vorwärts - die sozialistische zeitung, Nr. 35/36 vom 1. November 2019
Schlamassel auf Schienen
von Florian Sieber
Die Bundesbahnen haben kein gutes Jahr hinter sich. Neben Pünktlichkeit und defektem Material auf den Schienen gab auch die Arbeitssicherheit zu reden. Doch auch angekündigte Wechsel in der Teppichetage bringen den Staatskonzern nicht zur Ruhe.
Hinter vorgehaltener Hand spricht Erwin(*) vom "Wankdorf-Putin".
Das will er aber nur anonym gesagt haben. Die Rede ist vom scheidenden
SBB-Doyen Andreas Meyer. Der Führungsstil des Topmanagers machte
diesem in seiner Zeit bei den Bundesbahnen nicht viele Freunde. Als
vorgeschlagen wurde, den Mitarbeiter*innen die Möglichkeit eines
Sabbaticals, einer Auszeit vom Beruf, zu streichen, konnte Meyer
gerade nicht Stellung nehmen. Er befand sich selbst in einem
Sabbatical, denn für das Topkader der Bundesbahnen sollten diese nicht
abgeschafft werden. Und auch bei Sparrunden, die die Mitarbeitenden
betrafen, setzte man nicht immer an den Orten den Rotstift an, die von
der Bevölkerung am ehesten goutiert wurden. Während nämlich Meyer
massiv gegen Kürzungen der Löhne der bestbezahlten Kaderleute bei den
SBB kämpfte (der Bund wollte Maximallöhne für Staatsbetriebe und
staatsnahe Betriebe setzen), wurde Reinigungspersonal der Zuschlag für
besonders unhygienische Arbeiten, also das Reinigen von mit Fäkalien
oder Erbrochenem verschmutzte Toiletten, ersatzlos gestrichen. Wohl
erst nachdem sich die SBB-Kommunikationsabteilung dem Zorn der
öffentlichen Meinung in sozialen Medien und Kommentarspalten
ausgesetzt sah, wurde die Lohnkürzung zurückgenommen.
Doch das einst so glänzende Image der SBB hat nicht nur im Bereich Öffentlichkeitsarbeit Kratzer bekommen. Beim langjährigen Steckenpferd und Alleinstellungsmerkmal der Bahn in der Schweiz, der Pünktlichkeit, hat man in den letzten Monaten auf manchen Linien teils stark nachgelassen. So wurde im Frühling eine Taskforce ins Leben gerufen, um die Gründe für die Unpünktlichkeit zu analysieren. Wo man früher stets darauf verwies, dass es sich bei den SBB um eine Topanbieterin im Bereich Personenverkehr handle, scheint man mittlerweile auch beim Staatsbetrieb geschmeckt zu haben, dass gewisse Unzufriedenheiten herrschen. So erhielten Inhaber*innen von SBB-Abonnements am 21. Oktober Gutscheine. Diese seien eine Wiedergutmachung, da in letzter Zeit "nicht alles rund gelaufen" sei. Damit gemeint waren wohl vor allem aktuelle Schwierigkeiten, so beim Herbstverkehr über die Alpen, wo die Passagierkapazitäten für den Ansturm von Reisenden nicht ausgereicht hatten.
Hier treten vor allem zwei Probleme in Erscheinung. Zum einen die sehr dünne Personaldecke beim Fahrbetrieb. So sind in den letzten Jahren zu wenig Lokführer*innen ausgebildet worden, um den aktuellen Bedarf zu decken. Doch auch das Material, oder besser gesagt dessen Mangel, macht den Bundesbahnen Schwierigkeiten. Gerade wegen dem neuen Doppelstöckerzug von Bombardier sind die SBB im letzten Jahr über ihre Kapazitäten beansprucht worden. Es sind nicht nur die starken Rüttler und die ungenügenden Platzverhältnisse für Rohstuhlfahrer*innen Probleme, sondern vor allem die Auslieferung - oder besser gesagt die Nicht-Auslieferung - stellt den Betrieb vor ein Dilemma: Hatte man nach Abschluss des Kaufvertrags mit Bombardier Teile des alten Rollmaterials ausgemustert, fehlten die älteren Züge, als der kanadische Zugbauer mit der Lieferung nicht nachkamen.
