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AUSLAND/1739: Schweiz - Nicht ohne meinen Suizidbegleiter (ALfA LebensForum)


ALfA LebensForum Nr. 98 - 2. Quartal 2011
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

AUSLAND
Nicht ohne meinen Suizidbegleiter

Von Stefan Rehder


In der Schweiz soll alles so bleiben, wie es ist. Eine erstaunlich große Mehrheit der Bürger des Kantons Zürich vereitelte bei einem Referendum Mitte Mai gleich zwei Initiativen, die wegweisende Änderungen auf dem Feld der gewerblichen Suizidbeihilfe herbeiführen wollten.


Die Schweizer wollen den käuflichen Tod offenbar nicht missen. Jedenfalls nicht mehrheitlich. Obwohl Schweizer Sterbehilfeorganisationen wie Dignitas und Exit in der Vergangenheit mit den von ihnen gegen Entgelt begleiteten Suiziden immer wieder für skandalöse Schlagzeilen gesorgt haben, fielen bei einer Volksabstimmung im Kanton Zürich gleich beide Vorlagen durch, mit denen die Eidgenössisch-Demokratische Union (EDU) und die Evangelische Volkspartei (EVP) eine Änderung der geltenden Praxis erreichen wollten. Und das in einer Deutlichkeit, die Gegner wie Befürworter gleichermaßen überrascht.

Selbst für die Initiative »Nein zum Sterbetourismus im Kanton Zürich« stimmten am 15. Mai lediglich rund 60.000 Wahlberechtigte (21,6 %). Rund 218.600 (78,4 %) lehnten die Vorlage ab, mit der EDU und EVP die käufliche Suizidbegleitung auf Personen beschränken wollten, die mindestens seit einem Jahr im Kanton wohnen. Dabei hatten die Initiatoren ihre Vorlage gut begründet und angeführt, dass der »Sterbetourismus« dem Kanton einen »erheblichen Imageschaden« beschere, da er die Gesetze derjenigen Nachbarstaaten unterlaufe, in denen die Beihilfe zum Suizid - so etwa in Österreich - verboten ist. Nicht einmal das Argument, dass jeder Suizid den Schweizer Steuerzahler teuer zu stehen komme, verfing. Obwohl der Suizidwillige der ihn begleitenden Organisation »in der Regel viele tausend Franken für ihre sogenannte Dienstleistung« zahle, müssten die Steuerzahler für »die Folgekosten für Justiz und Rechtsmedizin« aufkommen. Pro Suizid seien dies »zwischen 3.000 und 5.000 Franken«, hieß es in der Vorlage. Das sind umgerechnet rund 2.400 bis 4.000 Euro pro Fall.

Noch gewaltiger war die Ablehnung des Versuchs, die kommerzielle Suizidbeihilfe ganz zu verbieten. Für die Initiative »Stopp der Suizidhilfe«, mit der die Bürger des Kantons Zürichs nach dem Willen von EDU und EVP den Bund beauftragen sollten, eine Gesetzesänderung auf den Weg zu bringen, die »jede Art von Verleitung oder Beihilfe zum Selbstmord« verbietet und unter Strafe stellt, stimmten nur noch rund 43.000 Wahlberechtigte (15,5 %). Rund 235.000 Bürger (84,5 %) lehnten das Ansinnen ab.

In der Schweiz ist Beihilfe zum Suizid laut Artikel 115 des Strafgesetzbuches nur dann strafbar, wenn sie aufgrund »selbstsüchtiger Motive« geleistet wird. Was als »selbstsüchtig« betrachtet werden muss, gilt als umstritten. Dass Menschen Geld dafür verlangen, dass sie anderen einen begleiteten Suizid ermöglichen, gilt prinzipiell bislang nicht als strafwürdig.

