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ARTIKEL/1491: Jahrestagung - Brustkrebs ... Chemotherapie bald überflüssig? (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 7-8/2018

Brustkrebs
Chemotherapie bald überflüssig?

von Uwe Groenewold


Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Senologie in Stuttgart. Motto: "Senologie gleich Evolution". 2.500 Teilnehmer.


Prof. Achim Rody, Direktor der Klinik für Gynäkologie und Geburtshilfe am UKSH-Campus Lübeck, war mit mehreren Beiträgen zu operativen und medikamentösen Therapieoptionen beim Kongress präsent. Viel diskutiertes Thema ist seit längerer Zeit die künftige Rolle von belastenden Chemotherapien. Die Entwicklung neuer Therapien, die unmittelbar in krankheitsverursachende Signalwege eingreifen, sowie diagnostischer Methoden, die frühzeitig Aufschluss über die Notwendigkeit und den Erfolg einer zytotoxischen Behandlung geben, haben zu erheblichen Veränderungen bei der Behandlung von Brustkrebs geführt. In fünf bis zehn Jahren, so die Prognose von Rody, könne bei der Behandlung vieler Krebserkrankungen auf eine Chemotherapie verzichtet werden.

So habe die zielgerichtete Anti-HER2-Therapie dazu beigetragen, dass die begleitende Chemotherapie in frühen Stadien von einer Polychemotherapie auf eine Monotherapie reduziert werden könne. Auch die Implementierung sogenannter Immunonkologika unterstreiche diese Entwicklung. "Daraus ergeben sich neue wissenschaftliche Fragestellungen, denen derzeit im Rahmen von klinischen Studien nachgegangen wird, etwa die Frage, ob der Effekt von neuen molekularen Substanzen durch eine Chemotherapie gesteigert werden kann oder ob eine Kombination solcher neuen Substanzen die Chemotherapie komplett ersetzen kann." Geprüft werde außerdem, welchen Effekt die Kombination anderer onkologischer Therapieformen wie die Strahlentherapie oder die Antihormontherapie mit den neuen zielgerichteten Substanzen haben kann. "Aktuelle Daten vom ASCO-Kongress in Chicago zeigen, dass bei BRCA-mutierten Mammakarzinomen durch eine neoadjuvante Therapie mit einem PARP-Inhibitor ohne weitere Chemotherapie eine pathohistologische Komplettremission in 53 Prozent der Fälle erreicht werden kann - solche Werte können ansonsten nur durch eine Polychemotherapie erzielt werden."

Darüber hinaus zeigte kürzlich die TAILORx-Studie, dass nach einer genomischen Risikoanalyse bei einem niedrigen und mittleren Risiko (Ausnahme: Patientinnen unter 50 Jahre) sehr sicher auf eine Chemotherapie verzichtet werden kann. In der Studie, die kürzlich im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde (DOI:10.1056/NEJ-Moa1804710), wurde die Effektivität eines Tests geprüft, der die Expression von 21 Genen im Primärtumor bestimmt und mit der Berechnung des Rückfallrisikos anzeigt, ob eine Chemotherapie vorteilhaft ist. Die Empfehlung, auf eine Chemotherapie verzichten zu können, gelte jedoch ausschließlich für Patientinnen mit Hormonrezeptor positivem, nodal-negativem Mammakarzinom, so Rody.

Weitere Erkenntnisse für das nodal-positive Mammakarzinom werden durch die RxPonder-Studie erwartet. Auch hier kann durch die genauere Risikoeinschätzung und gezielte Identifikation von Niedrigrisikopatientinnen auf eine Chemotherapie verzichtet werden. Rody: "Diese Entwicklungen machen deutlich, dass wir uns momentan in einer Umbruchphase befinden. In vielen Teilbereichen wird die Chemotherapie reduziert und im Zuge dessen durch eine zielgerichtete Therapie ersetzt. Ich gehe davon aus, dass wir in fünf bis zehn Jahren bei vielen Tumorentitäten komplett auf eine Chemotherapie verzichten können."

Das Thema Kardiotoxizität beschäftigt Prof. Oliver Müller, Klinik für Innere Medizin III am UKSH-Campus Kiel. "Nebenwirkungen der Brustkrebsbehandlung auf das Herz-Kreislaufsystem sind häufig und können insbesondere zur linksventrikulären Funktionseinschränkung und manifesten Herzinsuffizienz führen", erläuterte er beim Kongress in Stuttgart. Zwar zeige eine aktuelle Publikation im European Heart Journal (doi:10.1093/eurheartj/ehy167), dass die kardiovaskuläre Sterblichkeit durch die Brustkrebsbehandlung nicht erhöht wird. "Dies ist auf ein gesteigertes Bewusstsein in der Gynäkologie für kardiale Nebenwirkungen und eine entsprechende Therapieanpassung zurückzuführen", sagte Müller. "Über die kardiale Morbidität und teils erheblich reduzierte Lebensqualität durch die Herzinsuffizienz der betroffenen Patientinnen trifft die Studie jedoch keine Aussage."

Eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Gynäkologie und Kardiologie sowie ein geschärftes Bewusstsein für mögliche kardiovaskuläre Komplikationen sei Voraussetzung für die optimale klinische Versorgung von Brustkrebs-Patientinnen. Die frühe Erfassung einer Kardiotoxizität ermögliche bereits vor Auftreten von Symptomen die Einleitung einer kardio-protektiven Therapie. Kardio-onkologische Spezialambulanzen, wie sie sich derzeit auch am UKSH im Aufbau befinden, ermöglichen laut Müller eine verbesserte interdisziplinäre Zusammenarbeit bei der Behandlung von kardiovaskulären Folgen einer Krebserkrankung bzw. -therapie.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 7-8/2018 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2018/201807/h18074a.htm

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www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Juli-August 2018, Seite 37
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2018

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