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UMWELT/204: Tagungsbericht "20 Jahre Umwelt und Gesundheit in Europa - eine Zwischenbilanz" (umg)


umwelt · medizin · gesellschaft - 4/2009
Humanökologie - soziale Verantwortung - globales Überleben

20 Jahre Umwelt und Gesundheit in Europa - eine Zwischenbilanz
(9. Jahrestagung Netzwerk Kindergesundheit und Umwelt, 24./25.9.2009, Bonn)

Von Erik Petersen


In diesem Jahr feiert der 1989 in Frankfurt mit der 1. Konferenz der europäischen Umwelt- und Gesundheitsminister begonnene Prozess zu Umwelt und Gesundheit sein zwanzigjähriges Jubiläum. Anstoß für eine Zwischenbilanz, zu der das Netzwerk Kindergesundheit und Umwelt anlässlich seiner 9. Jahrestagung nach Bonn einlud. Rund 30 Abgesandte aus Nichtregierungsorganisationen diskutierten mit Akteuren aus Kommune, Land und Bund über Erfolge und Misserfolge, über Versäumnisse und Chancen und nicht zuletzt über die Zukunft des Prozesses.


Politische Dimensionen

Am ersten Tag als Gast im Bundesministerium für Umwelt stand die politische Dimension des bisherigen Prozesses "Umwelt und Gesundheit 1989-2009" im Vordergrund (Abb. 1).

In zwei Impulsreferaten zu Beginn wurde ein geschichtlicher Abriss und eine erste Bewertung versucht. In seiner Eröffnungspräsentation "20 Jahre Umwelt und Gesundheit in Deutschland: ein Erfolgsmodell?!" stellte Prof. Dr. Andreas Kappos, (Frankfurt) den europäischen WHO-Prozess in den globalen Zusammenhang zum Einen mit der Ottawa-Charta der WHO zur Gesundheitsförderung 1977 und dem UN-Gipfel in Rio 1992. Hieraus entwickelten sich u.a das Gesunde-Städte-Netzwerk und die Agenda-21-Bewegung. Beide Entwicklungslinien sollten durch ein Aktionsprogramm Umwelt und Gesundheit miteinander verzahnt werden, was allerdings nur ansatzweise gelungen sei. Die Einbindung von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) seit 1999 sei dagegen durchaus ein Erfolgsmodell.

Aus Sicht eben dieser NGOs war die Zeit um 1998/1999 in der Tat von Optimismus geprägt, wie Erik Petersen (Netzwerk Kindergesundheit und Umwelt, Bremen) in seinem Beitrag "20 Jahre Umwelt und Gesundheit aus Sicht der Nichtregierungsorganisationen" ausführte. Damals hatte die Umweltbewegung eine regelrechte Aufbruchstimmung erfasst, die in einem eigenen Aktionsprogramm Umwelt und Gesundheit der NGOs mündete.

Ein breites Spektrum von Verbänden war als Unterstützer aktiv. Die Ernüchterung kam dann allerdings bald. Der viel zitierte Graben zwischen der Gesundheits- und der Umweltbewegung konnte letztlich nicht überwunden werden und auch der Kontakt zur Jugend brach ab. Die großen Verbände entschieden sich für die Eigenprofilierung und waren für Bündnisse nicht mehr zu haben. Trotz aller Widrigkeiten konnte eine kritische NGO-Beteiligung fast kontinuierlich gewährleistet werden, die sich nicht zuletzt in mehreren Kinderagenden für eine enkeltaugliche Politik niederschlug.

In den Stellungnahmen der Akteure auf den unterschiedlichen Ebenen wurde deutlich, dass der Erfolg der europäischen und nationalen Programme natürlich auch davon abhängig ist, dass sie auf den unterschiedlichen Ebenen mit Leben gefüllt werden. Dies kann immerhin für Deutschland bejaht werden, wenn auch das Land NRW und die Stadt München die einzigen Beispiele sind.

Dr. Matthias Braubach (WHO - Europäisches Zentrum für Umwelt und Gesundheit, Bonn) stellte in seinem Beitrag zur europäischen Ebene heraus, dass auf der nächsten Ministerkonferenz vom 10.-12.3.10 in Parma unter dem Motto "Gesundheit der Kinder in einer sich verändernden Umwelt schützen" weiterhin der "Europäische Aktionsplan für Kinder, Umwelt und Gesundheit" ganz oben auf der Agenda stehe. Insbesondere aber die soziale Unterschiede und der Klimawandel würden als neue Schwerpunkte für die Zukunft hinzukommen.

