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ARTIKEL/1473: Versorgung - Beim Nachwuchs Lust aufs Land wecken (SH Ärzteblatt)


Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 4/2018

Versorgung
Beim Nachwuchs Lust aufs Land wecken

von Martin Geist


Dialogforum "Zukunft Gesundheit": Die Ärztegenossenschaft Nord arbeitet derzeit in 21 Regionen an Konzepten für eine langfristig sichere Versorgung. Konkrete Projekte statt theoretischer Modelle.


"Hoppla, uns gehen die Hausärzte aus." So oder ähnlich klingt es besonders auf dem Land tatsächlich immer wieder aus den Mündern von Kommunalpolitikern, denen teils tatsächlich sehr kurzfristige Praxisschließungen arge Probleme bereiten. Strategien im Umgang mit solchen Einschnitten standen im Mittelpunkt des zweiten Dialogforums "Zukunft Gesundheit" der Ärztegenossenschaft Nord im Kieler Wissenschaftszentrum.

Wie groß das Problem bereits ist und vor allem noch werden wird, verdeutlichte zum Auftakt André Zwaka von der Kassenärztlichen Vereinigung Schleswig-Holstein (KVSH). Demnach sind von den etwa 1.900 Hausärzten im Land 600, also fast 30 Prozent, älter als 60 Jahre und werden sich in absehbarer Zeit in den Ruhestand zurückziehen. Nachfolger zu finden, gestaltet sich laut Zwaka aus verschiedenen Gründen mehr als schwierig. "Der wichtigste Fakt ist, dass wir zu wenig Facharzt-Anerkennungen im Jahr haben", betonte der Mann von der KVSH und fügte hinzu, dass es auch wegen der formalen Vorgaben alles andere als einfach sei, etwa durch die Anwerbung jüngerer Hausärzte längerfristig vorzusorgen.

Mit Husum und Meldorf gelten aktuell gerade mal zwei von 29 Planungsregionen in Schleswig-Holstein als unterversorgt, überall sonst weist die Statistik eine ausreichende Hausarzt-Quote oder sogar eine Überversorgung aus. Entsprechend gering sei der Spielraum der KVSH bei der Vergabe neuer Kassenzulassungen, erläuterte Zwaka. Ausnahmen etwa über einen anerkannten Sonderbedarf könnten wegen hoher Hürden nur "sehr selten" genehmigt werden.

Als wichtigste Aufgabe betrachtet es nicht nur dieser Experte, mehr junge Mediziner für eine hausärztliche Tätigkeit zu gewinnen. Und das, so hat Prof. Jost Steinhäuser vom Institut für Allgemeinmedizin auf dem Lübecker Campus des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein herausgefunden, hat eher wenig mit Geld zu tun. Wichtiger als das Einkommen ist nach dem Ergebnis seiner Forschungen vielen jungen Ärzten die Möglichkeit, in Kooperation zu arbeiten. Dahinter wiederum stecke oft die sehr ehrenwerte Befürchtung, als Einzelkämpfer auf dem Land womöglich nicht über genug Erfahrung zu verfügen, um in jedem Fall die bestmögliche Vorgehensweise zu finden.

Klaas Lindemann, 30 Jahre jung und angestellter Allgemeinmediziner im Ärztezentrum Büsum, bestätigte das: "Ich arbeite zwar gern eigenständig, manchmal ist es aber eine echte Hilfe, wenn man über ein Problem im Team beraten kann." In Büsum ist das ohne Weiteres möglich. Zum ärztlichen Team gehören drei Männer und drei Frauen, von denen zwei in Teilzeit arbeiten, was aus Sicht von Lindemann nicht nur fachlich hilfreich sein kann, sondern auch Urlaubs- oder Krankheitsvertretungen wesentlich erleichtert.

Einen gewissen Berühmtheitsstatus erlangte das Ärztezentrum Büsum als bundesweit erste kommunale Einrichtung. Die niedergelassenen Ärzte im Ort hatten wie mehrfach berichtet ein hohes Durchschnittsalter und etliche von ihnen waren bei der Suche nach einem Nachfolger erfolglos geblieben. Also wurde die Gemeinde selber tätig, holte die Ärztegenossenschaft Nord an Bord und entwickelte mit deren Hilfe, aber auch mit Unterstützung der Ärzte vor Ort, ein nachhaltiges Konzept für die Zukunft der medizinischen Versorgung.

