Schattenblick →INFOPOOL →MEDIZIN → FAKTEN

ETHIK/703: Neue Instruktion der Glaubenskongregation zur Bioethik (Herder Korrespondenz)


Herder Korrespondenz 1/2009
Monatshefte für Gesellschaft und Religion

Regeln für die Biomedizin
Die neue Instruktion der Glaubenskongregation zur Bioethik

Von Johannes Reiter


Die am 12. Dezember 2008 veröffentlichte Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre "Dignitas personae" setzt sich mit neueren Entwicklungen auf dem Gebiet der Biologie und Medizin auseinander. Im folgenden Beitrag werden die wichtigsten Themen vorgestellt sowie nach den ethischen Bewertungskriterien und der Orientierungskompetenz der Kirche auf diesem Gebiet gefragt.


*


Rund 20 Jahre nach der Instruktion der Kongregation für die Glaubenslehre "Donum vitae. Über die Achtung vor dem beginnenden menschlichen Leben und die Würde der Fortpflanzung" (22. Februar 1987) wurde erneut eine Instruktion zu bioethischen Fragen vorgelegt: "Dignitas personae. Über einige Fragen der Bioethik". Die Instruktion trägt das Datum vom 8. September 2008, veröffentlicht wurde sie am 12. Dezember. Im Wesentlichen handelt es sich bei der neuen Instruktion um eine Fortschreibung von "Donum vitae".

Zwischen "Donum vitae" und "Dignitas personae" liegen die beiden Moralenzykliken "Veritatis splendor" (1993) und "Evangelium vitae" (1995). Die genannten Dokumente, Reden von Benedikt XVI., wie auch Studien der päpstlichen Akademie für das Leben und von Fachleuten gelten als die wichtigsten Quellen der vorliegenden Instruktion (Nr. 2). So kann man denn auch in der Lehrtradition einen klaren Traditionszusammenhang erkennen, wobei deutlich wird, dass sich die Morallehre nicht von den Variablen des wissenschaftlich-technischen Fortschritts abhängig machen kann.


In den beiden Jahrzehnten zwischen "Donum vitae" und "Dignitas personae" sind die Möglichkeiten der Biomedizin fast explosionsartig gewachsen (Nr. 1 u. 4) und drängen, von vielen auch gefordert, zur Anwendung. Dabei wurden nicht nur die Chancen im Hinblick auf Diagnose und Therapie erweitert, sondern es hat sich auch ein enormes Gefahren- und Risikopotenzial angesammelt. Wo die Forschung und Biomedizin an den Wurzeln des Lebens operieren und zunehmend in der Lage sind, dieses an seinem Anfang und Ende und jeweils darüber hinaus zu manipulieren, nehmen sie beängstigende Formen an.

Es besteht die Gefahr, dass die Biomedizin eine Eigendynamik entfaltet und aufgrund ihrer komplexen und ambivalenten Aspekte kaum mehr beherrschbar und beurteilbar und somit auch nicht mehr verantwortbar ist. Indessen scheinen auch die Grundlagen und Maßstäbe einer verantwortbaren und praktikablen Bioethik nicht immer deutlich, zuweilen beliebig interpretier- und dehnbar oder in einer interessenbestimmten Wertevielfalt ganz untergegangen zu sein. Immer stärker versucht ein materialistischer Reduktionismus den Menschen auf die Summe seiner Zellen und Gene festzulegen (vgl. Nr. 4).


Die Kompetenz des Lehramtes

Vor diesem Problemhintergrund steht das kirchliche Lehramt mit seiner neuen Instruktion, die von vielen erwartet, von anderen eher skeptisch aufgenommen und mit der Frage versehen wird: Was hat die Kirche überhaupt mit diesem Themenbereich zu tun, von woher leitet sie ihren Kompetenzanspruch ab? Nach traditioneller katholischer Auffassung gehört das Lehramt zum Wesen der Kirche. Objekt der Lehre sind neben Glaubenswahrheiten auch Fragen, die das sittliche Leben betreffen. Die Glaubensbotschaft ist keineswegs nur belehrende Wahrheit, sondern verlangt aus sich heraus eine ihr entsprechende Lebenspraxis (LG 25).

