Schattenblick → INFOPOOL → MEDIZIN → GESUNDHEITSWESEN


ARTIKEL/1416: Bereitschaftsdienst - Patienten sorgen für Boom in den Notfallambulanzen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 3/2016

Bereitschaftsdienst
Patienten sorgen für Boom in den Notfallambulanzen

Von Dirk Schnack


Die Krankenhäuser erwirtschaften Defizite mit den ambulanten Notfall-Behandlungen. Für Konsenslösung im Norden ist Gesetzesänderung notwendig.


Immer mehr Patienten in Schleswig-Holstein suchen ärztliche Unterstützung in den Notfallambulanzen der Krankenhäuser. Unabhängig von Art und Schwere der Erkrankung, unabhängig von der Tageszeit und trotz des bestehenden Angebotes der Kassenärzte. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) unterhält außerhalb der Sprechstundenzeiten einen fahrenden Dienst und an 30 Standorten im Land Anlaufpraxen. Mehr als 50.000 Stunden allein an allgemeinärztlicher Präsenz wurden dort 2015 vorgehalten.

Die Kliniken erwirtschaften in aller Regel ein Defizit mit ihren Notfalleinrichtungen, weil die Honorare für ambulante Eingriffe nicht die hohen Vorhaltekosten der Krankenhäuser abdecken. Allein das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein rechnet für 2015 mit einem Minus von rund 13 Millionen Euro aus der Notfallvorhaltung. Mehr als 115.000 Patienten sind nach UKSH-Angaben im vergangenen Jahr in seinen Notfalleinrichtungen an den Standorten in Kiel und Lübeck behandelt worden, davon 65.000 ambulant.

Die in ganz Deutschland zu beobachtende Entwicklung hat auf Bundesebene zu einer Auseinandersetzung geführt, in deren Verlauf sich die Positionen in manchen Ländern verhärtet haben. In Schleswig-Holstein suchen Krankenhäuser, KV und Landesregierung nach einer einvernehmlichen Lösung. Ein von den drei Seiten in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten macht deutlich, dass die sektorale Einteilung der ärztlichen Dienste den Patienten weder genügt noch vermittelbar ist.

In Schleswig-Holstein würden die Beteiligten deshalb gerne in gemeinsam betriebenen Portalpraxen an Krankenhäusern kooperieren und von dort die Patientenströme rund um die Uhr sinnvoll lenken. Die bisherige Fehlallokation könnte damit vermieden werden. Das aber gibt die Gesetzeslage nicht her: Der Sicherstellungsauftrag der KV für den Notdienst beschränkt sich allein auf die sprechstundenfreien Zeiten. Die im Rechtsgutachten vorgeschlagene Ergänzung liegt in Berlin vor, ist bislang aber nicht in der Gesetzgebung berücksichtigt worden.

Steigender Druck

Notfallambulanzen und Anlaufpraxen schaffen es nicht, die Patienten zu steuern. Eine gemeinsame Lösung von Kliniken und KV könnte helfen.


Es dauert noch eine halbe Stunde, bis die offizielle Sprechstunde in der Kieler Anlaufpraxis beginnt. Trotzdem warten schon drei Patienten auf dem schmalen Flur vor der Praxis. Statt sich selbst als "Notfall" einzustufen und in die Klinikambulanz zu gehen, warten die drei geduldig. Eine junge Frau ist darunter, die am Freitagnachmittag telefonisch keine hausärztliche Sprechstunde finden konnte. Schließlich hat sie sich in einer Apotheke erkundigt, dort gab man ihr den Hinweis auf die Anlaufpraxis. Ein Ehepaar hat den Hinweis auf die Anlaufpraxis über den Anrufbeantworter einer Kieler Praxis erhalten. Sie sind froh, dass es diese Einrichtung gibt; aus ihrer früheren Heimat Nordrhein-Westfalen ist ihnen ein solches System nicht bekannt. "Ich finde es gut, dass es einen festen Ort gibt, an den man sich außerhalb der Sprechzeiten wenden kann", sagt der Mann und fotografiert sich die Sprechzeiten der Anlaufpraxis ab.

