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AUSLAND/1815: Côte d'Ivoire - Gesundheitssektor erholt sich mühsam, ländliche Gebiete unterversorgt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. März 2012


Côte d'Ivoire: Gesundheitssektor erholt sich mühsam - Ländliche Gebiete unterversorgt

von Kristin Palitza

Ärztin Tenedia Soro-Coulibaly mit Patientin Angama Ouattara - Bild: © Kristin Palitza/IPS

Ärztin Tenedia Soro-Coulibaly mit Patientin Angama Ouattara
Bild: © Kristin Palitza/IPS

Abidjan, 26. März (IPS) - Die einjährige Angama Ouattara liegt auf einem rostigen Krankenhausbett. An ihrem winzigen linken Fuß hängt eine Tropfinfusion. Ihre Mutter Minata sitzt auf der Bettkante und glättet die Laken, die sie von zu Hause mitgebracht hat.

Sechs Tage zuvor war Angama auf der Kinderstation des 'Hôpital Général d'Abobo' in Côte d'Ivoires Wirtschaftsmetropole Abidjan aufgenommen worden. Das kleine Mädchen leidet an einer schweren Form von Meningitis. Es ist so schwach, dass es ohne Hilfe nicht aufrecht sitzen und seinen Kopf halten kann.

Kinder wie Angama sollen in dem afrikanischen Land nicht mehr ihrem Schicksal überlassen werden. Seit dem 1. März gilt eine neue Richtlinie, die unter Fünfjährigen, schwangeren Frauen und Malariakranken kostenlose ärztliche Behandlungen zusichert. Allgemein betrachtet ist die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung aber weiterhin unzureichend, vor allem außerhalb der großen Städte.

"Ich verdiene gerade genug, um meine Kindern zu ernähren. Für das Krankenhaus würde es nicht reichen", erklärt die 27-jährige Frau, die als Fischverkäuferin auf einem Markt in Abobo, dem größten Slum von Abidjan, arbeitet. Dass der Staat die Kosten für die Behandlung ihrer Tochter bezahlt, hat dem Kind das Leben gerettet.


Krankenhäuser bei Unruhen geplündert

Noch vor zehn Monaten wäre dies nicht der Fall gewesen. Das westafrikanische Land begann sich allmählich von einer durch die Präsidentschaftswahlen ausgelösten Krise zu erholen. Fast alle Krankenhäuser waren ein halbes Jahr geschlossen, nachdem sie überfallen und ausgeplündert worden waren. Die neue Regierung von Staatschef Alassane Ouattara engagiert sich seither für eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung.

Ouattara kam im vergangenen Mai in sein Amt, sechs Monate nach den Wahlen, denen ein erbitterter Machtkampf zwischen ihm und seinem Vorgänger Laurent Gbagbo folgte. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR wurden bei den Unruhen etwa 3.000 Menschen getötet und mindestens 500.000 vertrieben.

Eine der ersten Amtshandlungen Ouattaras bestand darin, einen Notfallplan in Kraft zu setzen und die Hospitäler wieder zu öffnen. Alle Bürger des Landes hatten demnach neun Monate lang Anspruch auf kostenfreie Behandlungen. Die seit März umgesetzte Richtlinie begrenzt die Gratis-Versorgung aus Kostengründen auf werdende Mütter, Kinder und Malaria-Patienten.

Der Wiederaufbau des angeschlagenen Gesundheitssektors erfordert Zeit. Côte d'Ivoire hat seit einem Militärputsch im Dezember 1999 zwölf Jahre politische Instabilität und die zehnjährige autokratische Herrschaft Gbagbos hinter sich gebracht. In den Krankenhäusern fehlt es seit längerem an ausgebildetem Personal, grundlegender Ausstattung und Technik.

Die Wirren nach den Wahlen im vergangenen Jahr verschlimmerten die Lage. Soldaten und Zivilisten drangen in die Kliniken ein und raubten alles, was sie tragen konnten: Medikamente, Laborausstattung, Computer, Betten und Matratzen. "Sogar Krankenwagen wurden gestohlen", sagt Mamadou Keita, der Leiter der Gesundheitsbehörde im Distrikt Abobo. In dem Elendsviertel, in dem schätzungsweise eine Million Menschen leben, gibt es derzeit nur einen einzigen Krankenwagen.

