Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt 2/2017
KLINIKÄRZTE
Frust und Überlastung
Von Dirk Schnack
Eine Umfrage des Marburger Bundes zeigt, wie stark Klinikärzte sich an ihrem Arbeitsplatz überlastet fühlen.
Zahlreiche Krankenhausärzte in Schleswig-Holstein fühlen sich
überlastet. Sie haben zu wenige Kollegen, spüren eine
Arbeitsverdichtung und beobachten Organisationsmängel in ihrem Haus.
Die Arbeitszeitrichtlinie wird oft nicht eingehalten. Folge: 41
Prozent der befragten Ärzte erwägen, ihre derzeitige Tätigkeit
aufzugeben.
Zu diesen Ergebnissen kommt eine repräsentative Umfrage im Auftrag des Marburger Bundes Schleswig-Holstein zu den Arbeitsbedingungen und zur beruflichen Situation der Ärzte. Die Ärztegewerkschaft legte damit eine der umfangreichsten Befragungen über die Zufriedenheit von Krankenhausärzten der vergangenen Jahre vor - und stieß damit auch auf entsprechende Resonanz in der Politik.
Der Marburger Bund bezeichnete die Ergebnisse als alarmierend für die Ärzte und die Patienten. Beispiel Arbeitszeit: Hier gaben 38 Prozent der Befragten an, dass sie jede Woche zwischen 49 und 59 Stunden arbeiten, weitere 16 Prozent zwischen 60 und 79 Stunden und zwei Prozent liegen nach eigenen Angaben sogar über 80 Stunden. Damit liegen 56 Prozent der befragten Ärzte über der von der EU-Arbeitszeitrichtlinie vorgesehenen Höchstgrenze von durchschnittlich 48 Stunden pro Woche. Schleswig-Holsteins MB-Chef Dr. Henrik Herrmann sagt zu diesem Punkt: "Arbeitszeitrechtliche Bestimmungen und fehlende Pausen gefährden nicht nur die Gesundheit der Ärzte, sondern können auch ein Sicherheitsrisiko für die Patienten darstellen." Kostendruck und eine dünne Personaldecke dürften keine Entschuldigung dafür sein, gesetzliche Vorschriften zu missachten, mahnte Herrmann. Er forderte die staatlichen Aufsichtsbehörden in diesem Zusammenhang auf, die Einhaltung der arbeitszeitrechtlichen Vorschriften in Krankenhäusern regelmäßig zu prüfen.
Weitere 26 Prozent der befragten Ärzte in Schleswig-Holstein gaben eine durchschnittliche Arbeitszeit zwischen 40 und 48 Stunden pro Woche an. Zwölf Prozent arbeiten zwischen 30 und 39 Stunden, nur sechs Prozent liegen unter 30 Stunden.
Umgangen werden die Bestimmungen, indem die Arbeitszeiten schlicht nicht erfasst werden. Bei 24 Prozent der Befragten ist dies der Fall, bei weiteren 24 Prozent geschieht die Erfassung handschriftlich. Eine elektronische Stechuhr gibt es für 13 Prozent der Befragten. Bei 39 Prozent wird die Arbeitszeit nach einem EDV-gestützten Dienstplan erfasst. Erschwerend kommt hinzu, dass die Überstunden bei einem Viertel der Befragten weder vergütet noch mit Freizeit ausgeglichen werden. 24 Prozent gaben an, dass Überstunden überwiegend vergütet werden, 51 Prozent erhalten überwiegend Freizeitausgleich.
Herrmann hält diesen Umgang mit der Arbeitszeit für nicht akzeptabel. Als "tragende Säule" des Gesundheitssystems hätten Ärzte ein Anrecht auf ordnungsgemäße Dokumentation und Vergütung ihrer Leistungen, so Herrmann. Er fordert von den Kliniken, in jeder Abteilung ein transparentes und manipulationsfreies Arbeitszeiterfassungssystem einzurichten.
Die Umfrage zeigt auch, dass die von den Ärzten empfundene Überlastung vor allem die Berufsanfänger betrifft. 93 Prozent der Ärzte in Weiterbildung fühlen sich überlastet. Dies ist der höchste Wert aller abgefragten Gruppen - am niedrigsten war dieser Wert mit 74 Prozent bei den Chefärzten. Starke Überlastungen empfinden mit 90 Prozent deren Stellvertreter, aber auch Fachärzte (87 Prozent) und Oberärzte (86 Prozent). Als wichtigsten Überlastungsgrund geben die Ärzte mit 83 Prozent Personalmangel an, gefolgt von Arbeitszeitverdichtung (73 Prozent) und Organisationsmängeln (58 Prozent). Bürokratie (51 Prozent) folgt erst an vierter Stelle.
Trotz dieser Ergebnisse sind die Ärzte nicht zwangsläufig auch mit ihrem Arbeitgeber unzufrieden. Jeder zehnte ist sogar "sehr zufrieden", 51 Prozent sind "eher zufrieden". Auch hier zeigen sich wieder deutliche Unterschiede zwischen den Alters- und Hierarchiestufen. 24 Prozent der Chefärzte, aber nur acht Prozent der Weiterbildungsassistenten sind "sehr zufrieden." Zwischen den Geschlechtern dagegen gibt es in dieser Frage nur geringe Unterschiede. 37 Prozent der Ärztinnen und 41 Prozent der Ärzte sind unzufrieden mit ihrem Arbeitgeber. Als "sehr unzufrieden" bezeichneten sich acht Prozent aller Ärzte, 31 Prozent sind "eher unzufrieden" mit ihrem Arbeitgeber. Die große Masse ist über alle Hierarchiestufen hinweg "eher zufrieden", hier schwanken die Zustimmungsraten lediglich zwischen 49 Prozent bei Weiterbildungsassistenten und Chefärzten und 53 Prozent bei Oberärzten.
