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ARTIKEL/1091: Ohne ein Gegensteuern droht Schleswig-Holstein ein Ärztemangel (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 11/2009

Versorgungsbericht der KV Schleswig-Holstein
Berliner Einheitslösungen helfen nicht bei regionalen Problemen

Von Dirk Schnack


Ohne ein Gegensteuern droht Schleswig-Holstein ein Ärztemangel. Die KVSH zeigt im aktuellen Versorgungsbericht Lösungswege auf.

Die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH) will mit weitreichenden Maßnahmen einen Ärztemangel verhindern. Dafür benötigt sie aber mehr Entscheidungsfreiheit auf regionaler Ebene. Wie groß der Handlungsbedarf ist, zeigt der aktuelle Versorgungsbericht.

"Wir fordern einen Kurswechsel hin zu einer Politik, die wieder mehr Freiräume für die Gestaltung der Versorgung in Schleswig-Holstein ermöglicht", so die kommissarische KV-Vorsitzende Dr. Ingeborg Kreuz bei der Präsentation des Versorgungsberichtes. Mit anderen Worten: Die KV verlangt die Verlagerung von Entscheidungskompetenz in die Regionen, denn: "Einheitslösungen aus Berlin werden dem regionalen Versorgungsbedarf nicht gerecht." Grund für den erneuten Vorstoß der KVSH in diese Richtung ist der sich abzeichnende Ärztemangel. In den nächsten sechs Jahren werden in Schleswig-Holstein rund 900 Hausärzte - und damit fast die Hälfte der Allgemeinmediziner - in Ruhestand gehen. "Nachwuchs in derselben Größenordnung ist nicht in Sicht", sagte Kreuz. Nur jeder fünfte hausärztlich tätige Vertragsarzt im Land ist jünger als 45 Jahre. Auch in der fachärztlichen Versorgung drohen erhebliche Lücken. Ohne Nachbesetzungen wird etwa die Zahl der Gynäkologen im Land von heute 332 auf 197 im Jahr 2015 sinken. Die Zahl der Augenärzte wird ohne Nachfolger von 175 auf 115 zurückgehen.

Als mögliche Ursachen für die nachlassende Motivation junger Ärzte, in die Niederlassung zu gehen, vermutet die KVSH die nach ihrer Darstellung "unberechenbaren Verdienstmöglichkeiten", die hohen Investitionskosten und die Überregulierung im Gesundheitswesen.

Wie aber könnten größere regionale Entscheidungsfreiheiten helfen, wenn sich immer weniger Ärzte für eine Niederlassung erwärmen? Kreuz machte dies am Beispiel der Bedarfsplanung deutlich. Mit mehr Freiheiten könnte die KV kleinräumiger planen, um zu verhindern, dass ein Großteil der Ärzte sich im jeweiligen Zentrum eines Planungsbezirks ansiedelt, während im Umland immer mehr Praxen keine Nachfolger mehr finden. Die Vorstellungen der KVSH gehen aber weit über eine Neuregelung der Bedarfsplanung hinaus. So fordert die Körperschaft u. a., dass sie künftig als unmittelbar Beteiligte in die Krankenhausplanung im Land einbezogen wird. Begründung: "Jede Entscheidung zur Krankenhausplanung hat unmittelbare Auswirkungen auf die ambulante Versorgung."

Wie eng beide Sektoren inzwischen verzahnt sind, beweisen die zahlreichen Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in der Hand von Klinikträgern und die Genehmigungen für die ambulante Behandlung durch Krankenhäuser nach Paragraf 116 b. Bei diesen Genehmigungen hatte die KVSH, anders als Körperschaften in anderen Bundesländern, von Beginn an auf Verständigung gesetzt und damit dazu beigetragen, dass heute zahlreiche Genehmigungen für Krankenhäuser erteilt wurden. Ein Mitspracherecht hatte die KVSH dabei allerdings nicht. Jetzt fordert die KVSH von der Bundespolitik, eine Ausweitung dieser hochspezialisierten ambulanten Leistungen durch Kliniken auf den Prüfstand zu stellen. Einen umfassenden Einstieg der Krankenhäuser in die ambulante Versorgung lehnt sie ab.