Die drei sind die ersten einer dreistelligen Zahl von Patienten, die an diesem Wochenende die Kieler Anlaufpraxis aufsuchen werden. Die Menschen kommen mit Erkältungen, Durchfall, Bauchschmerzen, aber auch mit dem Wunsch nach einer neuen Verordnung für die Pille. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie suchen die kassenärztliche Anlaufpraxis auf, statt die Klinikambulanz zu wählen. Diesen Weg aber gehen immer mehr Patienten. Rund 20 Millionen Menschen suchen jährlich in Deutschland die Notfallambulanzen in den Krankenhäusern auf. Wie viele von ihnen tatsächliche und wie viele "unechte" Notfälle sind, weiß niemand. Nach jüngsten Zahlen aber steigt die Zahl der Patienten in den Klinik-Notfallambulanzen jährlich um fünf Prozent, andere sprechen von einer Zunahme von fast zehn Prozent. Für die Kliniken bedeutet das ein finanzielles Risiko, weil die ambulanten Behandlungen nach ihrer Darstellung nicht kostendeckend vergütet werden. Die Imland Kliniken in Rendsburg-Eckernförde beispielsweise erwirtschaftete nach eigenen Angaben ein jährliches Defizit in Höhe von rund 1,7 Millionen Euro mit den Notfallambulanzen und damit einen Großteil ihres Gesamtdefizites. Das UKSH beziffert das voraussichtliche Defizit seiner Notfallversorgung auf rund 13 Millionen Euro.

WER HILFT WANN?

Notdienst, Rettungsdienst, Bereitschaftsdienst - die Begriffsvielfalt verwirrt viele Menschen. Der Rettungsdienst unter der Nummer 112 leistet Hilfe in lebensbedrohlichen Fällen. Der ärztliche Bereitschaftsdienst dagegen kümmert sich darum, dass Patienten in dringenden medizinischen Fällen außerhalb der regulären Sprechzeiten ambulant behandelt werden können. Erreichbar ist der ärztliche Bereitschaftsdienst über die bundesweit kostenlose Nummer 116 117, werktags zwischen 18 und 8 Uhr (mittwochs und freitags ab 13 Uhr) und an den Wochenenden und an Feiertagen ganztägig. Koordiniert wird der Bereitschaftsdienst über eine Leitstelle in Bad Segeberg von medizinischem Fachpersonal. Die Versorgung erfolgt grundsätzlich an den insgesamt 30 Standorten mit Anlaufpraxen in Schleswig-Holstein. Wenn Patienten diese nicht erreichen können, hilft ein fahrender Dienst. Neben dem allgemeinmedizinischen Bereitschaftsdienst gibt es auch einen pädiatrischen, einen augenärztlichen und einen Bereitschaftsdienst der HNO-Ärzte. (di)


Die Patienten kommen mit allen Arten von Akuterkrankungen in die Krankenhausambulanzen, zum Teil sind es banale Infekte. Fest steht, dass die Notfallambulanzen weniger Arbeit hätten, wenn mehr Menschen wie in Kiel die Anlaufpraxen des kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes nutzen würden. Stattdessen steigt die Zahl der Patienten in den Notfallambulanzen. "Dieser Trend scheint unumkehrbar und erfordert neue Strukturen der ambulanten Notfallversorgung", heißt es in einem gemeinsamen Rechtsgutachten von Kassenärztlicher Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH), Krankenhausgesellschaft Schleswig-Holstein (KGSH) und Landesregierung zu diesem Thema.

