Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → GESUNDHEITSWESEN

AUSLAND/1721: Thailand - Exzessive Einnahme von Antibiotika, Experten warnen vor Resistenz (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Juni 2011

Thailand: Exzessive Einnahme von Antibiotika - Experten warnen vor Resistenz

Von Marwaan Macan-Markar


Chokechaipattana, Thailand, 27. Juni (IPS) - Wenn der buddhistische Mönch Phra Patarapong einmal im Monat sein Dorf Chokechaipattana besucht, erwartet ihn stets eine große Menschenmenge. Der thailändische Geistliche kommt nicht nur zum Beten, sondern gibt auch Gesundheitstipps. Dabei warnt er eindringlich vor der exzessiven Einnahme von Antibiotika.

"Trinkt Zitronengrastee, wenn ihr erkältet seid", rät der 35-Jährige den Einwohnern des Dorfes aus Pfahlhäusern, etwa 100 Kilometer nördlich der Hauptstadt Bangkok. "Sauberes Essen und Wasser sowie regelmäßiger Sport helfen euch am besten, gesund zu bleiben."

Antibiotika verursachten den Familien unnötige Kosten, hätten Nebenwirkungen und schlügen irgendwann nicht mehr an, erklärt der Mönch vor rund 40 Männern, Frauen und Kindern, die sich im Gemeindezentrum des Dorfs versammelt haben. "Der Körper kann sich selbst von Virusinfektionen erholen."

Der Besucher in der safrangelben Kutte bezeichnet sich selbst humorvoll als "Mönch der öffentlichen Gesundheit". Er steht nicht allein da. In der Provinz Saraburi sind bereits in früheren Jahren Versuche zur Aufklärung über Antibiotika unternommen worden. 2007 hatten Gesundheitsexperten in Saraburi das Pilotprojekt 'Kluger Umgang mit Antibiotika' initiiert. In der zweiten Phase wurde es auf die Provinzen Ayuthaya, Ubon Rachathani und Samut Songkhran ausgedehnt.


Thais schlucken Antibiotika wie Aspirin

"Wir bemühen sich, die Leute von ihren alten Gewohnheiten abzubringen und von einem vernünftigen Gebrauch von Antibiotika zu überzeugen", sagt Nithima Sumpradit, die für das Gesundheitsministerium in Bangkok tätig ist. "Thais schlucken solche Medikamente wie Aspirin."

Im Gespräch mit IPS erklärt Sumpradit, dass Patienten etwa Infektionen der oberen Atemwege, Durchfall und einfache Wunden mit Antibiotika behandelten. Davon sollen sie nun abgebracht werden. "Wenn die Menschen doch etwas nehmen wollen, geben wir ihnen in die Klinik pflanzliche Arzneien mit."

Die zunehmende Resistenz gegen Antibiotika ist längst zu einem weltweiten Problem geworden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat den maßvollen Einsatz dieser Medikamente sogar zum globalen Schwerpunktthema 2011 erklärt. Die Mikroben, die zum Ausbruch zahlreicher Krankheiten führten, würden zunehmend immun gegen Arzneien, die bisher die Hauptsäule bei der Behandlung übertragbarer Krankheiten seien, sagte der WHO-Regionaldirektor für Süd- und Ostasien, Samlee Plianbangchang.

Nach der Entdeckung des ersten Antibiotikums Penizillin im Jahr 1928 wurden die Präparate lange als "Wunderarzneien" gefeiert. In Ländern wie Thailand ist die Einnahme jedoch rasant gestiegen. Das Land importiere und produziere jährlich Antibiotika im Wert von umgerechnet 660 Millionen US-Dollar, sagte Niyada Kiatying-Aungsulee, Direktorin des Instituts für Sozialforschung an der Chulalongkorn-Universität in Bangkok.


Rezeptfreier Einkauf

In Thailand, wo rund 66 Millionen Menschen leben, machen Antibiotika 20 Prozent aller verabreichten Medikamente aus. Laut Sumpradit nähmen mehr Patienten kurzfristig Antibiotika als längerfristig Mittel gegen Herz-Kreislaufbeschwerden. Das hängt auch damit zusammen, dass Antibiotika in Thailand rasch von Ärzten verordnet werden. In vielen Apotheken können sie überdies rezeptfrei gekauft werden.

"Die Patienten sind daran gewöhnt, dass sie in der Apotheke jedes Mal Antibiotika bekommen", kritisiert Kankanid Kidtipornpechdee, die das staatliche Hospital im Distrikt Donpud leitet. Wenn das Krankenhaus ihnen diese Arzneien verweigere, könnten sie sie sogar im Supermarkt finden. Es sei oft schwierig, die Leute über die Nachteile aufzuklären. Die meisten seien der Ansicht, dass sie bei einer fiebrigen Erkältung unbedingt Antibiotika nehmen müssten.

Die WHO warnt unter anderem davor, dass der Superkeim NDM-1 mit eingebautem Resistenz-Gen gegen fast alle Antibiotika immun ist. Antibiotika müssten für die kommenden Generationen bewahrt werden, heißt es in einer Erklärung der Gesundheitsorganisation. Zwischen 2000 und 2010 sind nur drei neue Antibiotika entwickelt worden. In den 'goldenen Zeiten' des 'Wundermedikaments' von den vierziger bis zu den sechziger Jahren kamen hingegen 26 verschiedene Antibiotika auf den Markt. (Ende/IPS/ck/2011)


Links:
http://www.who.int/en/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=56215

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 27. Juni 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2011