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ARTIKEL/1480: Tagung - Entzündungsforschung ... Maßgeschneiderte Therapien ermöglichen (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 5/2018

Entzündungsforschung
Maßgeschneiderte Therapien ermöglichen

von Uwe Groenewold


200 Wissenschaftler diskutierten auf Einladung des schleswig-holsteinischen Exzellenzclusters "Inflammation at Interfaces" Fortschritte auf dem Gebiet der Präzisionsmedizin.


Präzisionsmedizin ist nicht weniger als der größte Paradigmenwechsel, den es in der Medizin jemals gegeben hat." Mit diesen Worten stimmte Neurobiologe und Unternehmer Dr. Friedrich von Bohlen die Teilnehmer eines internationalen Symposiums in Hamburg auf das Thema der Tagung ein.

"Die Präzisionsmedizin wird individuelle, molekular-basierte Diagnosen sowie sicherere und vorhersagbarere Therapieoptionen ermöglichen", erklärte von Bohlen. Ziel sei es, durch das gezielte Sammeln, Vernetzen und Analysieren von Daten Krankheiten im Einzelfall besser verstehen und behandeln zu können. Aufbauend auf diesem individuellen Krankheitsprofil könnten sehr präzise individuelle Therapieoptionen ausgewählt werden, die sowohl wirksam als auch sicher seien. Die Zeiten, in denen verschiedene Menschen identische Medikamente erhalten, könnten bald der Vergangenheit angehören. Als Gründer und Geschäftsführer des Biotech-Unternehmens "Molecular Health" treibt von Bohlen die Idee der Präzisionsmedizin auch wirtschaftlich voran.

Das internationale Symposium des Clusters behandelte unter der Überschrift "Präzisionsmedizin bei chronischer Entzündung - von der Pathophysiologie bis zur Behandlungsentscheidung" ein breites Themenspektrum. Das Mikrobiom (Gesamtheit aller Mikroorganismen im Menschen), genetische Veränderungen, Biomarker sowie ethische und ökonomische Herausforderungen standen während der zweitägigen Konferenz im inhaltlichen Fokus.

Darüber hinaus erfüllte die Veranstaltung einen weiteren Zweck, wie Cluster-Sprecher Prof. Stefan Schreiber aus Kiel erläuterte. "Wir messen uns hier mit den Besten, die Veranstaltung ist so etwas wie ein Realitätscheck." Zum Verständnis: Der schleswigholsteinische Exzellenzcluster "Inflammation at Interfaces" bewirbt sich in der derzeit laufenden Exzellenzstrategie des Bundes und der Länder um eine dritte Förderperiode. Am 29. Mai müssen die schleswig-holsteinischen Entzündungsforscher bei der Begutachtung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) ihre Karten offenlegen und detaillierte Einblicke in aktuelle Forschungen und geplante künftige Entwicklungen geben. Das Hamburger Symposium war eine Art Generalprobe für die heimischen Wissenschaftler, die sich den Fragen der aus dem In- und Ausland angereisten Experten - etwa vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg, der britischen Universität Exeter oder von universitären Forschungseinrichtungen in Leuven (Niederlande) und Uppsala (Schweden) - gestellt haben.

Einer der heimischen Referenten war Prof. Christoph Kaleta aus dem Kieler UKSH-Institut für Experimentelle Medizin. Er beschrieb verschiedene Entwicklungsschritte innerhalb des Forschungsverbundes und charakterisierte den Weg von modellbasierten Ansätzen hin zur Gestaltung personalisierter Therapien in der Entzündungsmedizin. "Die immunologische Antwort des Körpers beinhaltet immer mehrere Levels. Durch Erzeugung von Computermodellen aus Patientendaten werden wir zukünftig besser vorhersagen können, welches Medikament für welchen Menschen geeignet ist", erläuterte Kaleta. Die Erhebung von Daten großer Kohorten sei hierzu unerlässlich. "Dank der starken Vernetzung innerhalb des Exzellenzclusters sind wir in Schleswig-Holstein auf einem sehr guten Weg."

Prof. Andre Franke aus dem Kieler UKSH-Institut für Klinische Molekularbiologie skizzierte die Entwicklung der jüngeren Vergangenheit ("Fünf Jahre in einer Nussschale") hin zu einem umfassenden Zentrum für Genanalysen. "Meine Arbeitsgruppe hat sich auf die bioinformatische Auswertung von Daten spezialisiert. Wir entwickeln extrem leistungsstarke IT-Infrastrukturen, um die immer größeren Datenmengen aus genetischen Analysen speichern und auswerten zu können."