In Deutschland sind drei Ministerien im nationalen Aktionsprogramm Umwelt und Gesundheit (APUG) engagiert. Das Landwirtschaftministerium ließ sich entschuldigen. Für das Bundesministerium für Umwelt (BMU) betonte Dr. Jutta Litvinovitch, dass in den zurückliegenden Jahrzehnten in den Umweltbereichen Luft, Wasser und Boden sowie im Klima- und Naturschutz in Deutschland zahlreiche Maßnahmen ergriffen und Gesetze erlassen wurden, die direkt oder indirekt positive Effekte für die menschliche Gesundheit mit sich gebracht hätten. Auch sie sprach die Problematik des Klimawandels gerade im Hinblick auf Kinder an, die sich z.B. nicht selbst vor den krank machenden Effekten des Klimawandels schützen könnten. So bestände bei Säuglingen und Kleinkindern im Fall einer Hitzewelle viel eher die Gefahr von körperlichen Schädigungen wie Hitzschlag oder Dehydrierung als bei erwachsenen Menschen.

Dr. Ute Winkler (Bundesministerium für Gesundheit) wies insbesondere daraufhin, dass im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS) festgestellt wurde, dass es neben Kindern und Älteren weitere besonders vulnerable Gruppen für die gesundheitlichen Belastungen durch Umwelteinflüsse gibt. Beispielsweise weisen Kinder mit Migrationshintergrund und niedrigem Sozialstatus eine höhere Belastung mit Nikotin im Blut auf. Ebenso müssen geschlechtsspezifische Unterschiede und Faktoren einbezogen werden. Auch sind diese Zielgruppen häufiger übergewichtig und bewegen sich weniger, was zu zusätzlichen Gesundheitsbelastungen führen kann. Hier erinnerte sie an den Nationalen Aktionsplan "In Form - Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung" (www.in-form.de), der als Ziel hat, die Menschen zu einem insgesamt gesundheitsförderlichen Lebensstil mit ausgewogener Ernährung und ausreichender Bewegung zu motivieren.

Die Leiterin der APUG-Geschäftsstelle Prof. Dr. Hedi Schreiber (Umweltbundesamt, Berlin) stellte in ihrem Beitrag zur APUG-Umsetzung auf Bundesebene als wichtigste Punkte heraus:

Das Aktionsprogramm vernetzt die Politikbereiche Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz auf der Ebene der beteiligten Ministerien und Bundesoberbehörden.
Im APUG werden die Zusammenhänge von Umwelt und Gesundheit erforscht.
Zentrales Anliegen des APUG ist die Information der Öffentlichkeit über Umwelt und Gesundheit.
Die Botschaft des Aktionsprogramms ist: Umwelt und Gesundheit gehören zusammen.

Auch ihrer Ansicht nach werden sich die Schwerpunkte im APUG in Richtung Klimawandel und Gesundheit sowie Umwelt, Gesundheit und soziale Lage verschieben.

Im einzig existierenden Länder-APUG sind Verkehr und Gesundes Wohnen: die Schwerpunkte, referierte Hans-Werner Breuer (Ministerium für Umwelt, Düsseldorf). Der Schwerpunkt der Umsetzung liegt auf der lokalen Ebene, wobei der Austausch mit anderen Institutionen und gesellschaftlichen Gruppierungen unabdingbar für erfolgreiche Projekte sei.

Hubert Schiefer (Referat Umwelt und Gesundheit der Landeshauptstadt München) fasste zusammen, was eine Kommune braucht, um eine "gesundheitsförderliche Umwelt" zu gestalten zu können. Er nannte u.a. die Integrierte Gesundheits- und Umweltberichterstattung, empirische kleinräumige Studien sowie kritische und konstruktive Partner vor Ort - neben eigenen personellen wie finanziellen Ressourcen.


Kinderaktionsplan

Auf der 4. Konferenz der Europäischen Umwelt- und Gesundheitsminister 2004 in Budapest war ein "Aktionsplan zur Verbesserung von Umwelt und Gesundheit der Kinder in der Europäischen Region (CEHAPE)" verabschiedet worden.

Zum Abschluss des ersten Tagungstages wurden von Prof. Thomas Hartmann und Agnes Maria Alteneder (Hochschule Magdeburg-Stendal) die Ergebnisse des Netzwerk-Projekts "Beiträge von Nichtregierungsorganisationen zur Umsetzung des Aktionsplans zur Verbesserung von Umwelt und Gesundheit der Kinder in der Europäischen Region (CEHAPE)" vorgestellt, welches noch bis 2010 vom Umweltbundesamt gefördert wird. Kernelement war eine Zusammenstellung von "Good Practice"-Beispielen im Bereich Kind-Umwelt-Gesundheit analog zu den prioritären Zielen des CEHAPE. Letztlich wurden über sechzig Projekte ausgewählt, die dann einer Jury aus VertreterInnen unterschiedlichster Institutionen zur Bewertung vorgelegt wurden. In 8 Kategorien gab es schließlich 16 Projekte, die sich als Beispiele guter Praxis bewährt haben (siehe Tab.).


