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ARTIKEL/1221: Kreative Lösung sichert den Arzt in einer 700-Einwohner-Gemeinde (SHÄB)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 9/2011

Versorgung
Kreative Lösung sichert den Arzt in einer 700-Einwohner-Gemeinde

Von Dirk Schnack


Joldelund in Nordfriesland hat nicht nur einen jungen Arzt gefunden, sondern auch ein neues Ärztehaus bauen lassen. Der Weg dahin erforderte Kreativität.

Joldelund hat eine Infrastruktur, um die sie auch größere Orte beneiden: eine Schule, einen Kindergarten, eine Bankfiliale, vor allem aber eine Arztpraxis. Dieser wichtige Teil der ländlichen Infrastruktur drohte wegzubrechen, als Dr. Harald Paulsen nach langjähriger Landarzttätigkeit seine Praxis aufgeben wollte. Joldelund und umliegende Gemeinden wurden aktiv und gründeten die "Arbeitsgemeinschaft Arztnachfolge Dr. Paulsen". Inzwischen können die Nordfriesen aufatmen: Sie haben ein neues Ärztehaus errichtet und mit Matthias Ernst einen jungen Arzt gefunden, der hier eine Zweigpraxis betreibt - und langfristig bleiben möchte.

Paulsen wird von Bürgermeister Reiner Hansen als Landarzt alter Schule im positiven Sinne beschrieben. Er praktizierte im Wohnhaus, war stets für seine Patienten da und bei Bedarf konnten seine Praxishelferinnen ihn auch am Wochenende anrufen, wenn ihnen ein Patient von Problemen berichtete. Wenn der 35-jährige Arzt Matthias Ernst so etwas hört, zollt er seinem Vorgänger Respekt - stellt zugleich aber klar, dass so etwas für ihn nicht infrage kommt. So wie Paulsen für seine Generation von Landärzten steht, ist Ernst ein typischer Vertreter der jungen Ärztegeneration, mit viel Engagement, dem er aber bewusst zeitliche Grenzen setzt. Dem Bürgermeister und seinen Mitstreitern in der Gemeindevertretung von Joldelund war schnell klar, dass sie einen Landarzt alter Prägung nicht mehr erwarten können - wenn sie denn überhaupt einen finden. Das versuchten sie zunächst durch bundesweit verteilte Plakate, Anzeigen und Schreiben an das Kieler Gesundheitsministerium, die KV und den Kreis Nordfriesland. Weil auch die umliegenden Gemeinden betroffen waren - die nächsten Landarztpraxen sind rund 15 Kilometer entfernt - fanden sie sich zur Arbeitsgemeinschaft zusammen und suchten gemeinsam. "Es gab zwar einige Interessenten, aber uns war auch das Risiko bewusst, dass vielleicht gar kein Arzt mehr in Joldelund praktizieren würde. Wir müssen unser Dorf nicht schönreden - nicht jeder will hierher", sagt Hansen.

Einen Ausweg bot das Modell der Zweigpraxis, auf das die KV Schleswig-Holstein Praxen in der Region hinwies. Auch die Doppelpraxis von Matthias Ernst und Urs Philipzig in Bredstedt wurde dadurch auf Joldelund aufmerksam. "Eigentlich hatte ich vorwiegend Interesse an dem Kassenarztsitz, aber nicht an der Praxis in Joldelund", sagt Ernst. Er einigte sich mit Paulsen, dass er mindestens ein halbes Jahr lang eine Zweigpraxis in Joldelund aufrecht erhalten würde. Während dieser Zeit praktizierte Ernst zunächst am alten Praxisstandort - ein großes Entgegenkommen des abgebenden Arztes, der durch die Nachfolgersuche nicht nur länger praktizierte als geplant, sondern auch weiterhin hautnah das Praxisgeschehen in seinem Wohnhaus miterlebte. Dieser Zustand war für den erfahrenen und den jungen Arzt gleichermaßen langfristig keine Lösung. Zugleich spürte Ernst, dass die heimliche Hoffnung der Joldelunder aufging: Die Patienten wuchsen dem Arzt nach und nach ans Herz und die Tätigkeit in dem kleinen Ort machte ihm Spaß. Irgendwann stellte er fest: "Ich fahre gerne hier raus."