Aufgabe des Lehramtes ist es, den Gläubigen Hilfen für das rechte Glaubensverständnis und die Erkenntnis des sittlich Richtigen anzubieten und ihrer Gewissensbildung zu dienen (Nr. 10). An sich wird jedem Menschen das Gute und Böse und das, was er tun soll, in seinem Gewissen vorgestellt und ist von jedermanns Vernunft einsehbar. Allerdings behindert die sündige Situiertheit des Menschen die sichere Erkenntnis des sittlich von ihm Geforderten. Es liegt in der Kompetenz des Lehramtes, die Vernunft so zu orientieren, dass bestimmte Wege als Irrwege ausgeschlossen werden. Und daher ist von ihm zu erwarten, dass es bestimmte Handlungsweisen benennt, die auf jeden Fall, unabhängig von den Umständen, immer die Liebe und die gebotene Achtung des Menschen als des Ebenbildes Gottes verletzen und "daher in keiner Weise gerechtfertigt werden können im Blick auf wohltätige Folgen für die künftige Menschheit" (Donum vitae I, 6).


Somit muss sich das kirchliche Lehramt von seinem Selbstverständnis und der ihm obliegenden Aufgabe her auch zu bioethischen Fragen äußern. Dies gilt vor allem und entschieden dort, wo es sich dem Schutz des durch die Ebenbildlichkeit und Menschwerdung Gottes ausgezeichneten Menschen verpflichtet weiß. Dieser Schutz ist besonders dringlich, wenn es um kranke, leidende, alte und noch ungeborene Menschen geht.

Obwohl die Instruktion bei der Beurteilung der einzelnen Problembereiche eine "deutliche Sprache" spricht, besonders im Hinblick auf das, was ethisch nicht geht, will sie nicht defensiv verstanden werden, sondern eher werbend, als "Wort der Ermutigung und des Vertrauens", gerichtet an die Wissenschaft, an die Forscher und an die Menschen, besonders auch an jene, die an Leib und Seele leiden (vgl. Nr. 3).


Thema von "Donum vitae" war schwerpunktmäßig die Fortpflanzungsmedizin, näherhin die menschliche Zeugung und das, was dem Menschen von Anfang seiner Existenz an geschuldet ist. Auch "Dignitas personae" kommt nicht daran vorbei, insofern sich hier neu aufgetauchte Probleme angesammelt haben. Aber schwerpunktmäßig werden in "Dignitas personae" eher die Themen im Umfeld der Fortpflanzungsmedizin und zum Teil auch neue Themen behandelt: die Präimplantationsdiagnostik, neue Abtreibungsmittel, Gentherapie, die Verbesserung der menschlichen Konstitution (Enhancement), das Klonen, die Stammzell- und die Embryonenforschung.


Bioethische Konfliktsituationen

Die Instruktion hält alle medizinischen Eingriffe für erlaubt, die als Ziel die natürliche Fruchtbarkeit anstreben, wie zum Beispiel hormonale Behandlung, chirurgische Behandlung oder mikrochirurgische Behandlung, etwa zur Wiederherstellung der Eileiterdurchlässigkeit. Es handle sich dabei um "echte Therapien", weil sie nicht "den ehelichen Akt, der allein einer wahrhaft verantwortungsvollen Zeugung würdig ist", ersetzen. Die Instruktion empfiehlt daher auch die Forschung zur Prävention der Sterilität zu intensivieren, ebenso wie die Erleichterung der Adoption (Nr. 13).

Auch wenn die medizinischen Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin gewachsen sind und sich in immer differenzierteren Methoden darstellen, bleibt das Lehramt seiner seit dem 19. Jahrhundert ausdrücklich vertretenen Lehre treu, wonach alle Fortpflanzungsmethoden, die vom personalen Kontext des ehelichen Aktes getrennt sind, verboten sind. Dies gilt in besonderem Maß für die In-vitro-Befruchtung, die nach wie vor mit einer hohen Tötungsrate von Embryonen verbunden sei (Nr. 14). Der Verlust von Embryonen ist zwar differenziert zu sehen, aber in vielen Fällen ist er vorgesehen und gewollt, zum Beispiel bei Mehrlingsübertragungen, um die Implantation wenigstens eines Embryos sicherzustellen oder bei der genetischen Selektion von Embryonen mittels Präimplantationsdiagnostik (Nr. 15). Wohl wird die Unfruchtbarkeit als Leiden anerkannt. Dennoch kann der Kinderwunsch nicht höher als die Menschenwürde stehen und die "Produktion" eines Kindes rechtfertigen (Nr. 16).


