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AUSLAND/1833: Jordanien - Gesundheitssystem ächzt unter Zustrom libyscher und syrischer Patienten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. Mai 2012

Jordanien: Gesundheitssystem ächzt unter Zustrom libyscher und syrischer Patienten

von Mona Alami

Ehemaliger libyscher Kämpfer, der in einem Krankenhaus in Amman behandelt wird - Bild: © Mona Alami/IPS

Ehemaliger libyscher Kämpfer, der in einem Krankenhaus in Amman behandelt wird
Bild: © Mona Alami/IPS

Ehemaliger libyscher Kämpfer, der in einem Krankenhaus in Amman behandelt wird - Bild: © Mona Alami/IPS

Amman, Jordanien, 14. Mai (IPS) - Im Arabischen Frühling sind zahlreiche kranke und verwundete Libyer, die aus ihrem vom Krieg zerrissenen Land flohen, nach Jordanien gekommen. Der plötzliche Ansturm von Patienten hat die jordanischen Krankenhäuser stark belastet und viele Kranke das Leben gekostet.

"Bis auf Notfälle und diejenigen, die bar bezahlen können, nehmen die Hospitäler keine Libyer mehr auf. Vor allem für Patienten, die wegen Krebs behandelt oder künstlich befruchtet werden, ist das eine schwierige Situation", sagte der ehemalige Sozialminister Awnin Bashir, der das Chmeisani-Krankenhaus und die Jordanische Vereinigung der Privatkliniken leitet.

Im vergangenen halben Jahr haben sich etwa 52.000 Libyer in Jordanien behandeln lassen. Zurzeit werden immer noch 15.000 medizinisch betreut. 20 Prozent der Patienten aus Libyen waren im vergangenen Jahr bei den Unruhen verletzt worden.

Die Überfüllung der Kliniken hat wahrscheinlich dazu beigetragen, dass in mehreren Fällen verzweifelte Verwandte von Patienten Ärzte und Pfleger angriffen. "Die Zahl der Übergriffe ist mit etwa zehn Fällen seit Jahresbeginn allerdings noch gering", sagte Bashir.

Die Lage könnte sich erneut verschärfen, da nach dem Ausbruch der Unruhen in Syrien etwa 100.000 Menschen von dort nach Jordanien geflohen sind. "Nach und nach kommen syrische Patienten hier an. Wir befürchten, dass wir in den kommenden Monaten eine ähnliche Situation erleben könnten", erklärte Bashir.

Während des Bürgerkriegs in Libyen, der im vergangenen Jahr die 40-jährige Diktatur von Muammar al Gaddafi beendete, wurden Tausende Menschen getötet und unzählige weitere verletzt. Einer von ihnen ist der frühere Milizionär Faraj Fakhri. Seine Fahrzeugkolonne geriet auf dem Weg von Ajdabiya nach Benghasi unter heftigen Beschuss.


Libyen verfügt nicht über geeignete Infrastruktur

Wegen seiner schweren Schussverletzungen wird Fakhri inzwischen im Chmeisani-Krankenhaus behandelt. Zwei Mal wurde er bereits operiert, nun muss er drei weitere Eingriffe über sich ergehen lassen. "Gott sei Dank kann ich jetzt mein Bein bewegen", sagte er. "Ich habe mich in Jordanien operieren lassen, weil mein Land nicht die entsprechenden medizinischen Einrichtungen besitzt."

Sein Zimmernachbar Hajj Omar, der etwa 70 ist, wurde ebenfalls am Bein operiert. "Die Ärzte haben mich aus Menschenfreundlichkeit behandelt", meinte er. "Ich hatte Schmerzen, doch die Krankenhäuser wiesen uns Libyer ab, weil wir nicht für die Behandlungen zahlen können."

Dabei hat Jordanien sich seit 2006 gezielt auf Patienten aus dem Ausland eingestellt. Zehntausende kamen seitdem in das Land, um sich in die Obhut von Ärzten zu begeben. Die Behandlungen umfassten kosmetische und neurologische Operationen, Organtransplantationen, orthopädische Versorgung, Fruchtbarkeitsbehandlungen und Krebstherapien.

Nach Erhebungen der 'Oxford Business Group' trägt der 'Medizintourismus' vier Prozent zum jordanischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei. Jährlich kommen auf diese Weise etwa eine Milliarde US-Dollar zusammen.

Der große Zustrom von Kriegsverwundeten aus Libyen hat die Krankenhäuser jedoch an die Grenzen ihrer Kapazitäten getrieben. "Jede Woche kamen 18 Flugzeuge an. Darin saßen zumeist Libyer, die sich sofort in unsere Kliniken begaben. Dadurch kam der medizinische Bereich unter erheblichen Druck", sagte Ahmad Rajaei al-Hiari, die die Behörde für Medizintourismus leitet.

Eine Behandlung in Jordanien wird von vielen Libyern deshalb bevorzugt, weil Sprache, Kultur und Traditionen ähnlich sind. Sie benötigen zudem keine Visa und können Direktflüge zwischen Tripolis und Amman nutzen.


Jordanier finden kaum noch Klinikbetten

In den jordanischen Krankenhäusern werden indes die Betten für einheimische Patienten knapp. Privatkliniken legten inzwischen fest, dass zehn Prozent der Betten für Jordanier freigehalten werden müssen. Insgesamt stehen rund 4.000 Betten im privaten Sektor und weitere 8.000 in staatlichen Hospitälern zur Verfügung.

Nicht Krankenhäuser, sondern auch Hotels, Restaurants und Autovermietungen erleben einen Ansturm von Libyern. Manche Hotels wollen erst dann libysche Gäste aufnehmen, wenn sie im Voraus zahlen. In anderen Fällen wurde Libyer aufgefordert, ihre Zimmer bis Ende des Monats zu räumen, wenn sie ihre Rechnungen nicht in bar zahlen können.

Amman und Tripolis streiten unterdessen über libysche Außenstände von 200‍ ‍Millionen Dollar für unbezahlte Arztrechnungen und Unterbringungskosten. Die neue Regierung Libyens zahlte an die jordanischen Krankenhäuser und Hotels im April 65 Millionen Dollar. Einen Monat später folgten weitere 60 Millionen Dollar.

Die Krankenhäuser sitzen jedoch finanziell zunehmend auf dem Trockenen. Diese Situation beeinträchtigt die medizinische Versorgungskette. Bei Lieferanten medizinischer Ausrüstung stehen die Kliniken des Landes daher mit mehr als 65 Millionen Dollar in der Kreide. (Ende/IPS/ck/2012)


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IPS-Tagesdienst vom 14. Mai 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Mai 2012