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FORSCHUNG/2592: Kurzzeitgedächtnis beruht auf synchronisierten Gehirnschwingungen (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 31. Januar 2012

Kognitionsforschung | Neurobiologie

Kurzzeitgedächtnis beruht auf synchronisierten Gehirnschwingungen

Wissenschaftler haben entschlüsselt, wie verschiedene Gehirnregionen während des Kurzzeitgedächtnisses miteinander kooperieren


Sich kurzfristig an etwas zu erinnern, ist eine scheinbar einfache und alltägliche Aufgabe. Doch trotz der scheinbaren Einfachheit ist das Kurzzeitgedächtnis ein komplexer kognitiver Vorgang, der die Beteiligung von mehreren Hirnregionen benötigt. Ob und wie die verschiedenen Regionen während der Informationsspeicherung zusammen arbeiten, blieb bisher jedoch unklar. Forscher vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen haben nun herausgefunden, dass elektrische Schwingungen zwischen verschiedenen Gehirnregionen entscheidend sind, um sich über einen kurzen Zeitraum hinweg an etwas Gesehenes zu erinnern.

Ein Affe muss eine klassische Gedächtnisaufgabe lösen: dem Tier werden kurz hintereinander zwei Bilder gezeigt und es muss angeben, ob das zweite Bild dem ersten entspricht oder nicht. - Abbildung: © Stefanie Liebe, MPI für biologische Kybernetik

Ein Affe muss eine klassische Gedächtnisaufgabe lösen: dem Tier werden
kurz hintereinander zwei Bilder gezeigt und es muss angeben, ob das
zweite Bild dem ersten entspricht oder nicht.
Abbildung: © Stefanie Liebe, MPI für biologische Kybernetik

Es ist bekannt, dass die Regionen im vorderen Teil des Gehirns am Kurzzeitgedächtnis beteiligt sind, während die Verarbeitung von Sehinformation in erster Linie im hinteren Teil des Gehirns erfolgt. Um sich jedoch erfolgreich über einen kurzen Zeitraum hinweg an etwas Gesehenes zu erinnern, müssen die entsprechenden Regionen miteinander kooperieren und die Informationen zusammenführen.

Wie das funktioniert, haben Wissenschaftler der Abteilung von Nikos Logothetis am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen untersucht. Sie haben die simultane elektrische Aktivität in einer visuellen Region und im frontalen Gehirnbereich in einer Wahrnehmungsstudie an Affen untersucht: Die Wissenschaftler zeigten den Tieren in kurzen Abständen identische oder unterschiedliche Bilder und zeichneten dabei die Gehirnaktivität auf. Die Affen mussten dann angeben, ob das zweite Bild dem ersten entsprach.

Die Wissenschaftler beobachteten, dass die Hirnaktivität in jeder der beiden Gehirnregionen durch oszillatorische Schwingungen in einem als das Theta-Band bezeichneten Frequenzbereich gekennzeichnet war. Interessant ist, dass diese Schwingungen nicht unabhängig voneinander auftreten, sondern synchron: "Es ist, als ob sich in den beiden Bereichen je eine Drehtür befindet", erklärt Stefanie Liebe, die Erstautorin der Studie, die sie zusammen mit Gregor Rainer und in Kooperation mit Gregor Hörzer von der Technischen Universität Graz durchgeführt hat. "Während das Gedächtnis arbeitet, drehen sich beide Türen im Takt, und erlauben dadurch einen effektiveren Informationsaustausch." Je stärker die Regionen synchron aktiv waren, desto besser konnten sich die Tiere an das erste Bild erinnern. So waren die Wissenschaftler in der Lage, eine direkte Beziehung zwischen ihren Beobachtungen im Gehirn und der Leistung der Tiere zu erkennen.

In jedem der beiden Gehirnregionen (IPF und V4) zeigt die Hirnaktivität starke Schwingungen in einem bestimmten Frequenzbereich, auch als das Theta-Band bekannt. - Abbildung: © Stefanie Liebe, MPI für biologische Kybernetik

In jedem der beiden Gehirnregionen (IPF und V4) zeigt die Hirnaktivität starke Schwingungen in einem bestimmten Frequenzbereich, auch als das Theta-Band bekannt.
Abbildung: © Stefanie Liebe, MPI für biologische Kybernetik

Die Studie zeigt, wie wichtig synchronisierte Gehirnschwingungen für die Kommunikation und die Interaktion der verschiedenen Gehirnregionen sind. Fast alle höheren geistigen Fähigkeiten wie das visuelle Erkennen ergeben sich aus einem komplexen Zusammenspiel von spezialisierten neuronalen Netzen an verschiedenen Stellen im Gehirn. Wie sich Beziehungen zwischen solchen unterschiedlichen Standorten bilden und wie diese dazu beitragen, Informationen über externe und interne Ereignisse untereinander zu kommunizieren, um zu einer kohärenten Wahrnehmung beizutragen, ist noch weitgehend unbekannt.
SB/HR


Originalpublikation
Stefanie Liebe, Gregor M Hoerzer, Nikos K Logothetis & Gregor Rainer (2012)
Theta coupling between V4 and prefrontal cortex predicts visual short-term memory performance
Nature Neuroscience, 29 January 2012, doi: 10.1038/nn.3038

Ansprechpartner

Dr. Stefanie Liebe
Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, Tübingen
E-Mail: stefanie.liebe@tuebingen.mpg.de

Dr. Gregor Rainer
University of Fribourg, Switzerland
E-Mail: gregor.rainer@unifr.ch

Stephanie Bertenbreiter
Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, Tübingen
E-Mail: presse-kyb@tuebingen.mpg.de


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Quelle:
MPG - Presseinformation vom 31. Januar 2012
Herausgeber:
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Hofgartenstraße 8, 80539 München
Tel.: 089/21 08-0, Fax: 089/21 08-12 76
E-Mail: presse@gv.mpg.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2012