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POLITIK/1879: Bagatellfälle in Notfallambulanzen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 5/2016

Notfallambulanzen
Husten statt Herzinfarkt

Von Dirk Schnack


Breite Resonanz zur steigenden Zahl an Bagatellen im Notdienst. Politik setzt Thema auf die Tagesordnung.


Das Titelthema über die Situation im Notdienst in der Märzausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblattes hat Politiker, Journalisten und ärztliche Leser in den Osterferien beschäftigt. Das Thema wurde von mehreren Medien im Land aufgegriffen, weil inzwischen Patienten auch öffentlich die langen Wartezeiten in den Notdienstambulanzen der Krankenhäuser kritisieren. Daraufhin meldeten sich auch Politiker aus dem Landtag zu Wort - nicht nur mit kritischen Tönen gegenüber Gesetzgeber und Selbstverwaltung, sondern auch in Richtung Patienten, deren Erwartungshaltung auch von Teilen unserer Leser kritisch gesehen wird (siehe Leserbriefe).

Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im Schleswig-Holsteinischen Landtag, Karsten Jasper, sprach von "zum Teil unverantwortlich langen Wartezeiten in Notaufnahmen" und sieht diese "offenkundig überfordert". Er forderte eine den Notaufnahmen vorgeschaltete Sichtung der Patienten, um einer Überlastung der Einrichtungen vorzubeugen. "In den Notaufnahmen unserer Krankenhäuser melden sich mittlerweile auch Schnupfenpatienten. Allein die Sichtung kostet Zeit, die für echte Notfälle fehlt. Den Notaufnahmen muss deshalb eine Sichtung vorgeschaltet werden", sagte Jasper. Er wirbt deshalb für das von der KV und der Krankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein entwickelte Konzept der Portalpraxen, die diese Filterfunktion erfüllen sollen. Jasper forderte Gesundheitsministerin Kristin Alheit auf, "das Thema auf die Tagesordnung zu nehmen".

FDP-Politiker Dr. Heiner Garg sieht im "Überlaufen der Notfallambulanzen auch eine Folge der verfehlten Gesundheitspolitik von Schwarz-Rot auf Bundesebene". Garg, früher Gesundheitsminister in Schleswig-Holstein, forderte CDU und SPD auf, "Ursachenforschung in ihrer eigenen Politik zu betreiben". Garg hält Patienten durch die Politik "quasi aufgefordert, die Notfallambulanzen zu nutzen".

Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Marret Bohn sieht ebenfalls die Bundesebene gefordert. Mit ihrer Entscheidung, die Notfallambulanzen der Kliniken für Patienten zu öffnen, habe die große Koalition den Patienten einen Bärendienst erwiesen. "Das gilt besonders für Unikliniken wie das UKSH. Jetzt passiert genau das, wovor Experten gewarnt haben: Die Notfallambulanzen sind überlaufen und es kommt zu langen Wartezeiten", sagte die Ärztin. Die aktuelle Situation sei "eine Zumutung für Patienten, aber auch für die Mitarbeiter, die unter diesen belastenden Bedingungen die Notfallversorgung aufrechterhalten müssen."

In den Medien wurde auch über zu lange Wartezeiten speziell von Schlaganfallpatienten am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UKSH) berichtet. Wolfgang Dudda, Gesundheitsexperte der Piratenfraktion im Kieler Landtag, sagte hierzu: "Dass Patienten bereits in der Notaufnahme in eine lebensbedrohliche, weil zeitverzögernde Situation kommen, wenn sie die Türen zur Neurologie im UKSH passieren, ist ein Zustand, den man nicht verharmlosen darf. 'Time is brain' ist im Falle des Verdachts auf einen Schlaganfall das alles entscheidende Prinzip. Die katastrophale Mangelsituation am UKSH, die sich durch längst bekannte Überlastungsprobleme zugespitzt hat, muss unverzüglich aufgelöst werden."

Bernd Heinmann, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD, kritisierte: "Es kann nicht sein, dass Schlaganfälle und andere lebensbedrohliche Krankheiten mit Husten, Schnupfen oder einem steifen Nacken konkurrieren müssen, die besser bei einem Hausarzt als durch einen notfallmäßigen Facharzteinsatz behandelt werden können." Er kündigte an, dass das Thema politisch aufgegriffen wird. Ziel müsse sein, dass nur "wirkliche Notfälle in den Notfallambulanzen der Krankenhäuser behandelt werden und andere Patienten sich in die hausärztlichen Anlaufpraxen begeben, um die hochspezialsierten Fachärzte zu entlasten".

