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IZ3W/380: Editorial zum Themenschwerpunkt von Ausgabe 365 - Pressefreiheit ... nicht überall erhältlich


iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 365 - März/April 2018

Presse(un)freiheit weltweit
Editorial zum Themenschwerpunkt


Im Februar 1989 rief eine BBC-Reporterin Salman Rushdie an. Sie fragte den überraschten Schriftsteller: »Wie fühlt man sich, wenn man weiß, dass man gerade von Ayatollah Khomeini zum Tode verurteilt wurde?« In seiner Autobiografie »Joseph Anton« schreibt Rushdie dazu: »Ohne recht zu wissen, was er redete, hat er folgendes geantwortet: 'Man fühlt sich nicht gut.'«

Khomeini sah Rushdies Roman »Die satanischen Verse« als »gegen den Islam, den Propheten und den Koran« gerichtet und sprach eine Todes-Fatwa gegen ihn aus. Rushdie war plötzlich ein Mensch, der »sein Leben nicht mehr verstand«, außer: »Sie jagen dich und spüren dich auf.«

Rushdie gelang mit Leibwächtern, Verstecken und viel Glück, Khomeinis Häschern zu entkommen. Zudem überlebt er als Schriftsteller, indem er eine Herkulesaufgabe bewältigt: weitermachen. Er produziert beharrlich weiter, wogegen die Fatwa gerichtet war: Fantasievolle Romane, respektlos gegen hohle Autorität. Sein Verlag fasst seine Autobiographie so zusammen: »Es ist die Geschichte eines der entscheidenden Kämpfe unserer Zeit: des Kampfs um die Meinungsfreiheit.«

Dieser Kampf wird hierzulande und heutzutage meist unspektakulär am Computer neben einer Tasse Tee ausgetragen, die Gegner heißen oft nur Schachtelsatz und Genitiv. Die iz3w erscheint laut dem Index von Reporter ohne Grenzen in einem Land mit einer »guten Situation« für Presseerzeugnisse. Trotzdem muss Pressefreiheit auch hier täglich erkämpft werden, und es gibt hochgefährliche Entwicklungen, wie etwa die rechtspopulistischen Kampagnen gegen die »Lügenpresse«.

Die Gruppe der Länder mit »guter Situation« ist klein. Eine »zufriedenstellende Lage« ist weltweit ebenfalls minoritär und gerade im Globalen Süden rar: Südafrika ist hier ein ermutigendes Beispiel. In vielen Ländern ist die Lage aber »sehr ernst«: China, Sudan oder Iran. Der Kampf um Meinungsfreiheit kann dort tödlich sein. Das gilt auch für Länder, die zwischen den Extremen liegen, wie etwa Kolumbien.

Dabei sind die Meinungs- und Pressefreiheit eine Grundbedingung für eine Gesellschaft, die aufgeklärte Zustände anstrebt. Der Soziologe Jürgen Habermas charakterisiert in seinem Werk »Strukturwandel der Öffentlichkeit« letztere durch eine »prinzipielle Unabgeschlossenheit«. Der offene und öffentliche Diskurs über die Belange der Bevölkerung ist die Voraussetzung demokratischer Vergesellschaftung. Hier spielen Medien eine wichtige Rolle. Ihr Kerngeschäft heißt: unabhängig zu sagen, was ist.

Das genügt, um mit zahlreichen Interessen in Konflikt zu geraten. Die Spitze des Eisbergs sind dabei die 65 JournalistInnen, die 2017 nach Angaben von Reporter ohne Grenzen getötet wurden. Die gefährlichsten Länder waren Syrien (12 Tote), Mexiko (11), Afghanistan (9), Irak (8) und Philippinen (4). Das verweist auf die größten Gegenspieler der Meinungsfreiheit: Bürgerkriege, Kriege, autoritäre Regime. »In Mexiko entscheidet die Gunst der Drogenbosse über Leben und Sterben von Journalisten«, schreibt die Süddeutsche Zeitung anlässlich des Mordes an dem Journalisten Javier Valdez. Auch im Einleitungsartikel dieses Themenschwerpunktes wird auf kriminelle Netzwerke und ihre »eigenen Gesetze« hingewiesen.

Syrien ist ein Paradebeispiel für die Gleichschaltung der Medien durch Diktatur, Bürgerkrieg und durch dort vorwiegend islamistische Rackets. Bürgerkriegssituationen wie in Südsudan, Libyen oder Somalia sind unvereinbar mit Pressefreiheit. Aber auch in betont starken Staaten wie China oder Russland ist es mit der Freiheit nicht weit her. Es geht also nicht um mehr oder weniger Staat. Es geht um demokratische, freiheitliche und soziale Regeln, die einerseits im Bewusstsein, andererseits als verbindliche Rechte verankert sind.

Technik wird es nicht richten. Das Internet und andere Neue Medien werden in Russland und China inzwischen umfassend überwacht. Es gibt aber auch weichere Zensurformen. Viele JournalistInnen der Mainstream-Medien beklagen, dass Problemthemen wie Armut immer schwerer »zu reporten« seien. Die auflagenorientierte Politik der Verlage lässt Wohlfühlthemen dominieren. Ein anderer Aspekt beim Verhältnis von Meinungsfreiheit und Eigentum sind die oligarchischen Tendenzen, etwa auf dem brasilianischen Medienmarkt.

