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HNO/294: Hören bei Kindern - neues Testsystem entwickelt (idw)


Jade Hochschule - Wilhelmshaven/Oldenburg/Elsfleth - 19.09.2018

Hören bei Kindern - Wissenschaftler der Jade Hochschule entwickeln neues Testsystem


Bisher wird das Hören bei Kindern bis zum Schuleintritt nur zu zwei Zeitpunkten untersucht - zu selten. Zudem sind die gängigen Methoden nicht geeignet, um die alterstypischen Hörprobleme zu erkennen. In dem neuen Forschungsprojekt "Perzeption und Lokalisation binauraler Information bei Kindern (PLOBI2go)" entwickeln Wissenschaftler_innen der Jade Hochschule jetzt ein mobiles System, um das Hörvermögen von Kindern verlässlich, kindgerecht und automatisiert zu überprüfen.

Oldenburg. Die Entwicklung des Hörens bei Kindern wirkt sich entscheidend auf die Entwicklung der Sprache aus. Auch der soziale und emotionale Entwicklungsprozess hängt von einem gesunden Hörvermögen ab. Bisher wird das Hören bei Kindern bis zum Schuleintritt nur zu zwei Zeitpunkten untersucht: Zwei Tage nach der Geburt (Universelles Neugeborenen Hörscreening, UNHS) und dann im Vorschulalter. Dieses zweite Hörscreening erfolgt mit rund viereinhalb bis fünf Jahren bei der kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchung U8 und bei der öffentlich geregelten Schuleingangsuntersuchung (SEU). Das reicht nicht aus, finden Prof. Dr. med. Karsten Plotz und seine wissenschaftliche Mitarbeiterin Katharina Schmidt von der Jade Hochschule. Zudem seien die gängigen Methoden nicht geeignet, um die alterstypischen Hörprobleme zu erkennen. In dem neuen Forschungsprojekt "Perzeption und Lokalisation binauraler Information bei Kindern (PLOBI2go)" entwickeln die Wissenschaftler_innen jetzt ein mobiles System, um das Hörvermögen von Kindern verlässlich, kindgerecht und automatisiert zu überprüfen.

Hörstörungen im Kindergartenalter

Erkältungsbedingte Mittelohrprobleme ("Paukenergüsse") treten bei etwa 80 Prozent der kleinen Kinder auf. "Ein Paukenerguss tut nicht weh, daher sagen Kinder manchmal nichts und die Hörstörung bleibt unerkannt. Und das, obwohl ein Hörverlust von 20 bis 30 Dezibel damit einhergeht - so als würde man sich die Ohren zuhalten", erklärt Karsten Plotz, der neben der Professur an der Jade Hochschule als Facharzt für Pädaudiologie tätig ist. Wenn diese Hörstörungen über eine längere Zeit oder wiederholt auftreten, können sie Auswirkungen auf die Hörentwicklung haben. "Zehn bis zwanzig Prozent der Kinder weisen bei der Einschulung eine chronische Mittelohr-Schwerhörigkeit auf", berichtet der Wissenschaftler. "Dieser hohe Anteil verdeutlicht die Relevanz des Themas." Derartige Hörprobleme könnten massive Auswirkungen auf die Sprachentwicklung, den Lese- und Schriftspracherwerb und das Verhalten haben und so zu Schulproblemen oder -ängsten führen.

Optimierung der derzeitigen Hörscreenings notwendig - binaurales Hören im Freifeld

Das Screening bei der Vorsorgeuntersuchung U8 ermittelt die Hörschwelle - also diejenige Lautstärke, ab der ein Kind ein sehr leises Geräusch gerade wahrnehmen kann. Aus Sicht der Wissenschaftler_innen der Jade Hochschule wäre es ergänzend jedoch besonders wichtig, die Reife des beidohrigen (binauralen) Hörens zu überprüfen. "Das binaurale Hören ist beispielsweise notwendig, um informationstragende akustische Reize von solchen zu trennen, die störend sind", erklärt Katharina Schmidt. Zudem sei das Hören mit beiden Ohren Voraussetzung um die Richtung, aus der ein Geräusch kommt, zu erkennen. "Besonders wichtig ist das Richtungshören unter anderem für die Sicherheit im Alltag, weil mögliche Gefahrenquellen beispielsweise im Straßenverkehr besser geortet werden können", sagt die Wissenschaftlerin, die derzeit zu diesem Thema promoviert. "Oder um Gesprächen in einer geräuschvollen Umgebung folgen zu können." Ein weiterer Kritikpunkt an derzeitigen Hörtests sei die unzureichende Definition von Normalhörigkeit. Alle Referenzwerte würden sich auf Erwachsene beziehen und auch hier gäbe es viele verschiedene Definitionen. "Es ist methodisch falsch, von "Normalhörigkeit" zu sprechen", sagt Plotz. "Denn erstens ist diese für Erwachsene nicht genau definiert und für Kinder gar nicht. Und zweitens ist das als "normales Hören" bezeichnete Hörvermögen nicht unbedingt ein gesundes oder gutes Hören." Mit dem neuen System soll deshalb nicht die Hörschwelle, sondern im Alltag relevante Hörbereiche untersucht werden.

Zudem werden die gängigen Tests bisher mit Kopfhörern durchgeführt - nicht immer erfolgreich, denn nicht alle Kinder mögen Kopfhörer. Anstatt unter Laborbedingungen sollte das Hören im Freifeld, also unter alltagsnahen Bedingungen, getestet werden.

Anforderungen an das neue System: kindgerecht, automatisiert, mobil

Damit das neue System PLOBI2go in der Praxis oft eingesetzt wird, muss es flexibel und mobil sein. Es soll auch dort genutzt werden können, wo keine besonderen, schallgedämmten Räume zur Verfügung stehen - zum Beispiel in Kindergärten, Gesundheitsämtern, bei Kinderärzten oder auch in Inklusionsberatungs- oder sozialpädiatrischen Zentren. "Entsprechend muss die Handhabung angepasst werden, zum Beispiel durch eine kindgerechte, automatisierte und intuitive Bedienungsführung", erklärt Plotz. Gleichzeitig soll eine motivierende, weitgehend selbsterklärende graphische Oberfläche für die Kinder erstellt werden, indem Techniken aus dem Gaming-Bereich genutzt werden. "Und natürlich sollte das neue System robust und leicht transportabel sein."

Projektpartner

Die Wissenschaftler_innen der Jade Hochschule entwickeln das System PLOBI2go in Zusammenarbeit mit dem OFFIS - Institut für Informatik Oldenburg, dem Kompetenzzentrum für Hörgeräte-Systemtechnik (HörTech) und mit dem Klinischen Innovationszentrum für Medizintechnik Oldenburg (KIZMO). Ein Partnerunternehmen aus der Wirtschaft, AURITEC, soll die Produkt-Idee umsetzen. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 1,5 Millionen Euro gefördert und läuft bis Ende 2020.


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Nicht nur die Hörschwelle sollte untersucht werden, sondern auch die Reife des beidohrigen (binauralen) Hörens.

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Jade Hochschule - Wilhelmshaven/Oldenburg/Elsfleth - 19.09.2018
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2018

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