Doch zunächst musste ein finanzielles Problem gelöst werden: Die Gemeinschaftspraxis in Bredstedt schöpfte schon ohne die Zweigpraxis ihr Budget aus - die Patienten in Joldelund wurden zusätzlich behandelt und das Honorar abgestaffelt. Dadurch bekam Ernst für seine Zweigstellentätigkeit nur noch neun Euro pro Patient - und das Projekt Zweigpraxis wurde für die Gemeinschaftspraxis aus finanzieller Sicht uninteressant. An dieser Stelle griff erneut die KV ein und signalisierte den Bredtstedter Ärzten, dass sie die Abstaffelung für Joldelund aufheben würden, wenn es zu einer langfristigen Lösung kommt. Die aber war am alten Praxisstandort nicht möglich. Ernst suchte erneut das Gespräch mit der Gemeinde - und die erkannte ihre Chance auf einen langfristigen Verbleib. Dafür musste ein neuer Praxisstandort gefunden werden. Weil alle Lösungen in bestehenden Gebäuden Schwächen hatten und andere Gemeinden bereits Offerten an den umworbenen Arzt machten, entschloss sich die Gemeinde zum Neubau. Ein günstig erworbenes Grundstück war schnell gefunden, nun wurde der Arzt nach seinen Wünschen und Bedingungen gefragt. 650 Euro Miete waren seine Obergrenze. Ziel waren zwei Sprechzimmer mit den üblichen erforderlichen Nebenräumen wie Wartebereich, Sozialraum, Anmeldung. Die Joldelunder rechneten von der Miete ausgehend, was sie dafür bauen konnten. Die Investitionssumme betrug rund 153.000 Euro, die langfristig über die Miete abgetragen wird. Heraus kam eine voll ausgestattete Landarztpraxis mit 100 Quadratmeter Grundfläche, die ausschließlich der Arzt als Mieter nutzt. Große Verpflichtungen geht er damit nicht ein, beide Seiten verständigten sich auf eine halbjährliche Kündigungsfrist.

Damit sind für Ernst alle Bedingungen erfüllt, die er für eine langfristige Tätigkeit in Joldelund stellt. Die finanziell nicht auf Rosen gebettete Gemeinde erlebte dann eine Überraschung: Sie wurde für ihr Engagement von der Initiative AktivRegion Nordfriesland belohnt. Die bezuschusst die Investition in das Ärztehaus mit bis zu 66.000 Euro. Abhängig ist die Förderung, die auf zwölf Jahre verteilt wird, von der Tätigkeit eines Arztes in dem Haus. Ernst fühlt sich in seinem neuen Mietobjekt in Joldelund inzwischen so wohl, dass er über diesen Zeitraum hinaus denkt. "Meine Vision ist, die Gemeinschaftspraxis in Bredstedt personell auszubauen und die Präsenz in Joldelund zu verstärken." Mittelfristig muss er sich aber zunächst Gedanken um einen Nachfolger seines Praxispartners in Bredstedt machen, dann über zusätzliche Mitstreiter. Ernst pflegt dazu Kontakte zu früheren Klinikkollegen, freut sich aber auch über neue Interessenten. Wie gefragt solche Lösungen sind, zeigte die KV in einer Regionalkonferenz zum Thema landärztliche Versorgung - dort präsentierte der Bürgermeister auf Einladung der KV das Joldelunder Modell anderen kommunalen Entscheidungsträgern.

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Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 9/2011 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2011/201109/h11094a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Bürgermeister Reiner Hansen
- Landarzt Matthias Ernst

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt September 2011
64. Jahrgang, Seite 28 - 29
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der
Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein
Redaktion: Dr. Franz Bartmann (V.i.S.d.P.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Oktober 2011

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