"Wir waren bisher nicht in der Lage, die Ausstattung zu ersetzen, weil wir alles von Null wiederaufbauen mussten", erklärt er. "Da die Kosten hoch sind, wird es noch eine Weile dauern. Im Moment können wir nur grundlegende Leistungen anbieten. Sogar Spritzen und Thermometer fehlen uns, oft sind auch keine Medikamente mehr da."


Patienten müssen Medikamente selbst kaufen

Obwohl die Behandlung nichts kostet, muss Angamas Mutter die Infusionslösung und Arzneien für das Kind von ihrem eigenen Geld kaufen, weil die Vorräte des Krankenhauses erschöpft sind. Dafür braucht sie täglich umgerechnet 20 US-Dollar - das Fünffache ihres Tageseinkommens.

"Da meine Tochter schon sechs Tage in der Klinik ist, musste ich mir von meinen Verwandten Geld borgen", berichtet Minata. Da sie die gesamte Zeit am Bett ihres Kindes wacht, kann sie auch nicht mehr arbeiten. "Es wird lange dauern, bis ich meine Schulden zurückgezahlt habe", seufzt sie.

Die Bevölkerung des Landes braucht eine gute Gesundheitsversorgung so nötig wie nie zuvor. Während der Zusammenstöße nach den Wahlen wurden viele Ivorer verletzt. Tausende Vertriebene hatten keinen Zugang zu sauberem Wasser und erkrankten an Malaria. 2011 wurden allein im Abobo-Krankenhaus etwa vier Millionen Kinder behandelt. Diese Zahl ist fast doppelt so hoch wie im Vorjahr, wie Tenedia Soro-Coulibaly erläutert, die in der Klinik als Kinderärztin arbeitet.

"Etwa 90 Prozent dieser Kinder hatten Malaria", berichtet sie. Dies sei selbst für ein Land wie Côte d'Ivoire, wo Malaria die erste Todesursache bei Kindern ist, sehr ungewöhnlich. Nach Erkenntnissen der Weltgesundheitsorganisation WHO geht etwa die Hälfte aller Todesfälle bei Kindern auf das Sumpffieber zurück.

Während der Unruhen spitzte sich die Krise auch dadurch zu, dass Märkte und Banken schlossen. Die Menschen kamen somit weder an Nahrung noch an Finanzmittel heran. Die Unterernährung nahm rapide zu, und Kinder waren davon besonders stark betroffen. "Auch Fälle von Cholera, Meningitis und Masern sowie Durchfall- und Atemwegserkrankungen haben zugenommen", sagt Keita.

"Dennoch fehlt uns oft die notwendige Ausrüstung, um das Leben von Patienten zu retten", betont Soro-Coulibaly. Die Sauerstoffflaschen in ihrer Abteilung sind leer. Da auch die Notstromgeneratoren kaputt sind, müssen die Mediziner die Arbeit unterbrechen, wenn wie so oft der Strom ausfällt.


UNICEF warnt vor langfristigen Folgen

Die Gesundheitsversorgung von Minderjährigen ist so schlecht, dass das Weltkinderhilfswerk UNICEF vor langfristigen negativen Folgen warnte. Die Regierung wurde aufgefordert, das Gesundheitssystem rasch im ganzen Land wieder aufzubauen. Während sich die Lage in Abidjan bereits allmählich verbessert, sieht es im Westen und im Zentrum weiterhin bedenklich aus. Dort kommt es auch immer noch zu sporadischen Gewaltausbrüchen.

"Wir werben bei der Regierung für eine Aufstockung des Gesundheitsbudgets und drängen zugleich darauf, das System zu dezentralisieren", sagt die UNICEF-Vertreterin in Côte d'Ivoire, Christina de Bruin. "Das meiste Geld geht zurzeit an die Hospitäler in Abidjan, während ländliche Regionen nach wie vor unterversorgt sind." (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.unhcr.org/cgi-bin/texis/vtx/home
http://www.who.int/en/
http://www.unicef.org/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107062

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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. März 2012