Doch wir präsentieren in diesem Themenschwerpunkt auch Positivbeispiele. In der Türkei trotzen zahlreiche Publikationen der Repression, und in Namibia konnte sich eine lebendige Presselandschaft etablieren.

Der abschließende Beitrag von Georg Seeßlen lotet die Begriffe der freien Rede und Meinungsfreiheit aus. Beide seien hohl ohne Rückbindung an Reflexion und Kritik. Es »lohne« sich die freie Rede in einer unfreien Welt gar nicht, im Gegenteil, man hole sich nur eine blutige Nase, schreibt er. Gibt es da noch eine Wendung? Am Ende dieses Themenschwerpunktes ist sie - hoffentlich - nachzulesen.


die redaktion


Dieser Themenschwerpunkt wurde gefördert von ENGAGEMENT GLOBAL im Auftrag des BMZ und aus Mitteln des Kirchlichen Entwicklungsdienstes durch Brot für die Welt - Evangelischer Entwicklungsdienst.

Herzlichen Dank!

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Inhaltsverzeichnis iz3w Nr. 365 - März/April 2018

Pressefreiheit
- nicht überall erhältlich

Die iz3w erscheint in einem Land mit einer "guten Situation" für Presseerzeugnisse (globaler Index der Reporter ohne Grenzen). In vielen Ländern ist die Lage infolge von Repressionen "sehr ernst", zum Beispiel in China, in Iran oder Sudan. Auch in Ländern zwischen diesen Extremen kann freier Journalismus lebensgefährlich sein, etwa in Mexiko.

Dabei sind die Meinungs- und Pressefreiheit Grundvoraussetzungen für Gesellschaften, die aufgeklärte Zustände und Partizipation an politischen Entscheidungen anstreben. Es geht um demokratische, freiheitliche und soziale Regeln, die einerseits im Bewusstsein, andererseits als verbindliche Rechte verankert sind. Wir lassen Personen zu Wort kommen, die sich für diese Ziele einsetzen, und fragen uns: Wie sehen die Produktionsbedingungen für die Berichterstattung weltweit aus? Wozu braucht es freie Medien? Wo fängt die Repression an und auf welche Weise wirken sich neue Medien auf die Berichterstattung aus?

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INHALTSÜBERSICHT

Im Kriechgang gegen Aufrechte
Hefteditorial

Themenschwerpunkt: Pressefreiheit
Presse(un)freiheit weltweit
Editorial zum Themenschwerpunkt

Ein Recht ohne Geltung
Die Pressefreiheit steht weltweit unter Beschuss
von Anton Landgraf

Katz und Maus
Im Nahen Osten und in Nordafrika bleibt die Pressefreiheit umkämpft
von Judith Pies

Tausendmal dieselbe Seite Eins
Die Volksrepublik China hat viele Medien und eine Meinung
von Astrid Lipinsky

Dogmatisch unabhängig
Pressevielfalt trotz dominanter Regierungspolitik in Namibia
von Reinhart Kößler

»Viele üben Selbstzensur«
Interview mit Bob Rugurika aus Burundi über Radioarbeit im Exil

Brasilien guckt in die Röhre
Die Freiheit der Medien ist auch eine Frage des Eigentums
von Nils Brock

»Repression war immer vorhanden«
Interview mit dem Schriftsteller Dogan Akhanli über seine Verfolgung durch die Türkei

Strategien des Widerstands
In der Türkei ist die Meinungsfreiheit weiter umkämpft
von Oliver Kontny

»Schreib doch mal was Positives«
Freier Journalismus zwischen Engagement und Desinteresse
von Andrea Jeska

So frei wie sie erkämpft wurden
Essay zum dialektischen Verhältnis von Freiheit und Unfreiheit in Meinung und Rede
von Georg Seeßlen


POLITIK UND ÖKONOMIE

Syrien: Tödlicher Frieden
Das Assad-Regime herrscht weiter kompromisslos
von Jan-Niklas Kniewel

Simbabwe: Politik des Weitermachens
Ein neuer Präsident und alte Probleme
von Alex Veit

Kolumbien: Ein neues El Dorado
Lokale Gemeinden wehren sich gegen den Goldabbau
von Dorothea Hamilton


KULTUR UND DEBATTE

1968: Révolution Afrique
Der Mai 1968 war nicht auf die Metropole Paris beschränkt
von Bernard Schmid

Sexismus: #MeToo auf Arabisch
Wie im Nahen und Mittleren Osten sexualisierte Gewalt thematisiert wird
von Jan Düsterhöft

Sklaverei: »Während der ganzen Reise mussten sie nackt bleiben«
Drei Romane untersuchen die Sklaverei in den USA
von Birgit Huber, Sieglinde Krause, Tina Bolg und Sigrid Weber

Briefe an die Redaktion

Rezensionen

Ngugi wa Thiong'o:
Dekolonisierung des Denkens

Christian Jakob, Simone Schlindwein:
Diktatoren als Türsteher Europas

Bini Adamczak: Beziehungsweise Revolution
Manfred Hildermeier: Geschichte der Sowjetunion 1917-1991
Deutungskämpfe zum Jahrestag der Revolution

Najem Wali:
Die Balkanroute

Paul Garson:
African Colonial Prisoners of the Germans

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Quelle:
iz3w Nr. 365 - März/April 2018
Copyright: bei der Redaktion und den AutorInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Juli 2018

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