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FESTIVAL/374: Tricky Women Filmfestival - Animationsfilme aus dem Land der aufgehenden Sonne (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 140, 2/17

Animationsfilme aus dem Land der aufgehenden Sonne

Impressionen vom diesjährigen Tricky Women Filmfestival

von Maria Knaub und Verena Kovacs


Das 14. Tricky Women Filmfestival in Wien stand ganz im Zeichen des japanischen Animationsfilms und feierte damit ein Genre, dessen Facettenreichtum sehr groß ist. Die Frauen*solidarität "trickste" auch heuer mit und sprach mit Jurymitglied und Kuratorin Mitsuko Okamoto über ihre Erfahrungen als Produzentin, über die Rolle von Frauen im Animationsfilm und über die von ihr organisierte Ausstellung "Tenacious, Gracious".


Mitsuko Okamoto begann ihre Karriere beim japanischen öffentlich-rechtlichen Rundfunksender NHK als Produzentin einer Vielzahl populärer Bildungsprogramme. Seit 2008 ist sie Professorin an der renommierten Tokyo University of the Arts. Das Unterrichten und das Produzieren sieht sie nicht so unähnlich: "Wir diskutieren Ideen, wir legen Zeitpläne fest, wir kontaktieren (Produktions)Partner_innen."

Okamoto gehört zu der ersten Generation an Produzentinnen im japanischen Fernsehen. Weitere Frauen folgten. Produzent_innen seien essentielle Partner_innen für Regisseur_innen sowohl als Vertrauenspersonen als auch Kritiker_innen. "Als Produzentin muss ich einen breiten Bereich an Prozessen überblicken - wie etwa den kreativen Prozess, die Planung, die Finanzierung, die Motivation des Teams sowie die Ausstrahlung des Endproduktes."


Kollaboration und Konkurrenz

Vor dem Hintergrund der stagnierenden japanischen Wirtschaft erhält internationale Zusammenarbeit immer größere Bedeutung. Als Organisatorin eines Studierendenprojektes zwischen Universitäten in Japan, Südkorea und China sieht Okamoto den Animationsfilm als besonders geeignet, um Brücken zu bauen: "Beim Animationsfilm überwinden Technik, Methodik und Software sprachliche Differenzen. Ideen und Bilder können dadurch direkter und nonverbal dargestellt werden."

Dass aber nicht nur in Zusammenarbeit, sondern auch im Wettbewerb Großartiges entstehen kann, beweisen unter anderem die jährlichen "Competitions" des Tricky Women Festivals in Wien. "Als ich zum ersten Mal von diesem Festival hörte, fragte ich mich, wie die Veranstalterinnen es schaffen, nur Filme von weiblichen Regisseurinnen zu zeigen. Dann sah ich die Filme und fand es wunderbar! Regisseurinnen werden durch Wettbewerbe herausgefordert, und das kann inspirierend sein." Dennoch meint Okamoto, dass Regisseurinnen nach wie vor in Japan von Diskriminierungen und "gläsernen Decken" betroffen sind.


In dieser Ecke der Welt

Ein Highlight des diesjährigen Festivals war das Screening des nostalgischen Coming-of-Age-Dramas "In This Corner Of The World", das in Japan ein enormer Kassenschlager war. Dabei stand die Verfilmung des beliebten Mangas anfangs auf der Kippe und konnte nur durch eine rekordverdächtige Crowdfunding-Kampagne finanziert werden. Der Film folgt dem Lebensweg der jungen quirligen Suzu, die nach ihrer Heirat aus einem kleinen Fischerdorf in der Nähe von Hiroshima nach Kure zieht, bis heute einer der wichtigsten Marinestützpunkte Japans.

