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ETHIK/1261: Ethikrat fordert internationalen Diskurs über Keimbahneingriffe beim Menschen (Infobrief - Deutscher Ethikrat)


Infobrief des Deutschen Ethikrates Nr. 22 - Januar 2018 - 01/18

Ad-hoc-Empfehlung und neue Arbeitsgruppe
Ethikrat fordert internationalen Diskurs über Keimbahneingriffe beim Menschen


Rund 500 Teilnehmer besuchten in Berlin die Jahrestagung des Deutschen Ethikrates zum Thema "Autonome Systeme. Wie intelligente Maschinen uns verändern".


Das menschliche Erbgut gezielt zu verändern, ist dank neuer molekularbiologischer Verfahren, die eine besonders leichte, schnelle und präzise genetische Manipulation erlauben, in greifbare Nähe gerückt. In jüngster Zeit ist die Forschung auf diesem besonders sensiblen Gebiet in manchen Staaten enorm schnell vorangetrieben worden.

Das langfristige Ziel des Einsatzes von Genome-Editierung in der menschlichen Keimbahn besteht darin, Embryonen zu therapeutischen Zwecken in einem frühen Stadium genetisch zu verändern und somit bestimmte genetische Erkrankungsursachen in allen Zellen des Körpers zu beseitigen. Diese Veränderungen werden daher auch an potenzielle Nachkommen weitergegeben. Weil durch eine solche gezielte Veränderung des "Genpools" Interessen der gesamten Menschheit berührt werden, bedarf es nach Ansicht des Deutschen Ethikrates einer weitgespannten Diskussion und einer internationalen Regulierung. Wissenschaftliche Forschung, deren Ergebnisse derart grundlegende Auswirkungen u.a. auf das menschliche Selbstverständnis haben könnten, muss gesellschaftlich eingebettet sein. Sie ist keine interne Angelegenheit der wissenschaftlichen Gemeinschaft und auch keine Frage der Regulierung in einzelnen Ländern.

Der Deutsche Ethikrat nennt in seiner Ad-hoc-Empfehlung einige der zahlreichen noch offenen Fragen und möglichen Konsequenzen gezielter Genommanipulationen beim Menschen und fordert politische Institutionen dazu auf, parallel zu den Diskursbemühungen seitens der Wissenschaftsgemeinschaft Wege zu finden und Verfahren einzuleiten, um das Thema intensiv, differenziert und vor allem weltweit unter Beteiligung aller relevanten gesellschaftlichen Gruppen zu erörtern und gebotene regulatorische Standards möglichst schnell und umfassend zu etablieren. Hierzu sollte auf der Ebene der Vereinten Nationen beispielsweise eine vorbereitende internationale Konferenz durchgeführt werden, die global verbindliche Regularien oder völkerrechtliche Konventionen diskutieren könnte.

Bei den drängenden Fragen geht es vor allem darum, ob und unter welchen Umständen Eingriffe in die menschliche Keimbahn verboten, erlaubt oder gar geboten sein sollten. Dabei spielt es nach Auffassung des Deutschen Ethikrates nicht nur eine Rolle, welche Erkrankungen therapiert werden sollen und wie die Chancen und Risiken der neuen Techniken, hier auch im Vergleich zu etablierten Methoden wie der Präimplantationsdiagnostik, einzuordnen sind. Gefragt werden muss auch, was die Verantwortung für zukünftige Generationen gebietet und welche gesellschaftlichen und kulturellen Folgen solche Eingriffe haben könnten. Weitere Fragen befassen sich damit, ob die Bewahrung des "Natürlichen" der Genom-Editierung Grenzen setzt, inwieweit eine breitere Anwendung der Technik auch für weitreichendere "Verbesserungen" des Menschen vertretbar sein könnte und wie eine internationale Regulierung spezifische nationale historische Erfahrungen oder kulturelle Eigenheiten berücksichtigen könnte.

In seiner Ad-hoc-Empfehlung plädiert der Deutsche Ethikrat dafür, diese und weitere Fragen auf der Ebene der Vereinten Nationen angemessen zu diskutieren und um eine gemeinsame Regulierung von Keimbahneingriffen am Menschen zu ringen. Er fordert den Deutschen Bundestag und die Bundesregierung eindringlich dazu auf, sich für einen solchen Prozess einzusetzen.

Zur Fortführung seiner eigenen Aktivitäten zum Thema hat der Deutsche Ethikrat im Dezember 2017 eine neue Arbeitsgruppe eingesetzt, um mögliche Antworten auf die offenen Fragen zu Keimbahneingriffen an menschlichen Embryonen differenziert zu erörtern. Der Deutsche Ethikrat gestaltet den Diskurs über Keimbahneingriffe am Menschen bereits seit Längerem intensiv mit, beispielsweise im Rahmen seiner Jahrestagung 2016 zum Thema "Zugriff auf das menschliche Erbgut" und auf dem 7. trilateralen Treffen mit den Ethikräten Frankreichs und Großbritanniens am 21. Oktober 2016. Mitschnitte, Präsentationen und weitere Dokumentationen zu diesen und weiteren Diskussionsveranstaltungen zum Thema sowie der vollständige Text der Ad-hoc-Empfehlung sind über die Website des Deutschen Ethikrates abrufbar (siehe folgenden Infokasten). (Sc)


Info

Links

Der komplette Wortlaut der Ad-hoc-Empfehlung findet sich unter
http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/empfehlung-keimbahneingriffe-am-menschlichen-embryo.pdf

Keimbahneingriffe am Menschen waren auch Thema folgender Veranstaltungen:

• Trilaterales Treffen der Ethikräte Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens 2016:
http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/weitere-veranstaltungen/trilaterales-treffen-2016

• Jahrestagung 2016:
http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/jahrestagungen/zugriff-auf-das-menschliche-erbgut

• Herbsttagung 2015:
http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/weitere-veranstaltungen/globale-wissenschaft-globale-ethik

• Jahrestagung 2014:
http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/jahrestagungen/fortpflanzungsmedizin-in-deutschland

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Quelle:
Infobrief Nr. 22 - Januar 2018 - 01/18, Seite 7
Informationen und Nachrichten aus dem Deutschen Ethikrat
Herausgeber: Geschäftsstelle des Deutschen Ethikrates
Sitz: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
Jägerstr. 22/23, 10117 Berlin
Redaktion: Dr. Joachim Vetter (V.i.S.d.P.)
Telefon: 030/203 70-242, Telefax: 030/203 70-252
E-Mail: kontakt@ethikrat.org
Internet: www.ethikrat.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Mai 2018

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