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GLEICHHEIT/5881: Kämpfe zwischen Aserbaidschan und Armenien um Bergkarabach


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Kämpfe zwischen Aserbaidschan und Armenien um Bergkarabach

Von Kumaran Ira
5. April 2016


Am vergangenen Wochenende ist es zwischen Aserbaidschan und Armenien zu heftigen Gefechten um die abtrünnige Region Bergkarabach gekommen. Die Region liegt südwestlich von Aserbaidschan und östlich von Armenien. Berichten zufolge kamen dabei 30 Soldaten zu Tode, auch zivile Opfer wurden gemeldet.

Beide Länder gaben sich gegenseitig die Schuld am Ausbruch der Kämpfe. Allerdings ist noch unklar, wie es dazu kam. Aserbaidschan erklärte am Samstag, bei den Kämpfen seien zwölf aserbaidschanische Soldaten getötet und ein Hubschrauber vom Typ Mi-24 abgeschossen worden. Nach Angaben der armenischen Regierung wurden 18 armenische Soldaten getötet und weitere 35 verwundet.

Armenien warf Aserbaidschan vor, es habe am Freitagabend einen "massiven Angriff entlang der Karabach-Front mit Panzern, Artillerie und Hubschraubern" begonnen. Aserbaidschan hingegen erklärte, es habe seinerseits auf Beschuss durch "großkalibrige Artillerie und Granatwerfer" reagiert.

Der Konflikt könnte sich zu einem Krieg ausweiten, in dem sich einerseits Russland als wichtigster Unterstützer Armeniens und andererseits die Türkei als Verbündeter von Aserbaidschan gegenüber stehen würden. Hinter der Türkei wiederum steht die Nato. Die Türkei unterstützt Aserbaidschan, dessen größte Ethnie die türkischstämmigen Aserbaidschaner sind, doch die Beziehungen zwischen der Türkei und Armenien sind aufgrund des Massakers an den Armeniern durch das Osmanische Reich 1915 stark angespannt.

Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass die amerikanischen Medien Aserbaidschan zum Alleinverantwortlichen erklärt haben. Das Wall Street Journal schrieb: "Am Freitagabend versuchten aserbaidschanische Truppen, Stellungen in Bergkarabach zu besetzen, einer vorwiegend von Armeniern bewohnten Enklave innerhalb der Grenzen von Aserbaidschan. 1994 wurde sie nach einem sechs Jahre andauernden Krieg durch einen Waffenstillstand von Armenien übernommen."

Aserbaidschanische Regierungsvertreter erklärten, sie setzten auf eine militärische anstelle einer diplomatischen Lösung des Konflikts. Der aserbaidschanische Botschafter in Russland, Polad Bulbuloglu, erklärte gegenüber dem staatlichen Fernsehsender Russia Today: "Wir haben 22 Jahre lang versucht, diesen Konflikt mit friedlichen Mitteln zu lösen. Wie lange soll es noch dauern? Wir sind bereit für eine friedliche Lösung des Problems. Aber wenn es sich nicht friedlich lösen lässt, dann werden wir es mit militärischen Mitteln lösen."

Obwohl Aserbaidschan am Sonntag einen einseitigen Waffenstillstand im Kampf gegen die armenischen Truppen angekündigt hat, wies Armenien Bakus Behauptung zurück. Die armenische Regierung erklärte, der Kampf gehe weiter und man bereite sich auf eine Intervention vor.

"Armenien hat gegen alle Normen des Völkerrechts verstoßen. Wir werden unsere Hauptposition nicht aufgeben. Aber gleichzeitig werden wir den Waffenstillstand einhalten und danach versuchen, den Konflikt friedlich zu beenden", erklärte Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew.

"Aserbaidschans Erklärung ist eine Informationsfalle und stellt keinen einseitigen Waffenstillstand dar", erklärte der Sprecher des armenischen Verteidigungsministeriums Arsrun Hovhannisyan. Der stellvertretende Verteidigungsminister David Tonoyan erklärte, Armenien sei bereit, die Streitkräfte von Bergkarabach "direkt militärisch zu unterstützen."

Die Kämpfe zwischen den beiden Ländern um die umstrittene Region sind die heftigsten seit dem Ende des Krieges zwischen Aserbaidschan und Armenien. Seit 1994 gilt ein Waffenstillstand, der von Russland ausgehandelt worden war.

Bergkarabach hatte 1991 seine Unabhängigkeit erklärt. Es ist eine gebirgige Region, die überwiegend auf aserbaidschanischem Gebiet liegt, aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt wird. Der Konflikt um Bergkarabach hatte 1988 begonnen, als Aserbaidschan und Armenien noch Teil der Sowjetunion waren. Er eskalierte Anfang der 1990er Jahre in einen offenen Krieg, nachdem die stalinistische Bürokratie 1991 die Sowjetunion aufgelöst hatte. Bis zum Waffenstillstand 1994 kostete der Krieg zwischen aserbaidschanischen Truppen und armenischen Separatisten etwa 30.000 Menschenleben.