Vor der Kieler Anlaufpraxis haben sich zehn Minuten vor Öffnung rund zehn Patienten eingefunden, zu dieser Zeit erscheinen auch die diensthabende Ärztin Dr. Michaela Steuer und die Medizinische Fachangestellte (MFA) Kirsten Wilken. Die beginnt zügig mit der Aufnahme und zwei Minuten vor 17 Uhr steht die erste Patientin im Behandlungsraum der Ärztin. Die Patientin mit der Erkältung lässt sich von der seit 27 Jahren in Friedrichsort niedergelassenen Hausärztin untersuchen, während nebenan Wilken die Daten der weiteren Patienten aufnimmt. Seit 21 Jahren macht sie regelmäßig Dienst in der Anlaufpraxis - "ein toller Job", wie sie sagt. Der Andrang draußen ist für sie normal, am Sonnabend sei deutlich mehr los. Nach ihrer Beobachtung kommen immer mehr Menschen, die mit ihren Beschwerden auch zu den normalen Sprechstunden in die Praxen hätten gehen können. "Es passiert schon mal, dass jemand um 23 Uhr mit Rückenbeschwerden kommt, die ihn aber schon seit Wochen plagen", nennt sie als Beispiel. Aufgefallen ist ihr auch, dass die Angst und Unsicherheit der Patienten zunimmt. "Viele schauen ins Internet, was eine Beschwerde bedeuten könnte, und sterben dann vor Angst wegen eines harmlosen Infektes", sagt sie. Nicht jeder ist freundlich. Und manchmal bleibt es nicht bei unfreundlicher Kommunikation. Ein Patient hat schon mit einem Blumentopf nach ihr geworfen, weil er die gewünschten Drogen nicht erhielt. Trotzdem macht ihr die Sechs-Stunden-Schicht Spaß, weil sie andere Menschen trifft, die auch ein etwas anderes Spektrum als in der Hausarztpraxis aufweisen, etwa Frakturen.

Die Abwechslung bei der Arbeit schätzt auch die Ärztin. "Jeder Patient ist anders" - dafür sei sie Hausärztin geworden. Dass viele Patienten in die Anlaufpraxis kommen, die auch die normale Sprechstunde hätten aufsuchen können, beobachtet sie ebenfalls. Aber sie sagt auch: "Viele schaffen es wegen ihrer Arbeitszeiten nicht." Sie hat daraus die Konsequenz gezogen, in ihrer Praxis auch eine Sprechstunde am Sonnabend anzubieten.

Eine halbe Stunde nach Öffnung der Anlaufpraxis erscheint die erste Mutter mit Kind, obwohl der kinderärztliche Dienst erst um 19 Uhr beginnt. Die MFA nennt ihr die Zeiten und wer Dienst hat; das bedeutet noch 90 Minuten Wartezeit für sie. Die Miene der Mutter hellt sich aber auf, als sie erfährt, dass es zufällig ihr Kinderarzt ist, der heute in die Anlaufpraxis kommt. "Das passiert immer wieder. Die Eltern informieren sich nicht über die Öffnungszeiten und stehen dann hier. Manche werden dann auch unfreundlich", sagt Wilken.

Unfreundlich ist in der Notfallambulanz des Friedrich-Ebert-Krankenhauses (FEK) in Neumünster einen Abend zuvor niemand. Rund 20 Patienten und Angehörige sitzen im Wartezimmer, manche von ihnen seit zwei Stunden. Über den Bildschirm und auf Aushängen informiert das Krankenhaus, dass es zu Verzögerungen kommen kann und nach Dringlichkeit behandelt wird. So kommt es, dass eine erwachsene Patientin mit einer Schnittwunde, die aber erstversorgt ist, lange Zeit im Wartezimmer verbringen muss, während schwerer verletzte Kinder zügig von Ärzten untersucht werden. Insgesamt suchten im vergangenen Jahr 14.085 Patienten die Zentrale Notaufnahme im FEK auf, die anschließend stationär aufgenommen werden mussten. 22.970 kamen für eine rein ambulante Notfallbehandlung. Allein deren Behandlung verursachte laut FEK einen Verlust von jährlich rund einer Million Euro. Verwaltungschef Alfred von Dollen fordert deshalb eine "angemessene Finanzierung auch der Vorhaltekosten, da wir in Neumünster die Nacht und weite Teile des Wochenendes abdecken".

Dass die Zahlen in den Klinik-Notfallambulanzen von Jahr zu Jahr steigen, führen deren Vertreter auf Bundesebene auch darauf zurück, dass es nicht überall Strukturen wie die Anlaufpraxen in Schleswig-Holstein gibt. 30 solcher Praxen gibt es landesweit, rund 180.000 Patienten werden dort jährlich versorgt. Hinzu kommen weitere 36.000 Patienten, die vom fahrenden Dienst aufgesucht werden.