Im Zentrum stehen die dramatischen Umbrüche in ihrem Leben: die Beziehungen zu ihrer neuen Familie, die zunehmend schwierigeren Lebensumstände in Japan während des Zweiten Weltkriegs und der Atombombenabwurf auf Hiroshima. "'In This Corner Of The World' porträtiert den Lebenswillen und die Stärke der japanischen Frauen, die den Krieg überlebten. Er zeigt, wie die Menschen sich ihre Lebensfreude selbst in schweren Zeiten erhalten", erklärt Okamoto. Durch ihre Leidenschaft für das Zeichnen kann sich Suzu ihre Fröhlichkeit bewahren - was sie zeitweise in Schwierigkeiten mit der Militärpolizei bringt. Das Produktionsteam orientierte sich an alten Fotografien und Dokumenten, um das Stadtbild Hiroshimas vor dem Atombombenabwurf authentisch zu rekonstruieren und um uns Zuschauer_innen damit einen Einblick "in diese Ecke der Welt" zu ermöglichen.


Tenacious, Gracious

Unter dem Titel "Tenacious, Gracious" kurartierte Okamoto eine Ausstellung über sechs renommierte japanische Künstlerinnen. Gezeigt wurden deren Videos sowie Mangas und klassische Zeichnungen. Der von materiellen, zeitlichen und räumlichen Beschränkungen losgelöste Animationsfilm birgt für Okamoto das größte Potential, Frauen in ihrer Unabhängigkeit abzubilden: "In der Ausstellung ging es mir darum, vielfältige weibliche Lebenswelten in Japan zu vermitteln, wie sie von den Künstlerinnen selbst dargestellt werden. Ich wünsche mir, dass die Zuschauer_innen diese ungemein weibliche Unabhängigkeit wahrnehmen."

Im Fokus von "Tenacious, Gracious" steht für Okamoto der durchaus ambivalente japanische Begriff "oshare", den sie weiter interpretiert als die gängige Übersetzung - "modisch" oder "edel": "Obwohl Frauen in Japan in der Vergangenheit einen weitaus niedrigeren sozialen Status hatten, meisterten sie die Probleme des Alltags selbstbewusst und souverän. Trotz verwüsteter Häuser und Städte durch Tsunamis, Erdbeben, Taifune oder Kriege lebten sie stark und würdevoll - das ist es, was ich mit 'Tenacious, Gracious' zeigen will."


Weibliche Diversität

Das Tricky Women Filmfestival bestach auch heuer wieder durch seine große Bandbreite und Diversität. Darin liegt die Stärke des Animationsfilms, dessen japanische Ursprünge in den ukiyo-e des japanischen Mittelalters liegen - den "Bildern der fließenden Welt". Das "Fließen der Welt" und die wandelnden Rollen und Identitäten von Frauen im Laufe eines Lebens tragen laut Okamoto dazu bei, dass weibliche Regisseurinnen derart weitgefächerte Ideen entwickeln: "Sie wachsen und wandeln sich mit ihren Filmen. Sie sind selbst stets einem Wandel ausgesetzt und setzen diesen auch bildhaft um."

Dabei sieht Okamoto den kreativ-künstlerischen Prozess als Weg zur Selbsterkenntnis, durch den die Künstlerinnen ihre eigenen Identitäten performativ ausloten: "Ehrlich gesagt, bin ich mir nicht sicher, ob Regisseurinnen sich während des Filmemachens ihrer sozialen Rolle als Frau bewusst sind. Der Schaffensprozess ist ein Blick in den Spiegel, durch den die Künstlerinnen sich selbst ausdrücken und sich ihrer Rolle in der Gesellschaft und ihrer Identität bewusst werden."


Filmtipps:
"In This Corner Of The World" (2016) von Sunao Katabuchi
"Your Name" (2016) von Makoto Shinkai

Zu den Autorinnen:
Maria Knaub absolvierte ein Praktikum bei der Frauen*solidarität und arbeitet momentan an ihrem Master der Internationalen Entwicklung in Wien.
Verena Kovacs war ebenfalls Praktikantin bei der Frauen*solidariät und studiert Politikwissenschaften.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 140, 2/2017, S. 28-29
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, A-1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org
 
Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro plus Porto
Jahresabo: Österreich 20,- Euro;
andere Länder 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2017

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