Die derzeitigen Kämpfe ereignen sich vor dem Hintergrund eskalierender Spannungen zwischen der Nato und Russland aufgrund der Intervention der USA und der europäischen Mächte in der Region. Im Februar 2014 organisierten die Nato-Mächte einen von faschistischen Kräften durchgeführten Putsch gegen den pro-russischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch. Seit dem Putsch haben die Nato-Mächte in Osteuropa eine massive militärische Aufrüstung gegen Russland begonnen, um das Land auf den Status einer Halbkolonie zu reduzieren.

Auch wegen Syrien sind Russland und die Nato-Mächte aneinander geraten: Während Russland das Regime von Präsident Baschar al-Assad unterstützt, schüren die USA und die EU einen Stellvertreterkrieg. Sie unterstützen dabei diverse Al Qaida-nahe islamistische Gruppen wie den IS, um Assad zu stürzen. Letztes Jahr begann die Kreml-Oligarchie ihre eigene reaktionäre Militärintervention, um Assad zu unterstützen. Sie befürchtete, der Verlust ihres syrischen Verbündeten könnte ihren globalen Einfluss schwächen und Washington dazu ermutigen, islamistische Operationen zur Destabilisierung in Russland selbst zu verstärken. Im November letzten Jahres schoss die Türkei dann ein russisches Kampfflugzeug über Syrien ab.

Die Nato-Mächte haben durch ihr leichtsinniges Vorgehen die Konflikte in der Region auf die Spitze getrieben. Ein Konflikt wie derjenige in Bergkarabach könnte sich zu einem katastrophalen offenen Krieg entwickeln.

Der Christian Science Monitor zitierte Jeffrey Mankoff, einen ehemaligen Berater für amerikanisch-russische Beziehungen im US-Außenministerium und derzeitiger stellvertretender Direktor des Russland-Eurasien-Programms des Center for Strategic and International Studies (CSIS). Er erklärte: "Russland will nicht nur Frieden, sondern auch eine Einigung, die seinen Einfluss in beiden Ländern vergrößert. Wenn es eine Einigung gibt, wird sie nur unter Russlands Bedingungen erfolgen.

"Russland will keinen Konflikt, weil es versucht, seinen Einfluss in beiden Ländern auszuweiten. Wenn sie das durch eine Lösung des Konflikts erreichen können, ist das eine Option. Aber wenn das nicht funktionieren sollte, profitiert Russland auch vom Status Quo", erklärte Mankoff.

Mankoff erläuterte, Russland habe 5.000 Soldaten in Armenien stationiert, um die Türkei von einem Krieg gegen Armenien abzuschrecken, der in einen Krieg mit Russland eskalieren würde: "Die Hauptrolle der russischen Truppen ist es, die Türkei im Falle eines erneuten Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan von einem Eingreifen abzuschrecken."

Die Kriegsgefahr durch die Bergkarabach-Krise zeigt die katastrophalen geopolitischen Folgen der Auflösung der UdSSR ebenso wie den reaktionären Charakter der nationalistischen Politik, die in allen ehemaligen Sowjetrepubliken und auch in Russland selbst vorherrscht. Sie bildete die Grundlage für das Wiederaufleben explosiver ethnischer Konflikte und imperialistischer Intrigen in der ganzen Region.

Das US-Außenministerium erklärte in einer Stellungnahme: "Wir rufen beide Seiten auf, sich zu mäßigen, eine weitere Eskalation zu vermeiden und den Waffenstillstand unbedingt einzuhalten. Wir bekräftigen, dass es keine militärische Lösung für den Konflikt gibt." Es verurteilte zudem "aufs schärfste die umfangreichen Verstöße gegen den Waffenstillstand [...] die zu mehreren Todesopfern, u.a. zu zivilen, geführt haben."

Die türkische Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan verurteilte Armenien angesichts des jüngsten Konflikts und nahm eine aggressive Haltung ein. Erdogan erklärte, er werde Aserbaidschan "bis zum Ende" unterstützen: "Wir beten, dass unsere aserbaidschanischen Brüder in diesen Kämpfen siegen werden."

Zudem warf Erdogan der Minsk-Gruppe (Frankreich, Russland und die USA) vor, sie habe es nicht geschafft, eine Lösung für den Bergkarabach-Konflikt umzusetzen. Während der Eröffnungszeremonie eines türkisch-amerikanischen Kulturzentrums in Maryland erklärte er: "Hätte die Minsk-Gruppe das Problem rechtzeitig gelöst, dann wären die jüngsten Ereignisse nicht passiert."

Russland und der Iran drängten Aserbaidschan und Armenien zu einem sofortigen Waffenstillstand. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow erklärte: "Präsident Putin ruft die Konfliktparteien auf, einen sofortigen Waffenstillstand zu befolgen und Zurückhaltung an den Tag zu legen, um weitere Todesopfer zu vermeiden."

Der Sprecher des iranischen Außenministeriums Hossein Jaberi Ansari erklärte: "Wir rufen unsere beiden nördlichen Nachbarstaaten auf, sich zu mäßigen und nichts zu unternehmen, was die Lage noch schwieriger machen könnte."

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Quelle:
World Socialist Web Site, 05.04.2016
Kämpfe zwischen Aserbaidschan und Armenien um Bergkarabach
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. April 2016

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