Um die Situation der überbeanspruchten Notfallambulanzen zu verbessern, ist nach Ansicht von KV, Krankenhausgesellschaft und Landesregierung eine intensivere Zusammenarbeit von Vertragsärzten und Krankenhäusern nötig, und zwar in Form der sogenannten Portalpraxen an Krankenhäusern. "Vertragsärztliche Notdienstpraxis am Krankenhaus und Krankenhausambulanz könnten dort, wo man es vereinbart, zu einer gemeinsamen Einrichtung verschmolzen werden", heißt es im Gutachten. Vertrags- und Krankenhausärzte könnten dort "zu jeder Zeit Patientenversorgung leisten". Klingt gut, ist aber derzeit rechtlich nicht möglich. Denn der Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigung für den Notdienst ist allein auf die sprechstundenfreien Zeiten beschränkt. Die Neuregelung erfasst laut Rechtsgutachten nicht die Problematik der Inanspruchnahme der Klinik-Notfallambulanzen. Anders ausgedrückt: Das Gesetz bietet derzeit keine Hilfestellung zur Lösung des Problems. Das Rechtsgutachten empfiehlt deshalb eine Gesetzesänderung, die auch Schleswig-Holsteins KV-Chefin Dr. Monika Schliffke anregt. Und auch vor Ort scheint man auf entsprechende Lösungen zu warten. Von Dollen etwa sagt für Neumünster: "Einer Zusammenarbeit mit der KVSH und dem Medizinischen Praxisnetz Neumünster zur Verbesserung der Situation stehen wir offen gegenüber." Ähnlich klangen Schliffke und Imland-Geschäftsführer Dr. Markus Johannsen, als sie kürzlich auf einer Veranstaltung des Ersatzkassenverbandes in Kiel zum Thema vortrugen. Nur: Die Bereitschaft zur Kooperation hat bislang nicht zu einer Verbesserung der Situation geführt - die Patienten warten zum Teil lange, die Kliniken schreiben Verluste.

Das UKSH spricht von einem wachsenden Druck in den Notaufnahmen. Gründe: "Dies ist zuerst der geringen Vergütung geschuldet. Auch nach dem Krankenhausstrukturgesetz öffnet sich die Schere zwischen Kosten und Erlösen weiter, bei gleichzeitig bundesweit fehlenden Personalressourcen. Insbesondere die Universitätsmedizin bedarf der Deckung von Kosten durch Extremkostenfälle, die nachweislich überproportional von den Experten der Uniklinika versorgt werden", teilte das UKSH auf Anfrage mit.

Denn die Vorhaltung des gesamten Spektrums rund um die Uhr verursacht Vorhaltekosten in zweistelliger Millionenhöhe. Veränderungen in der flächendeckenden ambulanten Notfallversorgung - etwa durch Öffnung weiterer Notfallambulanzen oder durch die Annahme von Notfällen auch bei vollen Arztpraxen - hält auch das UKSH für schwierig. Eine Entlastung der Notaufnahme wäre aber möglich, wenn Hausärzte gezielt indikationsspezifisch direkt auf die verantwortliche Station einweisen würden, schlägt das UKSH vor.

Zur Optimierung, wie das UKSH es nennt, aber auch zur Entlastung der niedergelassenen Ärzte betreibt die KVSH seit Jahren die Anlaufpraxen und eine Leitstelle, die die nachfragenden Patienten steuert. Die von Alexander Paquet geleitete Abteilung in Bad Segeberg nimmt über die Leitstelle sämtliche Anrufe der Patienten unter der Nummer 116 117 entgegen und nennt ihnen entweder die Adresse der nächsten Anlaufpraxis oder schickt den fahrenden Dienst. Dieser rückt jährlich immerhin rund 36.000 Mal aus. Finanziert werden fahrender Dienst und die Arbeit der Anlaufpraxen aus der Gesamtvergütung der niedergelassenen Ärzte mit jährlich steigenden Kosten.

