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AUSLAND/1678: Operationsnotstand in ärmsten Ländern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. März 2011

Gesundheit:
Operationsnotstand in ärmsten Ländern

Von Rousbeh Legatis


New York, 16. März (IPS) - Weltweit retten Operationen Millionen Patienten das Leben, nicht so in den ärmsten Ländern. In den infrastrukturschwachen Staaten, in denen Ärzte fehlen, werden größere chirurgische Eingriffe äußerst selten durchgeführt.

Eine Studie der School for Public Health der Harvard-Universität hatte 2010 festgestellt, dass nur vier Prozent aller großen chirurgischen Eingriffe in den ärmsten Ländern durchgeführt werden. Dagegen fanden 75 Prozent dieser Operationen unter komfortablen Bedingungen im reichsten Drittel aller Länder statt.

"Viele Menschen sterben, weil sie nicht operiert werden können", klagte Reinou Groen von 'Surgeons OverSeas' (SOS). Die Chirurgin hat in der Demokratischen Republik Kongo, in Niger und Sierra Leone gearbeitet, in Ländern, in denen ihre in New York ansässige zivile Hilfsorganisation chirurgische Entwicklungshilfe leistet.

In einem Interview mit IPS berichtete die Ärztin über ihre Erfahrungen vor Ort und über den Versorgungsnotstand, unter dem besonders Frauen mit Geburtskomplikationen leiden. "In Sierra Leone mussten wir unter Bedingungen operieren, die noch nicht einmal den Standards der Lazarette im Amerikanischen Bürgerkrieg vor rund 150 Jahren entsprachen", sagte sie. "Dort gab es zumindest genügend Wasser, und die Ärzte konnten Amputationen durchführen und schwere Verletzungen behandeln."

In Sierra Leone dagegen gab es nur in zwei von zehn Hospitälern fließendes Wasser. "80 Prozent der Krankenhäuser sind personell und materiell nicht einmal für eine sachgemäße Behandlung von offenen Knochenbrüchen ausgestattet", klagte Groen. "Zudem mussten wir wegen der ständigen Stromausfälle immer mit einer Stirnlampe als Notbeleuchtung operieren."

Nach Angaben der Aktivistin gibt es in Sierra Leone mit seinen 5,85 Millionen Menschen nur zehn Chirurgen, und im westafrikanischen Liberia stehen für die Versorgung von 3,7 Millionen Männer, Frauen und Kinder nur drei Chirurgen zur Verfügung.


Lebensrettender Kaiserschnitt

Für werdende Mütter mit Risikogeburten sei der Mangel an chirurgischen Fachärzten besonders verhängnisvoll, betonte Groen. "Ohne einen Kaiserschnitt sterben fünf bis zehn Prozent dieser Frauen oder ihr Kind." Für diesen lebensrettenden Eingriff müsse es jedoch in erreichbarer Nähe ein Krankenhaus mit einem Operationssaal und dem dazu gehörenden Fachpersonal geben.

Wie Groen berichtete, haben im vergangenen Jahr in acht Ländern mit niedrigem und mittleren Einkommen, darunter Afghanistan, Gambia, die Mongolei, Sierra Leone, Sri Lanka und Tansania durchgeführte Studien ergeben, dass nur 44 Prozent aller Krankenhäuser und Gesundheitszentren für den als chirurgischer Routineeingriff geltenden Kaiserschnitt ausgerüstet sind.

Millenniumsentwicklungsziele (MDGs) wie die Verringerung der Mütter- und Kindersterblichkeit ließen sich ohne eine bessere chirurgische Versorgung nicht erreichen, warnte die Fachärztin. "Angesichts des herrschenden chirurgischen Notstands ist in vielen Ländern nicht an die Erfüllung dieser MDGs zu denken." (Ende/IPS/mp/2011)


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http://www.humanitariansurgery.org/
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IPS-Tagesdienst vom 16. März 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2011