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AUSLAND/1481: USA - Gegner der Gesundheitsreform formieren sich (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 33 vom 14. August 2009
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

USA - Gegner der Gesundheitsreform formieren sich

Unamerikanisch, quasi-kommunistisch

Von Hans-Peter Brenner


Droht dem maroden US-Gesundheitssystem erneut das Scheitern der "Jahrhundert-Reform"? Geht auch Barack Obama wie Bill und Hillary Clinton in den 90er Jahren im Sperrfeuer der gut aufgestellten Front der Reformgegner unter? Platzt das "wichtigste innenpolitische Projekt" des neuen Präsidenten vielleicht sogar am Widerstand aus den eigenen Reihen?

Das sind einige der wichtigsten Themen des auch in Washington existierenden parlamentarischen "Sommerlochs".

In der Tat sieht es nicht gut aus für die Einführung des längst überfälligen Systems einer staatlichen bundesweiten Krankenversicherung. Bei seiner vielbeachteten Pressekonferenz vor drei Wochen hatte Obama ungewöhnlich ernst geklungen, als er an die überparteiliche Verpflichtung der Abgeordneten aller Couleurs erinnerte, endlich das zu vollenden, was in den 60er Jahren der Kennedy-Nachfolger L. B. Johnson angefangen, aber nicht zu Ende gebracht hatte: eine staatliche Krankenversicherung (Medicare) für alle, die sich die teure Privatversicherungen nicht (mehr) leisten können oder wollen.

Der "Spiegel" brachte es jüngst so auf den Punkt: " Im Urland des Kapitalismus ringt der Präsident um mehr Solidarität. Amerika soll weniger amerikanisch werden, denn bisher gilt Krankheit als Privatsache, was zur Folge hat, dass 47 Millionen Menschen ohne Versicherungsschutz leben." (Spiegel 31/2009, S. 90)

Doch selbst ein Mindestmaß an staatlicher Gesundheitsversorgung - zumeist in irgendeiner Weise mehr oder minder paritätisch finanziert aus Löhnen und Gewinnen von Werktätigen und Unternehmern, wobei der Lohnbezug schon eine Umschreibung für einen tatsächlichen Lohnabzug ist - komme einem quasikommunistischen Frevel gleich.

Dabei hat das Ganze natürlich mit einer spezifisch "amerikanischen" Mentalität viel weniger zu tun als mit dem schnöden US-Dollar. Der US-Gesundheitsmarkt funktioniert nicht nach irgendwelchen sozialpsychologischen Besonderheiten und Empfindsamkeiten von (eingebildeten) Cowboys und Ranchern, die besonders "tough" erscheinen wollen und sich lieber der Zahn selber ziehen anstatt zum Dentisten zu gehen, weil das ihrem Wildwest-Mythos nicht entspräche. Der US-Pharma- und Gesundheitsmarkt wird ganz nach den üblichen Gesetzmäßigkeiten eines straff organisierten kapitalistischen Marktes bestimmt. Es geht um "Money, money, money - always honey in a rich man's world", wie es einst die schwedischen Superstars von ABBA weltweit daher trällerten.

Im US-Gesundheitssystem werden jährlich fast 2,3 Billionen Dollar umgesetzt. Die Gesundheitskosten pro Einwohner belaufen sich auf etwa 7.500 Dollar - das ist über 2,5 mal so viel wie in der BRD. Fast ein Drittel davon verschwindet in dunklen Kanälen. Das "Institute of Medicine" spricht davon, dass 700 Milliarden Dollar eine "pure Verschwendung" seien. Wie der "Spiegel" berichtete, habe die berühmt-berüchtigte Unternehmensberatungsfirma McKinsey festgestellt, dass für 480 Milliarden Dollar keine wirklichen Gegenleistungen erbracht werden. Nun weiß man zwar, dass man McKinsey nicht trauen darf, aber es spricht alles dafür, dass die Ausgaben und Kosten im US-Gesundheitssystem künstlich in astronomische Höhen gepusht werden. Zwischen 2000 und 2009 haben Ärzte, Pharmaindustrie und Krankenhäuser Umsatzsteigerungen von 70 Prozent durchgesetzt - ohne dass es zu entsprechenden Kontrollen über die tatsächlichen Ausgaben gekommen wäre. Weiter schreibt der "Spiegel": "Nur die Gewinnmargen im medizinisch-industriellen Komplex weisen Spitzenwerte aus, die von den Investmentbanken der Wall Street allerdings noch übertroffen werden." Es kann deshalb nicht verwundern - und das wäre dann tatsächlich "unamerikanisch" -, wenn diese Superprofite und Privilegien, die sich aus dem privatkapitalistisch organisierten Gesundheitsmarkt, d. h. von den zwangsweise Privatversicherten, herausholen lassen, nicht mit allen Mitteln verteidigt würden. Der seit 1997 in den USA zu 17 Jahren Haft verurteilte Autor, Gewerkschaftsfunktionär und Journalist Kurt Stand schrieb am 30.7. in der "jungen welt", dass bereits in den ersten drei Monaten von Obamas Amtszeit die US-amerikanischen Pharma- und Versicherungskonzerne "mehr als 100 Millionen Dollar ausgegeben haben, um Lobbyarbeit für die Bewahrung der Konzerninteressen zu leisten".

Dieser Lobbyismus wirkt tief in die Reihen der Demokraten hinein, die ihren eigenen Präsidenten damit erheblich unter Druck setzen. Und es beeinflusst auch das Bewusstsein des amerikanischen Durchschnittsbürgers. So fragte allen Ernstes eine ältere Dame während einer Veranstaltung mit Obama den Präsidenten, was es denn mit Gerücht auf sich habe, wonach "bald alle Amerikaner über 65 Jahren von Beamten des Gesundheitsministeriums besucht würden, die Auskunft verlangten, wie die Altern sterben wollten".

Das Schüren von Euthanasieängsten hat zwar Obama in diesem Moment (noch) nicht die Sprache verschlagen; er verwies spontan darauf, dass die Regierung gar nicht so viele Beamte besitze. Doch man spürt, wie er auf diese Stimmung zunehmend mit taktischen Schritten reagiert. Der ursprüngliche Vorschlag, die Finanzierung des staatlichen Versicherungssystem durch eine Reichensteuer abzusichern, ist längst vom Tisch. Auch der ursprüngliche Termin für die erste parlamentarische Beratung des Gesetzesvorhabens im Kongress (noch vor der Sommerpause) ist längst geplatzt. Die Losung "Freiheit wider Sozialismus" droht auch die ursprüngliche Bevölkerungsstimmung pro Gesetz nun zur Minderheit werden lassen. Nach den jüngsten Umfragen - wie manipuliert diese sein mögen, sei einmal hintangestellt - ist die Zahl der Reformgegner von 32 auf 42 Prozent angestiegen.

Und was kommt von denen, die diese Reform am dringendsten brauchen? Was sagt und denkt die politische Linke, wie reagiert die Gewerkschaftsbewegung? Eine nicht einfach zu beantwortende Frage.

(Wird fortgesetzt)


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 41. Jahrgang, Nr. 33
14. August 2009, Seite 11
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2009