Bei der Reproduktionsmedizin unterlägen "einige Wissenschaftler" den "subjektiven Wünschen" der bestellenden Paare und dem "ökonomischen Druck", wodurch jedoch der Embryo instrumentalisiert werde. Demgegenüber betont die Instruktion den "heiligen und unantastbaren Charakter jedes Menschenlebens" (Nr. 16). Als das häufigst angewandte, weil erfolgreichste Verfahren der künstlichen Befruchtung, vor allem zur Überwindung der männlichen Sterilität, wird die intracytoplasmatische Sameninjektion (ICSI) angeführt. Obwohl hier die Bedenken gegenüber dem heterologen Element der Samenspende entfallen, handle es sich um eine "in sich unerlaubte Technik", weil sie auf einer "vollständigen Trennung der Fortpflanzung vom ehelichen Akt" beruht.


Den Embryo nicht als bloßes Labormaterial betrachten

Ein nach wie vor ungelöstes Folgeproblem der künstlichen Befruchtung ist der Umgang mit überzähligen Embryonen. Eine Kryokonservierung (Einfrieren) von Embryonen sei "unvereinbar mit der Achtung, die den menschlichen Embryonen geschuldet ist", denn sie setze eine Produktion in-vitro voraus und sei mit Gefährdungen bis hin zum Tod des Embryos verbunden (Nr. 18). Wie aber sind nun die de facto vorhandenen abertausende Embryonen zu behandeln? Abgelehnt wird ihre Verwendung für die Forschung ebenso wie für die Therapie, weil sie zur Instrumentalisierung und Vernichtung von Embryonen führt. Abgelehnt wird auch die Übertragung auf andere Paare, weil damit die Problematik der Heterologie und Leihmutterschaft einhergeht.

Eine so genannte "pränatale Adoption" sei von ihrer Zielsetzung "Menschen eine Gelegenheit zur Geburt zu bieten, die ansonsten zur Vernichtung verurteilt sind" zwar lobenswert, aber wegen der zuvor genannten (heterologen) Probleme abzulehnen. Weil die überzähligen Embryonen zu einer "faktisch irreparablen Situation der Ungerechtigkeit" geführt hat und das Lehramt keinen "moralisch erlaubten Ausweg" sieht, appelliert die Instruktion an die Wissenschaftler und Ärzte, die Produktion von Embryonen einzustellen (Nr. 19).

Die Frage, ob man vorhandene Embryonen, die endgültig nicht zur Implantation kommen, nicht doch ihrem natürlichen Schicksal, dem Tod, überlassen soll, wird vom Lehramt nicht erörtert. Jedenfalls würde bei einem solchen Vorgehen die Menschenwürde nicht angetastet. Dem Problem von überzähligen Embryonen könnte auch begegnet werden durch Einfrieren von unbefruchteten Eizellen, die dann später, bei Bedarf, befruchtet werden. Gegen eine solche Lösung spricht nach Auffassung des Lehramtes der Umstand, dass dies im Prozess der moralisch unannehmbaren künstlichen Befruchtung erfolgt (Nr. 20).


Eine Embryonenreduktion im Fall einer Mehrlingsschwangerschaft, um zum Beispiel eventuelle Risiken für die Mutter und die anderen Embryonen abzuwenden, wird als "vorsätzliche Abtreibung" verstanden und sei als solche "immer ein schweres sittliches Vergehen". Die moraltheologischen Prinzipien vom "kleinerem Übel", von der "Handlung mit einer doppelten Wirkung" und von "Handlungen in Notsituationen" die auf Abwägungsüberlegungen beruhen, seien nicht anwendbar, insofern hier eine "in sich unerlaubte Handlung" vorliegt (Nr. 21).

Eine neue Anwendungsform der genetischen Diagnostik ist die Präimplantationsdiagnostik (PID), mit der eine Untersuchung zur Feststellung von genetischen Abweichungen am in-vitro gezeugten Embryo im Frühstadium der Entwicklung vorgenommen wird. Embryonen, bei denen das gesuchte genetische Merkmal vorliegt, werden selektiert, und nur die als gesund empfundenen oder mit einem bestimmten Geschlecht oder besonderen wünschenswerten Merkmalen ausgestatteten in den Uterus der Frau transferiert. Die PID wird aus mehreren Gründen abgelehnt: Sie sei mit der unerlaubten künstlichen Befruchtung verbunden, sie stelle eine Frühabtreibung dar, die auf einer qualitativen Selektion von Embryonen beruht und schließlich sei sie Ausdruck einer eugenischen Mentalität (Nr. 22).

Die Betrachtung des Embryos als bloßes "Labormaterial" führt nach Auffassung der Instruktion zu einer "Veränderung und Diskriminierung (...) des Begriffs Menschenwürde", die "jedem Menschen in gleicher Weise" zukommt. Konkret würde dies, wenn man kranke und behinderte Menschen als "Sonderkategorie" mit einem abgestuften moralischen und rechtlichen Status ansieht, oder ihnen einen solchen Status erst gar nicht zuerkennt (Nr. 22).


Die Frage nach der Empfängnisregelung gehört in der katholischen Kirche zu den meist umstrittenen. Bei den in der Instruktion thematisierten Mitteln handelt es sich allerdings nicht um empfängnisverhütende, sondern um abortiv wirkende Mittel. Verboten werden Interzeptiva (Spirale und "Pille danach"), weil hier die Vorsätzlichkeit der Abtreibung vorhanden ist; verboten werden die Kontragestiva (RU 486, Prostaglandine), weil sie den bereits eingenisteten Embryo abtreiben. Der Einsatz dieser Mittel wird zur "Sünde der Abtreibung" gerechnet (Nr. 23).

Die relativ leichte Handhabung dieser Mittel lässt eine Tendenz zum Selbstgebrauch entstehen und führt damit zu einer völligen Privatisierung der Abtreibung. Es handelt sich um Mittel, die verwischen und verschleiern und über das tatsächliche Geschehen der Abtreibung hinwegtäuschen wollen. Insofern hat es einer Klarstellung durch das Lehramt bedurft.


Mit der Möglichkeit, genetische Defekte zu erkennen, wächst auch die Chance, sie zu reparieren. Seit kurzem gibt es Versuche, die Gentherapie bei der Behandlung nicht erblich bedingter Krankheiten, zum Beispiel Krebserkrankungen, anzuwenden. Die somatische Gentherapie, die auf nicht ordnungsgemäß arbeitende Körperzellen gerichtet ist, ist erlaubt. Sie ist zu bewerten wie andere neue Behandlungsmethoden auch, das heißt die Methode muss sicher, die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein und der Patient muss wohlinformiert zustimmen.

Im Gegensatz zur somatischen Gentherapie bewirkt die Keimbahntherapie - sie wird an den Genen der Geschlechtszellen durchgeführt - nicht nur eine Veränderung bei dem Menschen, an dem sie vorgenommen wird, sondern wird auch auf dessen eventuelle Nachkommenschaft übertragen. Weil die Keimbahntherapie eine neue Dimension der Eingriffstiefe besitzt und mit beträchtlichen Risiken und unkontrollierbaren Schäden für die Nachkommen verbunden ist, hält sie das Lehramt für nicht erlaubt. Auch setze die Keimbahntherapie gegebenenfalls eine moralisch nicht erlaubte In-vitro-Fertilisation voraus (Nr. 26).


Das Problem des menschlichen Klonens

Im Zusammenhang mit den neuen Diagnosen und Therapiemöglichkeiten im Bereich der Biomedizin ist die Debatte um die Eugenik neu aufgeflammt. Auch in der Philosophie beschäftigt man sich verstärkt mit Visionen in diesem Bereich, die in Thesen zu einem "Menschenpark" ihren Ausdruck und hohe Aufmerksamkeit gefunden haben. Gentechnische Verfahren zur Verbesserung oder Potenzierung genetischer Ausstattung (Enhancement, Gendoping) werden abgelehnt, weil sie eine eugenische Mentalität begünstigen, jene stigmatisiert, die nicht über die angestrebten Merkmale verfügen, weil sie nur bestimmte, als exzellent geschätzte Merkmale, die aber nicht das spezifisch Menschliche ausmachen, fördern, weil diese Verfahren der Gleichheit aller Menschen widersprechen und zur Herrschaft einiger (die die Maßstäbe festsetzen) über die Freiheit anderer führt.


Ausführlich setzt sich die Instruktion mit der Problematik des menschlichen Klonens auseinander. Von reproduktivem Klonen wird gesprochen, wenn die Klon-Technologie mit dem Ziel eingesetzt wird, ein Kind zu erzeugen; von therapeutischem Klonen, wenn aus dem geklonten Embryo eine embryonale Stammzelle gezüchtet werden soll. Generell wird das Klonen, sowohl das reproduktive wie auch das therapeutische, abgelehnt, weil hier ein Mensch ohne ehelichen Akt gezeugt wird, weil die Zeugung ohne irgendeine Beziehung zur Geschlechtlichkeit erfolgt und weil das Klonen Missbräuche und Manipulationen begünstigt und somit einen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellt (Nr. 28).

Das reproduktive Klonen wird zudem abgelehnt, weil es dem geklonten Menschen ein vorausbestimmtes genetisches Erbgut auferlegt ("biologische Sklaverei"), weil es einen schweren Verstoß gegen die Würde und grundlegende Gleichheit aller Menschen darstellt, insofern sich hier eine Person anmaßt, die Merkmale einer anderen Person zu bestimmen, weil es die Originalität der Person, die auf der besonderen Beziehung zwischen Gott und Mensch beruht, missachtet (Nr. 30).

Das therapeutische Klonen wird abgelehnt, weil es einen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellt, insofern der Mensch zu einem bloßen Mittel degradiert wird. Die in diesem Bereich neu entwickelten Techniken, die behaupten, ohne Embryonenverbrauch auszukommen, können solange ethisch nicht gerechtfertigt werden, bis der ontologische Status des so gezeugten Wesens zweifelsfrei geklärt ist, das heißt, es muss feststehen, dass es sich nicht um eine menschliche Person handelt (Nr. 30).


Ein ebenso aktuelles wie kontrovers diskutiertes Thema stellt die Stammzellforschung dar (Nr. 31). Für die ethische Bewertung der Stammzellforschung sind für die Instruktion die Methoden ihrer Gewinnung oder Entnahme und die Risiken bei einer klinischen und experimentellen Verwendung maßgebend (Nr. 32). Als erlaubt werden solche Methoden angesehen, die dem Menschen, dem die Stammzellen entnommen werden, keinen schweren Schaden zufügen. Unerlaubt sind jene Methoden, die zur Vernichtung des menschlichen Embryos führen (Nr. 32).

Damit spricht sich das Lehramt gegen jede embryonale Stammzellforschung aus; zugleich verweist es auf die erfolgversprechenden Möglichkeiten der adulten Stammzellen (Nr. 32). Die Verwendung von embryonalen Stammzellen, die von anderen Forschern geliefert werden oder aus dem Handel stammen, bedeute eine "Mitwirkung am Bösen" und "ruft Ärgernis hervor" (Nr. 32). Somit sei der Import von embryonalen Stammzellen nicht zu rechtfertigen.

Im Rahmen des Klonens werden neuestens tierische Eizellen (zum Beispiel der Kuh) zur Reprogrammierung der Kerne von menschlichen Körperzellen verwendet. Mit diesem Verfahren, das auch als hybrides Klonen bezeichnet wird, möchte man embryonale Stammzellen gewinnen, ohne menschliche Eizellen verwenden zu müssen. Die Instruktion sieht in diesem Verfahren eine Beleidigung der Menschenwürde, weil hier genetische Elemente von Mensch und Tier vermischt werden und so die Identität des Menschen beeinträchtigt wird (Nr. 33).


Die Verwendung von Embryonen und Föten als Forschungsobjekt, bei dem die Embryonen getötet werden, stellt ein Verbrechen gegen deren Würde dar (Nr. 34). Die Verwendung von biologischem Material unerlaubten Ursprungs (zum Beispiel aus Abtreibungen) ist auch bei Beachtung des Unabhängigkeitskriteriums (= Trennung von Gewinnung und Verwendung, dass also, um eine Interessenkollision auszuschließen, Forscher, die das Material gewinnen, nicht identisch sind mit jenen, die es verwenden) nicht erlaubt. Aus gewichtigen Gründen könne jedoch die Verwendung von biologischem Material unerlaubten Ursprungs (Nr. 35) sittlich angemessen und gerechtfertigt sein, zum Beispiel bei der Verwendung von Impfstoffen, die auf diesem Weg erzeugt worden sind.

Abschließend wendet sich die Instruktion gegen den Vorwurf, die Morallehre der Kirche enthalte zu viele Verbote und weist darauf hin, dass die Verbote in positiver Sicht das sittlich Gute schützen sollen. Verbotsnormen seien keine Einschränkungen, sondern Schutznormen für das Leben des Menschen, sie seien die andere Seite der Humanität. Wie die Kirche im Zusammenhang mit der industriellen Revolution Partei für die arbeitenden Personen ergriffen hat, tue sie es heute für jene Personen, deren Grundrecht auf Leben bedroht ist (Nr. 36).


Personwürde als das ethische Grundprinzip

Weil die Biomedizin ein autonomer und höchst komplexer Sachbereich mit eigenen wissenschaftstheoretischen Grundlagen und Erkenntniswegen ist, muss die Kirche darauf bedacht sein, lediglich das zu beurteilen, was in ihren originären Auftrag fällt. Die Kirche kann sich nicht an medizinischen Fachdiskussionen beteiligen und darf sich auch nicht zur Dienstmagd medizinischen Forscherdrangs oder gar für politische Zwecke missbrauchen lassen. Dies sieht auch die Instruktion so, wenn sie betont, sie wolle "nicht in den Bereich (...), welcher der medizinischen Wissenschaft als solcher eigen" ist, eingreifen, wohl aber die "Betroffenen an die ethische und soziale Verantwortung ihres Handelns erinnern". Dabei sind für sie vor allem zwei Kriterien maßgebend: Erstens die "unbedingte Achtung, die jedem Menschen in allen Momenten seines Daseins geschuldet ist", also die Personwürde, und zweitens der "Schutz der spezifischen Eigenart der personalen Akte, die das Leben weitergeben" (Nr. 10).


Grundprinzip der bioethischen Reflexion ist die "Personwürde", die jedem Menschen "von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod" zukommt (Nr. 1). Ob hier bewusst der Begriff "Personwürde" anstelle von "Menschenwürde" gewählt wurde, kann offenbleiben. Im Hinblick auf die Anwendbarkeit haben die Begriffe Person und Mensch die gleiche Extension und interpretieren sich wechselseitig. Personsein ist gleichbedeutend mit Menschsein.

Dies entspricht nicht nur phänomenologisch-hermeneutischen Einsichten, sondern auch der biblischen Tradition und damit der christlichen Anthropologie. Die Instruktion verwendet beide Begriffe und gebraucht sie parallel. Sie lässt, im Gegensatz zu modernen Bioethikern, keinen Zweifel daran, dass jeder Mensch eine Person ist. Allerdings enthält der Begriff "Person" gegenüber dem Begriff "Mensch" einen Bedeutungsüberschuss. Er drückt unter anderem auch aus, dass der Mensch nicht bloß als Gattungswesen gemeint ist, sondern jeder einzelne in seiner unverwechselbaren Eigenheit.


Auch wenn die neue Instruktion - wie schon "Donum vitae" - um sich nicht "auf Aussagen philosophischer Natur festzulegen", das Personsein des Embryos nicht explizit definiert (Nr. 5), steht für das Lehramt dennoch fest, dass der Mensch "von seiner Empfängnis an als Person geachtet und behandelt werden" muss und ihm infolgedessen von diesem Augenblick an die Rechte der Person zuzuerkennen sind, "darunter vor allem das unverletzliche Recht jedes unschuldigen Menschen auf Leben" (Nr. 4). Diese Feststellung "sollte zum Fundament jeder rechtlichen Ordnung gehören". Mit dem Schutz des Lebens steht und fällt eine zentrale Sinngebung und Bedeutung der Ethik selbst und im Weiteren der Rechtsordnung. Die Instruktion geht davon aus, dass das Lebensrecht als genuines Menschenrecht Inhalt des natürlichen Sittengesetzes ist, und somit von der Vernunft erkannt und universal ist (Nr. 5).


Die Aussagen des Lehramtes zu Fortpflanzungsmedizin lassen sich nur verstehen vor dem Hintergrund seines Verständnisses von Liebe, Sexualität und Ehe, wie es unter anderem in "Donum vitae" breit entfaltet wurde. Im Zentrum der Argumentation steht dabei die Betonung der unlösbaren Verknüpfung von vereinigendem und zeugendem Sinngehalt sexueller Begegnung. Jeder eheliche Akt muss demnach beiden Sinngehalten Raum geben, muss also der Liebe der Ehepartner zueinander entspringen und gleichzeitig grundsätzlich offen sein für die Fortpflanzung. Sexualität und Zeugung werden dabei nie als rein biologische Vorgänge gesehen, sondern sie betreffen immer den "innersten Kern der menschlichen Person als solcher" und sind somit stets zutiefst personale Akte, deren angemessene Beurteilung immer das christliche Menschenbild im Blick haben muss.

Von daher wird verständlich, warum allein die Ehe der Ort sein kann, in dem sich zwei Personen einander überantworten - bis zur körperlichen Ganzhingabe im Sexualakt. Nur im geschützten und sakramental verbürgten Raum der Ehe können die personalen Werte ganzheitlicher Sexualität in ihrer vollen Wahrheit gelebt und bewahrt werden. Von der personalen Würde her leitet sich auch die Forderung ab, dass die Zeugung eines Menschen nicht auf einen medizinisch-technischen Vorgang reduziert werden darf.


Damit gilt jede künstliche Befruchtung sowohl homologer als auch heterologer Art als verboten. Es ist allerdings, wie schon in "Donum vitae" (3) festgestellt wird, nicht die "Künstlichkeit", die zu einem Verbot führt, sondern die personale Naturordnung, deren immanente Zielsetzungen für den Menschen verbindliche Vorgaben darstellen, die technisch zu manipulieren ihm verboten sind.


Naturrecht und Glaube

Darüberhinaus ist in diesem Zusammenhang ein weiterer Aspekt zu beachten, der vom kirchlichen Lehramt immer schon gesehen, aber noch nie so deutlich formuliert worden ist. Es handelt sich um eine Aussage von Benedikt XVI., die die Instruktion aufgreift: "Die Weitergabe des Lebens ist in die Natur eingeschrieben, und ihre Gesetze bleiben eine ungeschriebene Norm, auf die alle Bezug nehmen müssen" (Nr. 6). Das bedeutet, dass den natürlichen Lebensprozessen ein unbedingter Wert und eine dem Menschen vorgegebene Gesetzmäßigkeit zugesprochen werden.

Es handelt sich hierbei keineswegs um einen naturalistischen Fehlschluss, wohl aber um die Feststellung, dass die menschliche Natur, die zugleich leiblich und geistig ist, gewisse Vorgaben enthält, die nicht ungestraft übergangen werden dürfen, will eine Handlung Anspruch auf Sittlichkeit erheben. Würde nicht ein solch normativer Naturbegriff angenommen, so gäbe es überhaupt keine anderen Argumente als pragmatische und willkürliche, irgendetwas im Bereich der Fortpflanzungsmedizin zu unterlassen.


Im Rückgriff auf das Naturrecht eröffnet die Instruktion einen Weg, die Spannung zwischen theologischer Moral und natürlicher Ethik zu überwinden und damit glaubensethische Forderungen auch im säkularen Kontext authentisch begründen zu können. Es handelt sich dabei nicht etwa um ein retardierendes, sondern nicht zuletzt unter der Rücksicht der Globalisierung und des Dialogs der Religionen, um ein zukunftsgerichtetes Prinzip. Denn nach theologischem Verständnis deckt sich das Naturrecht nicht nur mit den Inhalten der Offenbarung und befindet sich in Übereinstimmung mit den Glaubenswahrheiten, sondern darüber hinaus macht es diese Inhalte mittels der Vernunft zugänglich. Das Naturgesetz ist, wie Thomas von Aquin es bereits gesehen hat, einerseits Gesetz der Natur, andererseits Gesetz der Vernunft.


Mit der neuen Instruktion legt das Lehramt eine konsequent am Wert des menschlichen Lebens orientierte und vom christlichen Glauben und natürlichem Sittengesetz her inspirierte Bioethik vor, die sich auf neuere ethisch relevante Fragen konzentriert. Es handelt sich hierbei um ein zutiefst humanes, der menschlichen Person gerecht werdendes Ethos. Die Instruktion tritt nicht im Namen einer besonderen naturwissenschaftlichen Kompetenz und somit auch nicht mit einer biologischen Argumentation auf, sondern sie legt eine Morallehre vor, die auf nur einem "Grundprinzip" basiert: die "Würde der Person", "das ein großes 'Ja' zum Leben ausdrückt".

Diese beiden Gedanken, die Personwürde und das daraus resultierende Recht auf Leben, fundieren denn auch die Argumentation der Instruktion, diese ist eigentlich nichts anderes als deren Ausdifferenzierung und Konkretisierung. Die Instruktion übersieht dabei nicht, dass sich die medizinische Forschung heute in einem überaus komplexen, globalen Gefüge vollzieht und sowohl länder- wie kulturgeschichtlich geprägt ist. Mit Hilfe der moralischen Bewertungskriterien "Vernunft" und "Glaube" und einer "ganzheitlichen Sichtweise des Menschen (...), die all das aufzunehmen vermag, was in den Werken der Menschen und in den verschiedenen kulturellen und religiösen Traditionen (...) an Gutem sichtbar wird" (Nr. 3), versucht sie diesem Aspekt gerecht zu werden. Die Instruktion hat damit einen Ansatz gewählt, der sowohl theologisch begründet ist als auch im außerkirchlichen Raum Akzeptanz finden kann, insofern er vernünftig ist.


Es ist auffallend, dass die Instruktion nicht eigentlich partikulare katholische Interessen vertritt, sondern sie spricht die Bedingungen des humanen Lebens und Zusammenlebens an und macht sich insbesondere zur Anwältin jener, deren Würde und Rechte bedroht sind. Sie fordert zum Nachdenken und zur Auseinandersetzung heraus und warnt vor kurzschlüssigen und pragmatischen Lösungen, mögen sich auch deren nachteilige bis verhängnisvolle Folgen erst in der Zukunft zeigen.

Die Instruktion wird die Diskussion um die neuen biomedizinischen Techniken nicht beenden. Sie hat aber das naturrechtliche und theologische Fundament und die Folgerungen aus ihm dargelegt und damit einen nicht zu übersehenden Markstein für die weiteren Diskussionen gesetzt. Sie kann wohl zu Recht darauf vertrauen, dass ihre Argumente nicht nur christlich, sondern auch im philosophischen Sinne vernunftgemäß sind, denn der christliche Glaube schließt den Glauben an die Kongruenz von Vernunft und Glauben ein.


*


Johannes Reiter (geb. 1944) ist seit 1984 Professor für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Mainz. Er ist Mitglied der Zentralen Ethik-Kommission bei der Bundesärztekammer. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Bioethik; langjähriger Mitarbeiter der HK für diesen Bereich.


*


Quelle:
Herder Korrespondenz - Monatshefte für Gesellschaft und Religion,
63. Jahrgang, Heft 1, Januar 2009, S. 19-25
Anschrift der Redaktion:
Hermann-Herder-Straße 4, 79104 Freiburg i.Br.
Telefon: 0761/27 17-388
Telefax: 0761/27 17-488
E-Mail: herderkorrespondenz@herder.de
www.herder-korrespondenz.de

Die "Herder Korrespondenz" erscheint monatlich.
Heftpreis im Abonnement 10,40 Euro.
Das Einzelheft kostet 12,00 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. April 2009