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AUSLAND/1979: Brasilien - Präsidentin billigt Versorgungsanspruch von Vergewaltigungsopfern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. August 2013

Brasilien: Präsidentin billigt medizinischen Versorgungsanspruch von Vergewaltigungsopfern

von Fabiana Frayssinet



Rio de Janeiro, 2. August 2013 (IPS) - Brasiliens Staatspräsidentin Dilma Rousseff hat gegen den Widerstand konservativer Kirchenkreise ein Gesetz unterzeichnet, das Opfern sexueller Gewalt einen Rechtsanspruch auf medizinische Versorgung einräumt. Konkret bedeutet dies, dass Vertreter des öffentlichen Gesundheitssektors den Wunsch von Vergewaltigungsopfern nach einer Abtreibung oder der 'Pille danach' respektieren und erfüllen müssen.

"Begibt sich ein Missbrauchsopfer in ein öffentliches Krankenhaus, ist das Personal zur umfassenden Versorgung verpflichtet", kommentierte Gesundheitsminister Alexandre Padilha das neue, von Rousseff am 1. August gebilligte Gesetz 3/2013, dass das nun binnen 90 Tagen in Kraft tritt.

Das Gesetz reglementiert die medizinische Versorgung von Vergewaltigungsopfern, ohne die existierenden Abtreibungsbestimmungen zu verändern. In dem südamerikanischen Land sind Schwangerschaftsabbrüche lediglich dann zulässig, wenn die Geburt des Kindes das Leben der Mutter gefährdet, drei Ärzte eine Missbildung des Fötus bestätigen oder die Schwangerschaft durch die Vergewaltigung zustande kam.

"Das Neue an dem Gesetz ist, dass es das staatliche Gesundheitswesen in die Pflicht nimmt, Vergewaltigungsopfer angemessen medizinisch zu versorgen", meint Beatriz Galli vom Brasilien-Büro von 'Ipas'. Die internationale Hilfsorganisation tritt für die reproduktive Gesundheit und Rechte von Frauen ein.


Alle zwölf Sekunden eine Vergewaltigung

Brasilien weist eine der weltweit höchsten Vergewaltigungsraten auf. Schätzungen zufolge kommt es in dem größten südamerikanischen Land im Durchschnitt alle zwölf Sekunden zu einer Vergewaltigung. Zahlen des Brasilianischen Forums für öffentliche Sicherheit zeigen, dass die sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Frauen in fünf Jahren um 168 Prozent gestiegen ist. Da sich viele Opfer scheuen, Sexualdelikte anzuzeigen, dürfte die Zunahme in Wirklichkeit noch höher sein.

Doch mit einer Vergewaltigung ist das Leid der Opfer noch lange nicht vorbei. An einigen Kliniken des Landes wird den Opfern eine umfassende Behandlung verweigert. Das bedeutet, dass Frauen ihr Recht auf einen Abbruch oder die Pille danach nicht wahrnehmen können.

"Auch wenn es heute medizinische Anlaufstellen für Opfer sexueller Gewalt gibt, so wissen wir doch, dass sie ihrem Auftrag nicht immer nachkommen. Das gilt vor allem in Fällen, in denen Vergewaltigungsopfer ihr Recht auf Abtreibung in Anspruch nehmen wollen", berichtet Galli. So sei es keine Seltenheit, dass Ärzte den Eingriff aus moralischen und religiösen Gründen ablehnten.

Das neue Gesetz verpflichtet Ärzte des öffentlichen Gesundheitssystems dazu, vergewaltigte Frauen vor der Gefahr einer ungewollten Schwangerschaft zu schützen. Es setzt zudem einen Schlussstrich unter Versuche, die reproduktiven Rechte vergewaltigter Frauen und Mädchen zu unterlaufen.

Wie die Soziologin Angela Freitas vom Provinzrat der Rechte der Frau berichtet, ist die Kritik konservativer Kreise an dem neuen Gesetz substanzlos, weil es anders als von Gegnern behauptet, keineswegs zur generellen Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen beiträgt. Das Gesetz sorge lediglich dafür, dass Frauen Rechte wahrnehmen könnten, die ihnen ohnehin zustünden. Galli zufolge wird es ferner dafür sorgen, die Zahl illegaler Abtreibungen zu senken, die auf jährlich bis zu eine Million geschätzt werden.


Mystischer Widerstand

Am 1. August ist die Frist für die Verkündung von Gesetz 3/2013 abgelaufen. Grundlage war ein Entwurf von 1999, den die damalige Abgeordnete der linksgerichteten Arbeiterpartei, Iara Bernardi, eingebracht hatte. Obwohl das Zwei-Kammer-Parlament der Vorlage einstimmig zugestimmt hatte, versuchten Mitglieder der brasilianischen Bischofskonferenz und andere Kirchenvertreter vergeblich, Staatschefin Rousseff zu einem Veto gegen das Gesetz zu bewegen.

Ihre Kritik galt vor allem Paragraphen, in denen von einer "Schwangerschaftsprophylaxe" und der Verpflichtung des öffentlichen Gesundheitssystems die Rede ist, die Opfer sexueller Gewalt über ihren Anspruch auf die Pille danach oder einen Schwangerschaftsabbruch zu unterrichten.

Die Gegner fürchten, dass das neue Gesetz dazu führen wird, dass auch Schwangerschaften abgebrochen werden, die nicht von einer Vergewaltigung herrühren. Das würde voraussetzen, dass die Frauen den Missbrauch 'erfinden', um legal abtreiben zu dürfen. "Es ist empörend vorauszusetzen, dass Frauen unehrlich sind und lügen könnten", meinte dazu Freitas und sprach zudem von einer "Respektlosigkeit gegenüber der Professionalität von Ärzten, die mit den Frauen sprechen und sie untersuchen".

Freitas wies darauf hin, dass es in Brasilien alles andere als leicht sei, legal abzutreiben. "Die Entscheidung trifft letztendlich ein Team aus Vertretern der Ärzte- und Schwesternschaft, einer Sozialberaterin und einer Psychologin. "Eine Frau, die einen Vergewaltigungsfall erfindet, würde sehr schnell auffliegen."

Wichtig sei es aber, dass Vergewaltigungsopfer die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch haben, betonte Freitas. Damit sie dieses Recht wahrnehmen könnten, werde es nun darum gehen, Frauen über die Existenz des neuen Gesetzes und die damit verbundenen Möglichkeiten umfangreich zu informieren. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.ipas.org/es-MX/News/2011/July/Ipas-Brazil-set-to-begin-new-venture.aspx
http://www.ipsnoticias.net/2013/08/rousseff-rubrica-ley-de-atencion-a-victimas-de-abuso-sexual/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 2. August 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2013