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KASSEN/1888: Kennzeichung chronisch Kranker auf Elektronischer Gesundheitskarte (Patientenechte und Datenschutz)


Patientenechte und Datenschutz e.V. - 20. März 2018

Kennzeichung chronisch Kranker auf Elektronischer Gesundheitskarte
Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingelegt


IT-Ingenieur Rainer K. hat beim Bundesverfassungsgericht eine Verfassungsbeschwerde gegen die Kennzeichnung von Behandlungsprogrammen auf der Elektronischen Gesundheitskarte (EGK) eingereicht[1]. "Diese Speicherung ist illegal" erklärt sein Anwalt Jan Kuhlmann, zugleich Vorsitzender des Vereins Patientenrechte und Datenschutz e.V.." Alle Daten, die auf der EGK gespeichert werden dürfen, sind im Sozialgesetzbuch V aufgelistet. Eine Kennzeichnung der Teilnehmer an Behandlungsprogrammen der Krankenkassen für chronische Krankheiten findet sich dort nicht."[2] Solange Krankenkassen und Ärzteverbände diese unzulässige Datenspeicherung betreiben, verlangt der Kläger für seine Arztbesuche Papier-Ersatzbescheinigungen, wie sie Versicherte z. B. nach einem Umzug kurzfristig erhalten.

Rainer K. ist derzeit in keinem Chronikerprogramm. Trotzdem sieht er sein Arztgeheimnis und sein Recht auf Datenschutz schon jetzt gestört: "Ich muss ja bei allem, was ich meinem Arzt anvertraue, überlegen, in welcher Form es - jetzt oder irgendwann später - gespeichert und weitergegeben wird." Über 7 Millionen gesetzlich Krankenversicherte nehmen an "Disease Management Programmen" (DMP) teil. Es gibt sie z.B. für Diabetes, koronare Herzkrankheit und COPD, den sogenannten Raucherhusten. Auf der EGK wird dafür ein Kennbuchstabe gespeichert. Welcher Buchstabe für welche Krankheit steht, ergibt sich aus einem öffentlichen Schlüsselverzeichnis, das z.B. bei Wikipedia nachzulesen ist[3]. Auch das Landessozialgericht Baden-Württemberg hält die Speicherung des Kennzeichens auf der Karte für rechtswidrig, umging aber eine Entscheidung mit dem Argument, Rainer K. sei nicht persönlich betroffen und daher nicht klageberechtigt[4]. In vergleichbaren Fällen hatte das Bundesverfassungsgericht anders entschieden.

Über 80 % der Menschen in Deutschland sind in der Gesetzlichen Krankenversicherung, die Mehrzahl davon hateine Elektronische Gesundheitskarte (EGK), die sie bei Arztbesuchen mindestens einmal im Quartal vorlegen müssen. Vorgaben der Krankenkassen und Ärzteverbände sehen vor, dass darauf ein DMP-Kennzeichen gespeichert wird[5]. Nach Vorgaben der Gematik sind DMP-Kennzeichen Teil der Versicherten-Stammdaten, die auf der EGK gespeichert und ab 2018 online zwischen Arztpraxen und Krankenkassen abgeglichen werden sollen[6].

Die Gematik ist eine GmbH zur elektronischen Vernetzung des Gesundheitswesens, an der Krankenkassen, Krankenhaus- und Ärzteverbände beteiligt sind. Patienten haben hier keine Mitspracherechte. Dem versucht der Verein Patientenrechte und Datenschutz e.V. abzuhelfen, der die digitale Vernetzung des Gesundheitswesens aus Patientensicht kritisch begleitet.

Die Verfassungsbeschwerde des IT-Ingenieurs Rainer K. ist in anonymisierter Form, aber inhaltlich vollständig, veröffentlicht
https://patientenrechte-datenschutz.de/wp-content/uploads/2018/03/VerfBeschw_anon.pdf.


Über uns:
Der Verein Patientenrechte und Datenschutz e.V. ist ein Zusammenschluss von Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen, der sich für die Wahrung der Patientenrechte im Zeitalter der Digitalisierung einsetzt. Dazu analysieren wir die Risiken, die sich aus der elektronischen Gesundheitskarte in Verbindung mit der geplanten digitalen Vernetzung im Gesundheitswesen (sog. "Telematikinfrastruktur") sowie anderen Formen der Speicherung, Übermittlung, Verarbeitung und Verwendung sensibler Patientendaten ergeben. Hieraus entwickeln wir Ansätze zur Minimierung dieser Risiken.

Dokumentation, Links
[1] https://patientenrechte-datenschutz.de/wp-content/uploads/2018/03/VerfBeschw_anon.pdf
[2] In § 291 Abs. 2 Sozialgesetzbuch, V. Buch (SGB V)
https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_5/__291.html
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Versichertenstatus
[4] http://lrbw.juris.de/cgi-bin/laender_rechtsprechung/document.py?Gericht=bw&nr=20946
[5] Seite 16, Anwendung der eGK, Technische Anlage zu Anlage 4a Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä)
http://www.kbv.de/media/sp/04a_elektr._Gesundheitskarte_technische_Anlage.pdf [6] Seite 78 im Systemspezifischen Konzept Versichertenstammdaten-Management (VSDM), Datei gemSysL_VSDM_V2.0.0.pdf in diesem Archiv:
https://fachportal.gematik.de/fileadmin/user_upload/fachportal/files/Spezifikationen/Produktivbetrieb/Konzepte_Spezifikationen/OPB2.1_Konzepte_20171218.zip

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Quelle:
Patientenechte und Datenschutz e.V.
Pressemitteilung vom 20. März 2018
Breisacherstr. 37, 79106 Freiburg
Jan Kuhlmann, Vorsitzender
Dr. Bernhard Scheffold, stellv. Vorsitzender
E-Mail: kontakt@patientenrechte-datenschutz.de
Internet: https://patientenrechte-datenschutz.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2018

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