Tab.: Beiträge von Nichtregierungsorganisationen zur Umsetzung des Aktionsplans zur Verbesserung von Umwelt und Gesundheit der Kinder in der Europäischen Region (CEHAPE), Beispiele guter Praxis

Kategorie I: Trinkwasser
Umweltamt Kreis Stormarn: Natürliche Lebensgrundlagen
Landesvereinigung für Gesundheit Sachsen-Anhalt: Errichtung von Trinkbrunnen

Kategorie IIa: Bewegung
Leipziger Kinderbüro: Kinder planen ihre Stadt
mhplus BKK: Früh übt sich

Kategorie IIb: Unfälle
Kind und Umwelt: Stadtteildetektive Leipziger
Kinderbüro: Kinder planen ihre Stadt

Kategorie IIIa: Außenluft
Green City: Bus mit Füßen
Moabiter Ratschlag: NUTZbar - Ein Stadtteil entwickelt seine
Ressourcen - Teilprojekt FAHRbar

Kategorie IIIb: Innenraumluft
Bremer Umwelt Beratung u.a.: Bremer Netzwerk
Schimmelberatung:
Landeshauptstadt München: Münchner APUG:
Teilprojekt Umweltmedizinische Beratung zu Schimmelbefall

Kategorie IVa: Biologische Wirkstoffe
Tollwood: Bio für Kinder
Bremer Umwelt Beratung u.a.: Bremer Netzwerk Schimmelberatung

Kategorie IVb: Chemikalien
Women in Europe for a Common Future (WECGF):
Umweltgerechtigkeit von Geburt an
Landeshauptstadt München:
Münchner APUG: Teilprojekt Beratung von Familien mit
Säuglingen und Kleinkindern zu Ernährungsfragen,
Unfallverhütung und Belastungen der Innenraumluft

Kategorie IVc: Lärm
Kind und Umwelt: Leisere Töne für Kinderohren
Unabhängiges Institut für Umweltfragen (UfU):
Lärmvideo HÖRSINNiges


Die anwesenden Projektmitarbeitern bekamen zusammen mit einem kleinem Präsent ihre wohlverdienten Urkunden überreicht (Abb. 2). Der zweite Tag der Konferenz stand dann ganz im Zeichen der Projekte, die ausführlich vorgestellt, diskutiert und gewürdigt werden konnten.(1)


Schlussbetrachtung

Zum Abschluss der Tagung verständigten sich die TeilnehmerInnen darauf, ihre politischen Forderungen in einer aktuellen "Kinderagenda für eine enkeltaugliche Politik 2010" zusammenzufassen. Des Weiteren wurde das Netzwerk autorisiert, die Projektergebnisse auf der 5. Konferenz der Umwelt- und Gesundheitsminister der WHO-Europa-Region vom 10.-12.3.2010 in Parma/Italien als Beitrag der deutschen NGOs zu präsentieren.


Hinweis

1) Eine ausführliche Tagungsdokumentation mit allen Präsentationen finden Sie auf der Webseite des Netzwerks unter
www.netzwerk-kindergesundheit.de > Veranstaltungen > 2009.


Kontakt:
Erik Petersen
Netzwerk Kindergesundheit und Umwelt e.V.
Frielinger Str. 31
28215 Bremen
Tel: 0421/498 42 51
Fax: 0421/498 42 52
E-Mail: Netzwerk-KGU@t-online.de
Web. www.Netzwerk-Kindergesundheit.de


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Plenum am Donnerstag im BMU

Abb. 2: Erfreute Gesichter bei den Gewinnern (v.l.n.r.): S. Pleschka (WECF), S. Kasper (mhplus BKK), S. Neyen (UfU), E. Grosser (Kind und Umwelt), H. Schiefer (Münchner APUG)


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Quelle:
umwelt · medizin · gesellschaft Nr. 4/2009, (Dezember 2009)
22. Jahrgang, S. 352 - 353
Verlag: UMG Verlagsgesellschaft mbH
Frielinger Str. 31, 28215 Bremen
Chefredaktion (V.i.S.d.P.): Erik Petersen
Tel.: 0421/498 42 51; Fax: 0421/498 42 52
E-Mail: umg-verlag@t-online.de
Internet: www.umwelt-medizin-gesellschaft.de

Erscheinungsweise: vierteljährig
Bezugspreis: Für Mitglieder der Umweltmedizinischen Verbände dbu, DGUHT, DGUZ, IGUMED
und Ökologischer Ärztebund sowie der weiteren beteiligten Verbände
DGMCS und VHUE ist der Bezug der Zeitschrift im Jahresbeitrag enthalten.
Das Abonnement kostet ansonsten jährlich 38,- Euro frei Haus, Ausland 45,- Euro.
Einzelheft: 10,- Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2010