Während man in Schleswig-Holstein einvernehmlich nach Lösungen sucht, ist die Diskussion auf Bundesebene nicht frei von gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen stationärem und ambulantem Sektor. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) etwa sieht die Kliniken immer stärker in der Rolle eines "Lückenbüßers für die eigentlich zuständigen Bereitschaftsdienste der KVen", zumindest wurde DKG-Geschäftsführer Georg Baum entsprechend zitiert. Es sei "bloße Fiktion, dass niedergelassene Ärzte alles regeln", hieß es. Ein Drittel der allgemeinen Notfallbehandlungen sei problemlos in ambulanten Praxen lösbar, meinte Baum. Probleme sieht er u. a. in den fehlenden Anlaufstellen, die es in Schleswig-Holstein mit den Anlaufpraxen gibt. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) wies die Vorwürfe zurück und verwies auf den bundesweiten Bereitschaftsdienst über die Nummer 116 117. Die Kritik der Kliniken an der unzureichenden Honorierung der ambulanten Notfallbehandlungen konterte die KBV mit dem Hinweis, es habe bereits Verbesserungen der Honorierung etwa bei der Notfallbehandlung nachts und am Wochenende gegeben. KBV-Sprecher Roland Stahl wurde hierzu mit folgendem Satz zitiert: "Die Klagen zeigen, dass die Kliniken schon jetzt überfordert sind und eine weitere Öffnung für ambulante Leistungen erst recht nicht verkraften können."

Die Deutsche Gesellschaft Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA) hatte die Diskussion im vergangenen Jahr durch ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten befeuert, für das 55 Krankenhäuser Kosten- und Leistungsdaten von 612.070 ambulanten Notfällen zur Auswertung bereitgestellt hatten. Hiernach betrugen die Fallkosten für einen ambulanten Notfall im Schnitt 120 Euro. Dem stand ein durchschnittlicher Erlös von 32 Euro gegenüber. Bei mehr als zehn Millionen ambulanten Notfällen würden sich diese Fehlbeträge pro Fall auf eine Milliarde Euro nicht gedeckter Kosten summieren, so die Rechnung der Klinikseite.

Laut Gutachten müssen rund 40 Prozent aller Notfälle stationär versorgt werden. Weitere 40 Prozent können nach einer ambulanten Behandlung in der Notaufnahme sofort entlassen werden. Allerdings werden bei ihnen spezifische Leistungen eines Krankenhauses benötigt, die im Notfall nicht in einer Arztpraxis oder in einer Bereitschaftspraxis der KVen ohne Zeitverzögerung erbracht werden können, etwa Röntgen-, CT- oder Laboruntersuchungen. Die restlichen 20 Prozent der Patienten hätten laut DGINA eigentlich auch ambulant in einer Arztpraxis behandelt werden können; diese Möglichkeit sei aber nachts oder an Wochenenden nicht überall oder nicht durchgehend vorhanden.

Die Gesellschaft forderte deshalb ein "einfach zu durchschauendes Notfallsystem, bei dem Patienten unter anderem von einem zentralen Anlaufpunkt für die Notfallversorgung profitieren". Dafür müsse die Zusammenarbeit der kassenärztlichen Bereitschaftspraxen mit den Notaufnahmen institutionalisiert und ausgebaut werden, forderte die DGINA. Zugleich stellte sie klar, dass zumindest aus Sicht der Notfallmediziner kein Interesse besteht, dass sich die Krankenhäuser für weitere ambulante Leistungen öffnen - im Gegenteil: "Es wäre wünschenswert, wenn die Kassenärztlichen Vereinigungen ihren Sicherstellungsauftrag für die ambulante Notfallversorgung verstärkt wahrnehmen würden - überall und jederzeit." Eine Telefonnummer reiche dafür nicht aus.

DGINA-Generalsekretär Dr. Timo Schöpke hatte außerdem auf die hohen Kostenunterschiede zwischen Arztpraxis und Krankenhaus verwiesen. "Unabhängig davon, wann und wo ein Notfall ambulant versorgt wird, werden lediglich die durchschnittlichen Kosten einer Arztpraxis zu regulären Sprechstundenzeiten erstattet. Die etwa vier mal so hohen Kosten der Krankenhäuser sind nicht gedeckt", sagte Schöpke. Das Gutachten zeigt nach seiner Auffassung zum einen die hohe Versorgungsqualität der Notaufnahmen in Deutschland, zum anderen aber, dass die Situation immer mehr Kliniken bundesweit vor ernsthafte Probleme stellt.