Fast schon einen Feuerwehreinsatz musste die ÄGN derweil auf der Nordseeinsel Pellworm leisten. Im April 2016 kündigte der langjährige Inselarzt Dr. Uwe Kurzke nach den Worten von Bürgermeister Jürgen Feddersen an, dass er zum 1. Juli seine Zelte abbrechen werde. Innerhalb kürzester Zeit erarbeiteten die Gemeinde, die ÄGN, die Kassenärztliche Vereinigung und das Land Schleswig-Holstein daraufhin ein Konzept für ein eigenes Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ). Am 7. Juli 2016 feierte das Zentrum Eröffnung mit Dr. Regine Ecker. Derzeit wird noch ein zweiter Arzt gesucht, um die 1.200 Inselbewohner und die zahlreichen Urlauber zu betreuen. Geld verdient die Gemeinde mit dem MVZ nicht, im Gegenteil: Derzeit fällt ein Defizit von etwa 50.000 Euro im Jahr an. Eine Alternative sieht der Bürgermeister nicht - schließlich ist die Gemeinde auch angesichts von 160.000 Übernachtungen von Urlaubern pro Jahr auf medizinische Versorgung angewiesen.

An eine solche kommunale Eigenlösung sollte aus Sicht von Harald Stender, Koordinator für ambulante Versorgung im Kreis Dithmarschen, allerdings erst ins Auge gefasst werden, wenn andere Möglichkeiten nicht greifen. "Entscheidend ist es, so früh wie möglich alle Beteiligten zusammenzubringen", betonte er. Fast immer seien dann private Modelle möglich, die bei Bedarf von der jeweiligen Gemeinde unterstützt werden können, indem sie zum Beispiel ein attraktives Gebäude bereitstellt.

Einig waren sich die Teilnehmer der Tagung, dass gar nicht genug getan werden kann, um bei jungen Ärzten Lust aufs Land zu wecken. Richtungsweisend ist dabei nach Überzeugung von Steinhäuser das Kompetenzzentrum Allgemeinmedizin, hinter dem die Universitäten Kiel und Lübeck, die Ärztekammer und die Kassenärztliche Vereinigung stehen. Unter anderem durch Mentoring und Schulungsprogramme bekommen angehende Mediziner dabei die vielfältigen Vorzüge einer Niederlassung auf dem Land vermittelt. Gelinge es erst einmal, den ärztlichen Nachwuchs überhaupt aufs Land zu locken, dann sei die Wahrscheinlichkeit, dass er auch bleibt, "deutlich höher", betonte Steinhäuser. Fortschritte sind auf diesem Gebiet nach Einschätzung von Dr. Svante Gehring, Vorstandsmitglied der Ärztegenossenschaft Nord, erzielt worden. Vor drei Jahren habe man in Workshops noch theoretische Modelle diskutiert, nun könne man erfolgreich umgesetzte Projekte vorstellen. Bei aller Aufmerksamkeit für das Ärztezentrum Büsum und das MVZ Pellworm eignen sich diese nach Ansicht Gehrings nicht automatisch als Blaupausen für weitere Projekte. "Lösungen werden immer an der konkreten Situation, den Wünschen der örtlichen Ärzte und den Vorstellungen potenzieller Nachfolger orientiert und erarbeitet", sagte Gehring. Nur so ließe sich die ärztliche Versorgung nachhaltig sichern. Aktuell erarbeitet die ÄGN für 21 Regionen Modelle, um die ärztliche Versorgung in der Fläche langfristig aufrechtzuerhalten.

Wie sich die hausärztliche Versorgung im Spannungsfeld zwischen selbstständigen Ärzten und kommunalen MVZ ausgestalten lässt, wird auch Thema der diesjährigen Generalversammlung der Ärztegenossenschaft Nord sein. Sie findet am 6. Juni statt, nicht wie gewohnt in Rendsburg, sondern erstmalig in Bad Segeberg.


Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 2/2018 im Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2018/201804/h18044a.htm

Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de

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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, April 2018, Seite 16 - 17
Herausgegeben von der Ärztekammer Schleswig-Holstein
mit den Mitteilungen der Kassenärztlichen Vereinigung
Schleswig-Holstein
Redaktion: Dirk Schnack (Ltg.)
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2018

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