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AUSLAND/1587: Kenia - Therapie hinter Gittern, wenn Tuberkulosepatienten die Behandlung verweigern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. September 2010

KENIA: Therapie hinter Gittern - Wenn Tuberkulosepatienten die Behandlung verweigern

Von Susan Anyangu-Amu


Nairobi, 15. September (IPS) - Das Gefängnis von Kapsabet in Kenias größter und bevölkerungsreichster Provinz Rift Valley beherbergt derzeit zwei ungewöhnliche Insassen: die Tuberkulose-Patienten Daniel Ngetich und Patrick Kirui. Beide Männer müssen unter Aufsicht acht Monate lang die ihnen verordnete Behandlung mit kostspieligen Medikamenten gegen die resistente MDR-TB nehmen, deren regelmäßige Einnahme sie in Freiheit versäumt oder verweigert hatten.

Mit der Begründung, sie gefährdeten die öffentliche Gesundheit, verurteilte ein Gericht die beiden Kranken zur Zwangstherapie hinter Gittern, die ein kenianisches Gesetz zulässt. Ngetichs ebenfalls TB-kranker älterer Bruder entging dem Arrest, weil sein bedenklicher Zustand eine sofortige Behandlung im Krankenhaus erforderte.

Der rigorose, gesetzlich gedeckte Präventivarrest für Kenianer mit hoch ansteckenden Infektionskrankheiten wird von Menschenrechtsaktivisten heftig kritisiert. Sie sehen darin eine Verletzung der Menschenrechte. Die Aussage der Regierung, bei den beiden eingesperrten Männern handele es sich um TB-Kranke mit einem resistenten Stamm, sei falsch, denn Tests, die diese Diagnose bestätigen, habe es bislang nicht gegeben.


Vorwurf der Diskriminierung

"Hier handelt es sich um einen Fall von Diskriminierung, der andere Kranke davon abhalten kann, sich einer notwendigen Behandlung zu unterziehen", kritisierte Pascaline Kang'ethe, Koordinatorin der Rechts- und Gesundheitsprogramme der Hilfsorganisation 'ActionAid International Kenya'. "Jeder hat das Recht auf eine medizinische Versorgung, die seine Würde respektiert", erklärte die kenianische Aktivistin.

Nelson Otwoma, Geschäftsführer des 'Network of Persons Living with HIV/Aids', erklärte, die Lebensbedingungen im Gefängnis seien miserabel. Die beiden TB-Patienten würden weder mit ordentlichen Mahlzeiten versorgt noch seien sie von den übrigen Häftlingen isoliert. "Als wir sie besuchten, waren sie in einem Raum mit anderen Gefangenen untergebracht", berichtete er. "Schlimmer noch: Man behandelte sie wie gewöhnliche Kriminelle. Sie wurden in Handschellen von bewaffneten Wärtern vorgeführt."

In einem Gespräch mit IPS rechtfertigte Joseph Sitienei, der Leiter des nationalen Kontrollprogramms für Lepra und Tuberkulose, die kritisierte Präventivmaßnahme der Regierung. Es gehe darum, die Interessen anderer Menschen zu schützen, stellte er fest. "Beamte der Gesundheitsbehörden sind befugt, bei Klagen von Familienmitgliedern einzuschreiten und Patienten sogar zu verhaften, um die weitere Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit zu verhindern", betonte er. "Das ist in Paragraph 27 des Gesundheitsgesetzes geregelt."

2008 schätzte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Zahl der täglich an TB sterbenden Kranken auf 5.000. Weltweit erliegt ein großer Teil der Aids-Kranken der Tuberkulose.

Kenia ist nicht das einzige Land, das Zwangsmaßnahmen gegen TB-Patienten zulässt, die sich der medizinischen Behandlung entziehen. So ist es israelischen Gesundheitsbehörden seit 1994 erlaubt, Obdachlose mit der hoch ansteckenden TB-Version XDR (extensively drug resistent tuberculosis), die ihre Medikamente nicht regelmäßig einnehmen, mit Zwang zu isolieren.

In Südafrika löste 2007 die Entdeckung von Fällen der extrem resistenten und deshalb besonders gefährlichen TB-XDR im 'Brooklyn Chest-Hospital' in Kapstadt eine heftige Debatte über zur Isolierung der betroffenen Patienten aus. "Es gibt Herausforderungen, auf die es keine Antwort gibt", erklärte Simon Moeti, der medizinische Leiter der Klinik. "Es gibt eben Menschen, die sich nicht behandeln lassen und sich einfach aus dem Staub machen."

Der Aktivist Otwoma hält das Einsperren der beiden TB-Kranken in Rift Valley für das falsche Signal. "Es könnte unter anderen Tuberkulosepatienten, die ihre Medikamente ebenfalls nicht mehr einnehmen, eine Panik auslösen", sagte er. "Als wir Daniel Ngetich zu Hause besuchten, erklärte seine Frau, sie habe Angst, sich und ihren hustenden Säugling auf TB testen zu lassen", berichtete Otwoma. "Sie fürchtet, zusammen mit ihrem Kind in der Isolierstation eines staatlichen Krankenhauses zu landen, wie es das kenianische Gesundheitsgesetz vorsieht."


Aufklärung statt Isolierstationen

Mit dieser Aufgabe seien staatliche Kliniken überfordert, kritisierte Allan Ragi von der zivilen kenianischen Aidshilfe-Organisation 'Consortium'. "Vor fünf Jahren erhielt Kenia 19 Millionen US-Dollar aus dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose, um in der nationalen Kenyatta-Klinik eine Isolierstation zu bauen. Bis heute ist diese Einrichtung nicht fertig", stellte er fest.

Ragi fordert Kenias Regierung auf, Geld in die Information und Aufklärung über Tuberkulose und ihre Behandlung zu stecken, anstatt sich darauf zu konzentrieren, Patienten einzusperren, die sich einer Behandlung entziehen.

"Dieses Land riskiert die epidemische Verbreitung von resistenten TB-Stämmen, weil ihm die Mittel für umfassende Tests und die für die Krankheit erforderliche Behandlung fehlen", sagte Ragi. Deshalb sollte sich die Regierung darauf konzentrieren, die Bevölkerung aufzuklären und TB-Vorzeigepatienten zu Experten zu schulen. Diese sollten ihre Gemeinden davon überzeugen, dass Tuberkulose heilbar ist, wenn man die entsprechende medizinische Behandlung bis zum Abschluss durchzieht.

Nach Angaben der WHO liegt Kenia an 13. Stelle der am schwersten von Tuberkulose betroffenen Länder. Ende 2009 gab es in dem ostafrikanischen Land 110.065 Betroffene. Bei fünf Prozent war die Behandlung gescheitert. Nach dem Willen der Regierung soll der Anteil der Verweigerer auf drei Prozent verringert werden.

Von den 2009 in Kenia registrierten 500 Fällen von multiresistenter TB werden nur 117 behandelt. Die Behandlung eines Patienten mit Spezialmedikamenten braucht viel Zeit und kostet umgerechnet mehr als 16.250 US-Dollar. (Ende/IPS/mp/2010)


Links:
http://www.who.int www.gnpplus.net
http://www.actionaid.org
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. September 2010