menschen überfordern. Diese Vorgehensweise ist richtig. Das Ziel ist klar benannt. Der Weg dorthin wird von der Regierungskommission beschrieben. Wir wollen eine vernünftige Gesundheitsversicherung, die solidarischer und gerechter ist als all das, was Sie bisher auf den Weg gebracht haben.


*


Quelle:
Bulletin Nr. 29-1 vom 19.03.2010
Rede des Bundesministers für Gesundheit, Dr. Philipp Rösler,
zum Haushaltsgesetz 2010 vor dem Deutschen Bundestag
am 19. März 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2010