Zeitweise waren erst 15 der 60 Züge ausgeliefert, als die Auslieferung eigentlich komplett hätte sein sollen. Mittlerweile sind von den neuen Doppelstöckerzügen mit 25 Stück zumindest fast die Hälfte der angepeilten Menge auf den Schienen. Die Folge: Verspätungen, teilweise Ausfälle.
Der Mangel an Rollmaterial bringt dann eben einen ganzen Rattenschwanz an neuen Problemen mit sich. So muss mangelhaftes Rollmaterial mit Schäden auf die Schienen. Im unangenehmen aber wenig gefährlichen Fall bedeutet dies, dass an den Bahnhöfen keine Zeit mehr bleibt, Toiletten zu leeren. Sind die Tanks voll, wird an den Türen in diesem Fall ein Defekt-Schild angebracht. Im Extremfall kann aber dadurch Rollmaterial auf die Schienen gebracht werden, das für Personal und Passagiere eine Gefahr darstellt. So machte der tragisch verlaufene tödliche Arbeitsunfall eines SBB-Zugbegleiters vor ein paar Monaten Schlagzeilen: Der Angestellte war von einer defekten Tür mitgeschleift worden.
Meyer hatte jedoch die Existenz eines Problems mit den Türen geleugnet. Als anschliessend publik wurde, dass solche Störuiigen der Türen keine Seltenheit sind und es auch schon vorher zu gefährlichen Unfällen gekommen war, wird bei Meyers Rücktritt eine Rolle gespielt haben. Erwin bestätigt diese Probleme, nimmt sein Unternehmen aber auch in Schutz: "Wir fahren halt wirklich am Rand der Kapazitäten. Man muss sehen, wir sind in einem kleinen Land mit einem sehr dichten Netz." Dass bei so vielen Zügen, die unterwegs sind, auch einmal Probleme vorkommen, liege "in der Natur der Sache und Verspätungen passieren. Solche Unfälle kann man aber verhindern."
Doch es gebe auch Ansätze, um das Angebot zu verbessern. So kann sich SBB-Mann Erwin vorstellen, dass ein wenig mehr Grosszügigkeit mehr Stabilität bringen könnte. In diesem Bereich scheint der Bund nun neue Projekte unter dem Motto "Engpass-Beseitigung" auf den Weg zu bringen. Insgesamt will man mit neuen Infrastrukturprojekten im Wert von 13 Milliarden Franken das bestehende Netz entlasten. Damit sollen beispielsweise der geplante Eppenberg-Tunnel, der Brütten-Tunnel und ein zweiter Zimmerberg-Tunnel finanziert werden. Beim Bund ist man sich bewusst, dass die Investitionen auch höhere Unterhaltskosten zur Folge haben werden. Damit scheint die Regierung aus den Folgen der Vernachlässigung in der Vergangenheit gelernt zu haben.
Wenn aber nicht auch bei der Personaldecke etwas gemacht wird, werden all jene, die auf den Zugverkehr angewiesen sind, um zur Arbeit, zur Schule, zur Uni und so weiter zu pendeln, wieder von einer SBB abhängig sein, die auf dem Zahnfleisch geht. Dies ganz einfach, weil sie ihre Effizienz, ihre Sicherheit, ihre Arbeitsbedingungen der Profitabilität geopfert hat, weil der Staatsbetrieb SBB wie ein privatwirtschaftlicher Konzern von einer HSG-Clique geführt wird.
(*) Name der Redaktion bekannt
*
Quelle:
vorwärts - die sozialistische zeitung.
Nr. 35/36 - 75. Jahrgang - 1. November 2019, S. 5
Herausgeberin: Verlagsgenossenschaft Vorwärts, PdAS
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Dezember 2019
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