Interessante Erkenntnisse liefert auch ein Blick auf die Wahlbeteiligung. Zwar lag diese bei beiden Vorlagen nur bei rund 33,6 Prozent. Doch stießen bei den zur Wahl Gegangenen die beiden Volksinitiativen zur Suizidbeihilfe auf besonders hohes Interesse. Bei den insgesamt 14 Vorlagen, über die die Bürger des Kantons Zürich am 15. Mai abstimmen konnten, war mit 34,5 Prozent die Wahlbeteiligung einzig und allein bei der »Volksinitiative »Ja zur Mundart im Kindergarten« höher. Bei diversen Vorlagen zum Steuergesetz lag die Wahlbeteiligung sogar unter 32 Prozent.

»Wir haben mit einer Ablehnung gerechnet«, doch liege »die Zahl der NeinStimmen deutlich über unseren Erwartungen«, zitierte denn auch die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) EDU-Präsidenten Peter Meier. EVP-Präsident Johannes Zollinger sprach gegenüber derselben Zeitung gar von einem »fatalen Signal«. Wenn der Griff zum Giftbecher normal werde, steige der Druck auf pflegebedürftige Menschen.

Die Sterbehilfeorganisation Exit hat damit längst begonnen. Auf ihrer Jahresversammlung Anfang Mai ergänzte die Organisation, die eigenen Angaben zufolge mittlerweile 50.000 Mitglieder zählt, ihre Statuten um den Satz: »Exit setzt sich dafür ein, dass betagte Menschen einen erleichterten Zugang zu Sterbemitteln haben sollen.« In der Vergangenheit war die Suizidbeihilfe von Dignitas und Exit vor allem damit gerechtfertigt worden, es gehe darum, todkranken und schwer leidenden Menschen einen »würdigen Tod« zu ermöglichen. Wer dagegen argumentierte, die sogenannten Sterbewilligen wollten in der Regel gar nicht sterben, sondern bloß anders leben, oder auch nur vor der Gefahr des Missbrauchs warnte, stand schnell im Verdacht, mitleids- oder gar herzlos zu sein. Inzwischen prägen jedoch vornehmlich Begriffe wie »Selbstbestimmung« und »Autonomie« die Stellungnahmen beider Organisationen.

Der Ausgang des Referendums im Kanton Zürich dürfte auch Bewegung in die Debatte um eine Änderung der Bundesgesetzgebung bringen. Im Herbst 2009 hatte der Bundesrat, so heißt in der Schweiz die Regierung, einen Gesetzentwurf mit zwei Varianten auf den Weg gebracht, die beide geeignet schienen, dem Geschäft mit dem fremden Tod den Boden zu entziehen. Die damalige Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf von der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP) galt als Gegnerin der Suizidbeihilfe, wie sie in der Schweiz praktiziert wird. Ihre Nachfolgerin Simonetta Sommaruga von der Sozialdemokratischen Partei der Schweiz gilt hingegen als deutlich liberaler. Da der Gesetzentwurf zudem schon unter Widmer-Schlumpf »referendumssicher« gemacht werden sollte und im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens bereits deutlich Federn lassen musste, haben die Gegner der Suizidbeihilfe kaum noch Hoffnung auf den »großen Wurf«, der eine kommerzielle Suizidbeihilfe wirksam verbieten könnte.

Beobachter rechnen vielmehr damit, dass Sommaruga demnächst einen Entwurf vorstellen wird, der ein »Maßnahmenpaket« enthält, das den Sterbehilfeorganisationen einerseits einige neue Auflagen bescheren, andererseits aber auch einige Hindernisse aus dem Weg räumen wird.


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Quelle:
LEBENSFORUM Ausgabe Nr. 98, 2. Quartal 2011, S. 20 - 21
Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)
Herausgeber: Aktion Lebensrecht für Alle e.V.
Bundesvorsitzende Dr. med. Claudia Kaminsky (V.i.S.d.P.)
Verlag: Ottmarsgäßchen 8, 86152 Augsburg
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2011