Deutlich wird im Versorgungsbericht die Skepsis der KV, ob die von der Politik gern als Allheilmittel zur Lösung der Versorgungsprobleme genannten MVZ die Erwartungen erfüllen können. Denn im Sommer waren in Schleswig-Holstein in 48 MVZ 231 Ärzte angestellt, von denen aber längst nicht alle in Vollzeit arbeiten. Hinzu kommt, dass in Schleswig-Holstein nur 40 Hausärzte in MVZ arbeiten, was deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegt. Die Hälfte der MVZ befindet sich in Klinikhand. Gerade diese MVZ tragen bislang aber wenig zur Lösung der Versorgungsprobleme bei, weil sie kaum in der Fläche zu finden sind. Ein Blick auf die Karte zeigt, dass die MVZ in kleineren Orten wie Kropp, Nortorf und Tellingstedt von Ärzten betrieben werden. Klinik-MVZ hingegen sind oft in Städten angesiedelt, die wenig Versorgungsprobleme haben, etwa in Kiel, Lübeck oder Norderstedt. Die KVSH verweist auf die hiermit verbundene Gefahr, dass solche MVZ als Konkurrenten zu niedergelassenen Ärzten auftreten können und damit die bestehenden Strukturen schwächen, wobei die niedergelassenen Ärzte nach Auffassung der Körperschaft eigentlich keinen Vergleich scheuen müssen. Nur: "MVZ in Krankenhausträgerschaft haben eine Reihe von Wettbewerbsvorteilen." Dies betrifft etwa die im Klinikbereich bereits finanzierte Ausstattung oder Kostenvorteile durch flexiblen Einsatz der Ärzte im MVZ und im stationären Bereich. Grundsätzlich befürchtet die KV, dass jungen Ärzten, die eine Praxis übernehmen wollen, der Einstieg in die selbstständige Tätigkeit erschwert wird - denn bei den von Klinikketten und anderen Investoren gezahlten Preisen für die Übernahmen von Arztsitzen können junge Ärzte nicht mithalten. "Diese Form des Verdrängungswettbewerbs ist weder im Interesse der Patienten noch der Nachwuchsmediziner, die als junge Existenzgründer über begrenztere finanzielle Ressourcen verfügen", heißt es im Versorgungsbericht.

Vom Land erwartet die Körperschaft konkrete Unterstützung bei der Nachwuchsgewinnung in der ambulanten Medizin. Die KV verweist hier auf Vorbilder wie Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Zugleich wünscht sich die KV eine grundlegende Neugestaltung der Honorierung ärztlicher Leistungen: "Konkret sollte umgehend die Einzelleistungsvergütung in der Region Schleswig-Holstein modellhaft erprobt werden."

Von der Bundesebene fordert die KV auch eine Stärkung der Freiberuflichkeit, keine Steuerung des Niederlassungsverhaltens durch Honorarzuschläge oder -abschläge, eine Revision des Gesundheitsfonds und eine Stärkung des Kollektivvertragssystems. Zugleich stellt die Körperschaft klar, dass sie zwar die Entlastung von Hausärztezentren durch qualifizierte Gesundheitsberufe begrüßt. Aber: "Bei solchen neuen Modellen kann es nicht um die Substitution ärztlicher Leistungen gehen, sondern stets nur um die Entlastung des Arztes durch die Delegation von klar definierten Aufgaben an besonders aus- bzw. fortgebildete Mitarbeiter."

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 11/2009 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2009/200911/h091104a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
MVZ - Standorte in Schleswig-Holstein

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt November 2009
62. Jahrgang, Seite 28 - 29
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Dezember 2009

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