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FORSCHUNG/3373: Organkulturen als Ersatz. Viele Tierversuche in der Augenheilkunde verzichtbar (idw)


Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft - 27.08.2015

Organkulturen als Ersatz; Viele Tierversuche in der Augenheilkunde verzichtbar


Berlin - Experten halten viele Tierversuche in der Augenheilkunde für überflüssig. Stattdessen könnten viele neue Medikamente an Netzhäuten geschlachteter Rinder und Schweine erprobt werden. Inwieweit Experimente an Mäusen, Ratten und Kaninchen verzichtbar sind und welche Alternativen infrage kommen, diskutieren Experten auf dem 113. Kongress der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG). Die Tagung findet vom 1. bis 4. Oktober 2015 in Berlin statt.

In der Medizinforschung greifen Wissenschaftler zunächst auf Zellkulturen zurück, um ein neues Medikament zu erproben. Ist die Testung erfolgreich, folgen Versuche an Tieren. Zu diesem Zweck werden in der Augenheilkunde weltweit jährlich 250.000 Labortiere benötigt. "In vielen Fällen könnten unserer Auffassung nach alternative Methoden zum Einsatz kommen", sagt Professor Dr. med. Karl Ulrich Bartz-Schmidt, Kongress-Präsident und Ärztlicher Direktor der Universitäts-Augenklinik Tübingen. An seiner Klinik läuft derzeit ein Forschungprojekt, das solche Alternativen weiterentwickelt.

Besonders vielversprechend ist ein Modell, das mit den Netzhäuten geschlachteter Rinder und Schweine arbeitet. "Normalerweise würden die Augen von Schlachttieren entsorgt", erklärt Privatdozent Dr. med. Kai Januschowski, der an dem Projekt federführend forscht. "Innerhalb von zwanzig Minuten nach dem Schlachten können wir die Netzhäute unter abgedunkelten Bedingungen so entnehmen, dass sie funktionstüchtig bleiben." Anschließend lagert das empfindliche Gewebe in einer speziellen Dunkelkammer in einer Nährlösung. Derart erhalten, können die Forscher die Retina nun mit Lichtblitzen reizen, um Wirkung und Verträglichkeit neuer Substanzen zu testen. "Dabei nutzen wir die elektronischen Antworten auf den Lichtimpuls, sie zeigen uns die Reizverarbeitung und damit die Reaktion", so Januschowski.

Die Tübinger Wissenschaftler sind von den Vorteilen dieses Tierersatzmodells überzeugt. "Ein Rinder- oder Schweineauge ist dem menschlichen Auge in Größe und Aufbau deutlich ähnlicher als das von Kaninchen oder Maus", betont Januschowski. Hinzu kommt, dass es sich beim Auge um ein abgeschlossenes Organ handelt: Durch die Blut-Netzhautschranke haben viele Medikamente, die im und am Auge wirken, kaum Nebenwirkungen auf den restlichen Körper - somit ist häufig nicht nötig, die Wirkung der Arznei etwa noch auf Leber, Nieren oder Blutkreislauf zu überprüfen. "Insgesamt erhalten wir mit der retinalen Organkultur sogar wissenschaftlich bessere und genauere Antworten als im herkömmlichen Tierversuch", resümiert Januschowski. Das Labortier werde damit vollständig ersetzt.

Das Tübinger Modell - ursprünglich von dem Kölner Physiologen Professor Dr. Werner Sickel entwickelt - ist besonders vielversprechend, weil speziell für Erkrankungen der Retina wie altersabhängige Makuladegeneration oder diabetische Retinopathie eine Vielzahl neuer Medikamente erprobt werden. Welche weiteren Alternativen sich zum Tierversuch anbieten, diskutieren Experten vom 1. bis 4. Oktober 2015 in Berlin.

DOG: Forschung - Lehre - Krankenversorgung
Die DOG ist die medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft für Augenheilkunde in Deutschland. Sie vereint unter ihrem Dach mehr als 6000 Ärzte und Wissenschaftler, die augenheilkundlich forschen, lehren und behandeln. Wesentliches Anliegen der DOG ist es, die Forschung in der Augenheilkunde zu fördern: Sie unterstützt wissenschaftliche Projekte und Studien, veranstaltet Kongresse und gibt wissenschaftliche Fachzeitschriften heraus. Darüber hinaus setzt sich die DOG für den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Augenheilkunde ein, indem sie zum Beispiel Stipendien vor allem für junge Forscher vergibt. Gegründet im Jahr 1857 in Heidelberg, ist die DOG die älteste medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft der Welt.


Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.dog.org

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter:
http://idw-online.de/de/institution1286

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft, Anna Julia Voormann, 27.08.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2015

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