Immerhin 41 Prozent aller Ärzte erwägen dennoch, ihre jetzige Tätigkeit aufzugeben. 42 Prozent würden ihren Arbeitgeber folgerichtig auch nicht empfehlen. Herrmann sieht in diesen Zahlen auch ein "echtes Risiko für das Unternehmen Krankenhaus": "Es besteht dringender Handlungsbedarf für die Krankenhäuser, ihre Arbeitsplätze im ärztlichen Dienst unter Attraktivitätsgesichtspunkten zu prüfen und zu optimieren."
Auch zur ärztlichen Weiterbildung hat der MB die Ärzte befragt. Laut Weiterbildungsordnung soll die Weiterbildung in strukturierter Form erfolgen "unter Anleitung befugter Ärzte in praktischer Tätigkeit und theoretischer Unterweisung". Laut Umfrage vermissen aber 70 Prozent der Ärzte eine Struktur in ihrer Weiterbildung. Immerhin 57 Prozent verneinten außerdem die Frage, ob in ihrer Klinik die geforderten Weiterbildungsinhalte vermittelt werden. Herrmann stellte hierzu fest: "Eine strukturierte Weiterbildung sichert die Qualität der ärztlichen Berufsausübung und ist wesentliche Voraussetzung für die Qualität in der Patientenversorgung. Junge Ärzte dürfen nicht im Alltagsgeschäft der Kliniken verschlissen werden. Die Kliniken sind aufgefordert, die ärztliche Weiterbildung durch ausreichende Zeitkontingente sicherzustellen."
Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kristin Alheit (SPD) rief Krankenhäuser und Ärzte dazu auf, gemeinsam die Ursachen der Missstände zu analysieren und für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen. Kliniken könnten im Wettbewerb um qualifizierte Fachkräfte nur mit guten Arbeitsbedingungen punkten, gab sie zu bedenken. Zugleich zeigen die Ergebnisse für Alheit, dass wegen der begrenzten Fachkräfte-Ressourcen nicht überall jedes klinische Angebot vorgehalten werden könne. CDU-Gesundheitsexperte Karsten Jasper nannte die Ergebnisse der MB-Umfrage "besorgniserregend". Er hält größere Anstrengungen in der Nachwuchsgewinnung der Ärzte für nötig, um mit mehr Personal die Überlastung zu bekämpfen. Grünen-Gesundheitspolitikerin Dr. Marret Bohn führt die Probleme auf die Ökonomisierung des Gesundheitswesens zurück; diese erweist sich nach ihrer Ansicht "zunehmend als Irrtum". Bohn forderte eine "Rückbesinnung auf ethische statt ökonomischer Grundwerte im Gesundheitswesen". Wolfgang Dudda von den Piraten verwies auf einen möglichen Zusammenhang von Überlastung und Behandlungsfehlern. "Kein Mensch möchte von einem Arzt operiert werden, der dauerhaft überarbeitet ist und dessen Konzentration darunter schwer leidet", gab Dudda zu bedenken.
56 % der Ärzte in Schleswig-Holstein liegen laut MB-Umfrage über der von der EU-Arbeitszeitrichtlinie vorgesehenen Höchstgrenze von durchschnittlich 48 Arbeitsstunden pro Woche.
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ARBEITSZEIT
inkl. aller Dienst- und Überstunden im Durchschnitt
56 % arbeiten über der Höchstgrenze des Arbeitszeitgesetzes von 48
Stunden/Woche
1 von 4 Ärzten arbeitet unterhalb der Höchstgrenze des
Arbeitszeitgesetzes
16 % arbeiten zwischen 60-79 Stunden/Woche
ARBEITSZEITERFASSUNG
25 % verneinen die Frage nach einer systematischen
Arbeitszeiterfassung
Ein Viertel aller Überstunden werden weder vergütet noch mit Freizeit
ausgeglichen
IMMER MEHR FÜHLEN SICH ÜBERLASTET
89 Prozent der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte in Schleswig-Holstein sagen, dass es während ihrer Arbeitszeit zu Überlastungen kommt
Das belastet besonders:
1. Personalmangel
2. Arbeitsverdichtung
3. Organisationsmängel
WEITEREMPFEHLUNG ARBEITGEBER
42 % der Ärztinnen und Ärzte würden ihren Arbeitgeber nicht weiterempfehlen
STRUKTURIERTE WEITERBILDUNG
70 % sagen, es findet keine strukturierte Weiterbildung statt
57 % finden, dass die geforderten Weiterbildungs- und
Fortbildungsinhalte nicht ausreichend vermittelt werden
AUFHÖREN ODER WEITERMACHEN?
41 % der Befragten erwägt, die jetzige Tätigkeit aufzugeben
1 von 3 Ärzten ist eher unzufrieden mit seinem Arbeitgeber
Der Marburger Bund Schleswig-Holstein hat die Umfrage mit dem
Institut für Qualitätsmessung und Evaluation (IQME) von Oktober bis
November 2016 durchgeführt.
MB SH Überblick 2016, Marburger Bund Schleswig-Holstein
Gesamtausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts 2/2017 im
Internet unter:
http://www.aeksh.de/shae/2017/201702/h17024a.htm
Zur jeweils aktuellen Ausgabe des Schleswig-Holsteinischen Ärzteblatts:
www.aerzteblatt-sh.de
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Quelle:
Schleswig-Holsteinisches Ärzteblatt
70. Jahrgang, Februar 2017, Seite 10 - 11
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Das Schleswig-Holsteinische Ärzteblatt erscheint 12-mal im Jahr.
veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2017
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