Daten aus elektronischen Patientenakten sollten künftig mit den zugehörigen genetischen Daten verknüpft werden, so Franke. "Langfristig wollen wir intuitive Werkzeuge entwickeln, um individuelle genetische Informationen auszuwerten. Diese können personalisierte Aussagen zu Krankheitsentstehung, -therapie und -verlauf machen. Auf diese Weise wollen wir maßgeschneiderte Therapien ermöglichen."

Franke gehört zu den ersten acht Professoren, die im Rahmen des Programms "Schleswig-Holstein Excellence Chairs" gefördert werden. Bestehende Professuren an Hochschuleinrichtungen des Landes werden seit 2016 für einen Zeitraum von maximal zwei Mal sechs Jahren durch eine finanzielle und personelle Aufstockung ihres Forschungsumfeldes aufwertet. Insgesamt acht Millionen Euro investiert das Land Schleswig-Holstein hierfür. Durch die Förderung kann jeder Chair-Inhaber eine zusätzliche Professur in seiner Arbeitsgruppe einsetzen und damit zukunftsträchtige Forschungsprojekte in seinem Themengebiet auf international konkurrenzfähigem Niveau realisieren. Die Forscher haben zum Teil auch noch ein Standbein in der Klinik, was von erheblicher Bedeutung ist, um Erkenntnisse aus der Wissenschaft schnellstmöglich zum Patienten zu bringen.

Mit diesen Maßnahmen und Förderungen werde die Nachhaltigkeit der Exzellenz am Standort Schleswig-Holstein gesichert, so Cluster-Sprecher Stefan Schreiber. In den nächsten Jahren, erläuterte Schreiber im Gespräch mit dem Ärzteblatt, kommen jährlich sechs Professuren dazu; eine entsprechende Vereinbarung hätten Land und Universitäten getroffen. Kiel und Lübeck hätten sich auf das gemeinsame Förderprogramm verständigt, um die jungen und sehr erfolgreichen Professoren (Prof. Schreiber: "Sie sind Weltspitze") an den Cluster-Standorten halten zu können.

Ziel des seit 2007 von der DFG geförderten Exzellenzclusters Entzündungsforschung ist die Entschlüsselung der molekularen Grundlagen chronisch entzündlicher Krankheiten sowie die Identifikation von Stoffwechsel- und Signalpfaden, um Ansätze für Therapien und Prävention zu gewinnen. Im Cluster werden wesentliche Elemente der Entzündungsentstehung auf genetischer, genomischer und funktioneller Ebene untersucht. Der Cluster ist eine gemeinsame Einrichtung der Universitäten Kiel und Lübeck zusammen mit dem UKSH, dem Leibniz Forschungszentrum Borstel, dem Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie Plön sowie der Muthesius Kunsthochschule Kiel.

In Hamburg wurde jede neue Vortragsrunde von einem Referenten aus Schleswig-Holstein eingeleitet. So skizzierte Prof. Jeanette Erdmann aus dem Lübecker UKSH-Institut für Kardiogenetik den aktuellen Stand ihrer Forschungen zu genetisch bedingten Herzerkrankungen; Prof. Cornelius Borck, Institut für Medizingeschichte und Wissenschaftsforschung der Universität Lübeck, erläuterte die Interdisziplinarität innerhalb des Exzellenzclusters und Prof. Robert Huber, Institut für biomedizinische Optik der Universität Lübeck, beschrieb die vielfältigen neuen Möglichkeiten, die moderne Bildgebungsverfahren für entzündliche Erkrankungen bieten.

Die Vorträge boten eine große inhaltliche Breite und Tiefe. In einem waren sich die Teilnehmenden offensichtlich einig: Die in der Entwicklung befindliche Präzisionsmedizin wird künftig weiter an Bedeutung gewinnen und hat das Potenzial dazu, die Medizin erheblich zu verändern. Dem tragen die schleswig-holsteinischen Entzündungsforscher in ihren Planungen schon heute Rechnung. Die inzwischen über 300 Wissenschaftler, die sich in dem Cluster zusammengeschlossen haben, erhoffen sich eine weitere finanzielle Ausstattung mit Bundesmitteln. Sollte der Forschungsverbund nach der Begutachtung Ende Mai tatsächlich am 27. September ein positives Votum der DFG erhalten, steht für die ab Januar 2019 beginnende nächste Förderperiode eine Namensänderung an: Aus "Inflammation at Interfaces" würde "Precision Medicine in Chronic Inflammation" werden. Damit, so Cluster-Sprecher Schreiber, soll die inhaltliche Weiterentwicklung der schleswig-holsteinischen Entzündungsforschung auch in der Namensgebung deutlich gemacht werden.


Info

29. Mai
An diesem Tag wird die Entzündungsforschung aus Schleswig-Holstein von der DFG begutachtet. Die Entscheidung über eine weitere Förderung fällt am 27. September.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 5/2018 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2018/201805/h18054a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Mai 2018, Seite 34 - 35
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juni 2018

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