Besonders intensiv wurde der Schlagabtausch zwischen KV und Kliniken in Berlin geführt. Dort gab jeder zweite Patient in einer Befragung an, keine Alternative zu einer Notfallbehandlung im Krankenhaus zu kennen. Und immerhin 60 Prozent dieser Patientengruppe wären nach eigenen Angaben bereit gewesen, ein entsprechendes Angebot der niedergelassenen Ärzte zu nutzen, wenn es ihnen denn bekannt gewesen wäre. Weshalb es diese Wissenslücken trotz aller Informationskampagnen für die ambulanten Einrichtungen nach den Sprechstundenzeiten noch immer gibt, wurde ebenfalls diskutiert. Ein möglicher Grund für die mangelnde Inanspruchnahme der Bereitschaftspraxen wird in ihrer zentralisierten Organisation vermutet. Statt des diensthabenden, früher oft persönlich bekannten Arztes meldet sich heute die Stimme eines Leitstellenmitarbeiters; möglicherweise ist dies vielen Menschen zu unpersönlich. Fest steht, dass die daraus resultierenden Probleme immer mehr Mediziner in den Krankenhäusern vor schwere Probleme stellen. Experten warnen bereits davor, dass die "unechten Notfälle" zu Zeitverzögerungen bei den tatsächlichen Notfällen führen.

Nicht nur mit den Anlaufpraxen, auch bei der Behandlung von Flüchtlingen in den Notaufnahmen hat Schleswig-Holstein Weitblick bewiesen. Nachdem erste Notaufnahmen über eine zusätzliche Arbeitsbelastung durch die Flüchtlinge berichteten, reagierte das FEK in Neumünster wie berichtet mit einer eigenständigen Einheit Integrierende Versorgung (EIV), in der ausschließlich Flüchtlinge behandelt werden und die damit die zusätzliche Belastung für ihre Notfallambulanz vermeidet. Zu einer anderen Vermutung, dass Flüchtlinge zu einer zusätzlichen Belastung für den Notdienst werden könnten, lieferte die KV Schleswig-Holstein kürzlich Zahlen. Die zeigen, dass die Einsätze des fahrenden Dienstes immer dann und in den Orten hochschnellen, in denen neue Aufnahmeeinrichtungen ihre Arbeit aufnahmen. Diese Zahlen gehen aber anschließend zügig wieder auf ein normales Niveau herunter - für die KV ein klarer Hinweis, dass in neuen Einrichtungen zu Beginn noch Unsicherheit herrscht, u. a. bei den zuständigen Sicherheitsdiensten. "Wenn die regionalen Verfahren und Strukturen Routine geworden sind, relativiert sich die Beanspruchung schnell auf einem niedrigen Niveau", stellte Dr. Monika Schliffke fest.



INFOS

13 Mio. Euro wird das Defizit, das das UKHS aus der Notfallversorgung in 2015 erwirtschaftete, voraussichtlich betragen. Jeder fünfte Patient, schätzt das UKSH, wird zwar in der Notfallambulanz versorgt, ist aber kein Notfall.

115.768 Notfallpatienten verzeichnete das UKSH im vergangenen Jahr, davon rund 65.000 ambulant und 50.000 stationär aufgenommene Patienten. Lübeck meldete insgesamt 67.566 Patienten, Kiel 48.202. Der Anteil an Kontakten in der Notfallambulanz gegenüber den stationären Fällen ist in Lübeck größer als in Kiel.

50 min. beträgt die durchschnittliche Wartezeit bis zur ärztlichen Sichtung laut UKSH am Standort Lübeck. Allerdings kann es zu erheblichen Schwankungen kommen, weil bei akuten Notfällen umgehender Kontakt stattfindet und weniger bedrohliche Notfälle deshalb länger warten müssen. Hier kann es laut UKSH zu Wartezeiten von zwei Stunden kommen.

14.200 Patienten werden jährlich in den größeren Anlaufpraxen wie Flensburg, Kiel und Lübeck behandelt. Mittlere wie etwa in Bad Segeberg und Neumünster behandeln rund 6.000 Patienten, kleinere wie Preetz oder Fehmarn kommen auf rund 3.400.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 3/2016 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2016/201603/h16034a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

*

Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
69. Jahrgang, März 2016, Seite 1 + 6-10
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
Bismarckallee 8-12, 23795 Bad Segeberg
Telefon: 04551/803-127, -119, Fax: -188
E-Mail: aerzteblatt@aeksh.de
www.aeksh.de
www.arztfindex.de
www.aerzteblatt-sh.de
 
Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. April 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang