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GENTECHNIK/240: Mini-Brüste in der Petrischale - Neues Werkzeug für die Krebsforschung (idw)


Helmholtz Zentrum München / Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt - 10.06.2015

Mini-Brüste in der Petrischale - Neues Werkzeug für die Krebsforschung


Neuherberg, 10. Juni 2015. Jährlich erkranken etwa 70.000 Frauen in Deutschland an Brustkrebs. Trotz erheblicher Fortschritte in der Therapie, sind manche, besonders aggressive Formen bisher nicht richtig verstanden. Forschern am Helmholtz Zentrum München ist es nun gemeinsam mit Kollegen der LMU erstmals gelungen aus einzelnen menschlichen Brustdrüsen-Zellen ein komplexes dreidimensionales Modell zu erzeugen, das die Entwicklung der menschlichen Brustdrüse nachbildet. Die im Fachjournal Development erschienenen Ergebnisse bilden laut den Wissenschaftlern die Grundlage, um die Forschung in diesem Bereich weiter voranzutreiben.

Das Team um Dr. Christina Scheel, Leiterin der Nachwuchsgruppe Mammary Stem Cells, ist nun in der Lage die dreidimensionale Struktur der Brustdrüse nachzubauen. Hierfür nutzen die Forscher ein transparentes Gel, in dem die Zellen wachsen und sich ausbreiten, ähnlich der sich entwickelnden Brustdrüse während der Pubertät. Dabei teilen sich die Zellen und bilden komplexe, sich verzweigende Milchgänge, die in bläschenartigen Strukturen enden. Für diesen Prozess werden Zellen mit regenerativer Kapazität benötigt, die Stammzellen, deren genaue Identität in der Brust allerdings weiterhin verborgen bleibt. Während der reproduktiven Lebensphase der Frau sorgen sie dafür, dass sich die Brustdrüse ständig erneuert, damit auch nach mehreren Schwangerschaften die Milchproduktion sichergestellt ist. Allerdings können sich auch Brustkrebszellen stammzellartige Eigenschaften aneignen, was nach Angaben der Wissenschaftler wesentlich zu ihrer Aggressivität beiträgt.

"Technologischer Durchbruch"

Um aufzuklären, wie aggressive Arten von Brustkrebs entstehen, untersuchten die Forscher zunächst die Funktion normaler Brust-Stammzellen. Sie beobachteten, dass das Verhalten der Zellen mit regenerativer Kapazität auch von den physikalischen Eigenschaften ihrer Umgebung mitbestimmt wird. "Wir konnten beispielsweise zeigen, dass ein weniger elastisches Gel dazu führt, dass sich die Zellen im Gel stärker ausbreiten, also invasiver wachsen", erklärt Erstautorin Jelena Linnemann. "Ein ähnliches Verhalten wurde auch schon Brustkrebszellen zugeschrieben. Unsere Ergebnisse legen nahe, dass es sich hierbei um einen normalen Prozess während der Organ-Entwicklung handelt, der bei Brustkrebs unkontrolliert aktiviert wird." Co-Autorin Lisa Meixner ergänzt: "Durch unser neues Kultur-Modell können wir besser untersuchen, wie man solche Prozesse in Tumoren therapeutisch hemmen kann."

Bei den eingesetzten Zellen handelt es sich in diesem Fall um gesundes Gewebe von Frauen, die sich einer ästhetischen Brustverkleinerung unterziehen. Co-Autorin Haruko Miura erklärt: "Dieses Gewebe wird nach der Operation normalerweise verworfen. Für uns ist es eine experimentelle Schatzkiste, die uns ermöglicht, individuelle Unterschiede im Verhalten der Zellen zu verstehen." Experimentelle Modelle, die auf der Gewinnung von Zellen direkt aus menschlichem Gewebe beruhen, bilden einen wichtigen Eckpfeiler der Grundlagen- und angewandten Forschung: "Mit diesem technologischen Durchbruch haben wir den Grundstein für viele neue Forschungsansätze gelegt, die sowohl dem Verständnis aggressiver Eigenschaften von Brustkrebs dienen, als auch helfen, die Rolle von Stammzellen in normalen regenerativen Prozessen aufzuschlüsseln.", so Studienleiterin Scheel.


Weitere Informationen:

Hintergrund:
Eine von acht Frauen in Deutschland wird während ihres Lebens an Brustkrebs erkranken. In den letzten 30 Jahren hat sich die Rate an Neuerkrankungen verdoppelt, die Gründe für diesen Anstieg sind unklar. Trotz der stark erhöhten Brustkrebsrate sinkt die Sterblichkeit aufgrund verbesserter Vorsorgemaßnahmen und Therapiemöglichkeiten beständig. Dennoch gibt es aggressive Subtypen von Brustkrebs, die nach wie vor unheilbar sind. Das aggressive Verhalten dieser Brustkrebszellen ist vermutlich in der Entwicklung und Funktion der Brustdrüse begründet. Die Brustdrüse an sich besteht aus einer weintraubenartigen Struktur, die sich aus komplex verzweigten milchführenden Gängen mit milchbildenden Bläschen an einem Ende, und der Brustwarze am anderen, zusammensetzt. Diese Gänge sind eingebettet in ein Lager aus Fettzellen und Bindegewebe, welches der Brust die Form gibt. Die Brustdrüse ist das namengebende Kennzeichen der Säugetiere und bedingt einen enormen evolutionären Vorteil für die Aufzucht der Nachkommenschaft. Daher ist aus entwicklungsbiologischer Sicht essentiell, dass der sehr Energie-intensive Vorgang der Milchproduktion nach jeder Schwangerschaft erneut einsetzt. Hierfür wächst und erneuert sich die Brustdrüse während der reproduktiven Lebensphase der Frau ständig. Es wird angenommen, dass die Brustdrüse hierfür Stammzellen enthält, welche die gesamte Brustdrüse regenerieren können. Es ist allerdings noch nicht geklärt, welche Rolle genau diese Stammzellen während der Hauptentwicklungsphase der Brust spielen, die sich während der Pubertät abspielt. Unstrittig ist jedoch, dass aggressive Brustkrebszellen in unkontrollierter Weise entwicklungsbiologische Prozesse reaktivieren, was auf viele Aspekte der Tumorprogression einen wichtigen Einfluss hat. In diesem Sinne ist ein Tumor wie ein unkontrolliert regenerierendes Organ. Für das Entwickeln neuer Therapien ist es daher sehr wichtig, diese regenerativen Prozesse aufzuklären, um dann Strategien zu entwickeln, sie zu hemmen.


Original-Publikation:
Linnemann, JR. et al. (2015). Quantification of regenerative potential in primary human mammary epithelial cells, Development, DOI:10.1242/dev.123554


Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören.


Das Institut für Stammzellforschung (ISF) untersucht die grundlegenden molekularen und zellulären Mechanismen der Stammzellerhaltung und -differenzierung. Daraus entwickelt das ISF Ansätze, um defekte Zelltypen zu ersetzen, entweder durch Aktivierung ruhender Stammzellen oder Neuprogrammierung anderer vorhandener Zelltypen zur Reparatur. Ziel dieser Ansätze ist die Neubildung von verletztem, krankhaft verändertem oder zugrunde gegangenem Gewebe.


Ziel der Forschung des Instituts für Experimentelle Genetik (IEG) ist, Ursachen und Entstehung menschlicher Erkrankungen zu verstehen. Durch seine leitende Funktion in interdisziplinären und internationalen Konsortien hat das IEG eine weltweit führende Position in der systemischen Untersuchung von Mausmodellen für Krankheiten des Menschen und der Aufklärung von beteiligten Genen. Schwerpunkt bilden dabei Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes. Das IEG ist Gründer der Deutschen Mausklinik (GMC) und leitet das Europäische Maus Mutanten Archiv (EMMA). Zudem koordiniert das IEG die europäische Forschungsinfrastruktur Infrafrontier (ESFRI). Das IEG ist Teil des Helmholtz Diabetes Center (HDC).


Die LMU ist eine der führenden Universitäten in Europa mit einer über 500-jährigen Tradition. Sie bietet ein breites Spektrum aller Wissensgebiete - die ideale Basis für hervorragende Forschung und ein anspruchsvolles Lehrangebot. Es reicht von den Geistes- und Kultur- über Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften bis hin zur Medizin und den Naturwissenschaften. 15 Prozent der 50.000 Studierenden kommen aus dem Ausland - aus insgesamt 130 Nationen. Das Know-how und die Kreativität der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bilden die Grundlage für die herausragende Forschungsbilanz der Universität. Der Erfolg der LMU in der Exzellenzinitiative, einem deutschlandweiten Wettbewerb zur Stärkung der universitären Spitzenforschung, dokumentiert eindrucksvoll die Forschungsstärke der Münchener Universität.


Fachlicher Ansprechpartner
Dr. Christina Scheel
Helmholtz Zentrum München -
Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH)
Institut für Stammzellforschung
Nachwuchsgruppe Mammary Stem Cells.
Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg
E-Mail: christina.scheel@helmholtz-muenchen.de


Weitere Informationen finden Sie unter

https://www.helmholtz-muenchen.de/aktuelles/pressemitteilungen/2015/index.html
Pressemitteilungen des Helmholtz Zentrums München

http://www.helmholtz-muenchen.de/isf
Webseite des Instituts für Stammzellforschung

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution44

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, Helmholtz Zentrum München, 10.06.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juni 2015

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