Heinemanns Vorschlag würde allerdings das Problem nur zum Teil beheben, solange keine Gesetzesänderung vorgenommen wird. Denn die Anlaufpraxen sind für die Zeit nach den Sprechzeiten gedacht. Die von Jasper und Heinemann genannten Fälle von Bagatellerkrankungen kommen jedoch auch während der Sprechstundenzeiten in die Notaufnahmen. Das von KV und Krankenhausgesellschaft in Schleswig-Holstein erarbeitete Konzept zum Betrieb von Portalpraxen sieht deshalb vor, diese auch während der Sprechstundenzeiten zu betreiben. Aus rechtlichen Gründen ist dies - wie berichtet - bislang nicht möglich. Ein entsprechender Vorschlag aus dem Norden für eine Gesetzesänderung ist in Berlin bislang nicht aufgegriffen worden. Lange Wartezeiten und überfüllte Notdienstambulanzen gibt es nicht nur in Schleswig-Holstein, sondern bundesweit. KV-Chefin Dr. Monika Schliffke hält das vom Bund favorisierte Modell für nicht zu Ende gedacht und hat sich deshalb für die Lösung aus dem Norden eingesetzt.

Wie die aussehen könnte, stand bis Redaktionsschluss noch nicht fest. In der auch bundesweit geführten Debatte wurde aber deutlich, dass die Anspruchshaltung der Patienten hoch bleiben wird. Denn durch das Aufsuchen des Krankenhauses erwarten Patienten ein breites und abgestimmtes Behandlungsspektrum mit technischer Unterstützung - das im Vergleich dazu abgespeckte Angebot in Portalpraxen wird voraussichtlich nur dann Patienten überzeugen, wenn sie sich davon deutlich geringere Wartezeiten versprechen. Krankenkassenvertreter hatten angeregt, das Angebot in Portalpraxen durch Präsenz unterschiedlicher Facharztqualifikationen zu erhöhen - einen Vorschlag, wie dieses Angebot finanziert werden könnte, hatten sie allerdings nicht vorgelegt.

Das UKSH forderte in einer Reaktion auf die Berichte über Schlaganfallpatienten mit zu langen Wartezeiten Selbstverwaltung und Gesetzgeber auf, für eine "auskömmliche Finanzierung zu sorgen, um dem Ansturm auf die Notaufnahmen personell wie finanziell gewachsen sein zu können". Das UKSH spricht von einem Defizit von 13 Millionen für die Versorgung von mehr als 115.000 Notfall-Patienten im Jahr Das Klinikum warb zugleich mit einem Hinweis auf die zu leistende umfassende Versorgung um Verständnis für Wartezeiten: "An 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr" würden "chirurgische oder internistische Notfälle ebenso behandelt wie psychiatrische Notfälle, etwa in Trauma-Ambulanzen für Not- oder Gewaltopfer. Bei allen denkbaren Katastrophen ist das UKSH wichtiger Bestandteil des Katastrophenschutzes. Auch für außergewöhnliche und seltene Notfälle sind Uniklinika täglich 24 Stunden mit einem aufwendigen Bereitschaftsdienst gerüstet", gab das UKSH zu bedenken. Und: Je umfassender das Leistungsangebot der Notfallversorgung, desto höher seien Investitions- und Vorhaltekosten der jeweiligen Klinik. "Das UKSH erhält für seine Hochschulambulanzen 69,91 Euro pro Fall und für seine Notaufnahmen durchschnittlich 32 Euro pro Fall - benötigt aber jeweils 185 Euro, um die Kosten zu decken", hieß es in einer Stellungnahme.

Der Gesetzgeber wollte im Juli 2015 mit dem Krankenhaustrukturgesetz (KHSG) auch die Vergütung der Notfallversorgung weiterentwickeln. Krankenhäuser, die an der stationären Notfallversorgung teilnehmen, sollen für die vorgehaltenen Notfallstrukturen differenzierte Zuschläge erhalten. Für nicht an der Notfallversorgungteilnehmende Krankenhäuser ist ein Abschlag vorgesehen. "Bis heute hat die Selbstverwaltung in Schleswig-Holstein dazu keine Lösung gefunden. Und, ob diese Lösung dann Abhilfe schafft, bleibt ungewiss - sie greift allerdings frühestens 2018", kritisierte das UKSH.


Karsten Jasper, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, bezeichnete die langen Wartezeiten in den Notfallambulanzen der schleswig-holsteinischen Kliniken als "unverantwortlich". Er hält die Krankenhäuser mit der derzeitigen Situation für überfordert.

Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 5/2016 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2016/201605/h16054a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, Mai 2016, Seite 12 - 13
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juni 2016

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