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GLEICHHEIT/4717: Bradley Mannings Verfahren vor dem Kriegsgericht beginnt


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Bradley Mannings Verfahren vor dem Kriegsgericht beginnt

Von Naomi Spencer
7. Juni 2013



Seit Mittwoch steht der Gefreite Bradley Manning nach eintausendeinhundert Tagen im Gefängnis vor dem Kriegsgericht. Der erste Prozesstag war genauso wie die monatelangen Vorverhandlungen zuvor von Geheimhaltungsbemühungen der Regierung, Rachsucht und Lügen geprägt.

Manning, dem der Verrat von rund 700.000 militärischen und diplomatischen Dateien an die Whistleblower-Organisation WikiLeaks vorgeworfen wird, droht eine lebenslange Freiheitsstrafe, sollte er in den zwanzig Anklagepunkten verurteilt werden, von denen der schwerwiegendste "Unterstützung für den Feind" unter dem Spionagegesetz lautet. Die Staatsanwälte der Obama-Regierung argumentieren, dass Manning Al-Qaida wissentlich nachrichtendienstliche Informationen zur Verfügung gestellt habe, weil jeder, daher auch Terroristen, über die WikiLeaks-Website Zugriff auf sie hatte.

In einer Erklärung vor der Militärrichterin Colonel Denise Lind im Februar, erklärte Manning, dass er das Material übertragen habe, um die im Namen des amerikanischen Volkes begangenen Verbrechen der US-Regierung und des Militärs offen zu legen. Sein Ziel sei gewesen, den Anstoß zu "weltweiten Diskussionen, Debatten und Reformen" zu geben, sagte er.

Lind entschied, dass die Fragen des Motivs oder des Gewissen für den Fall irrelevant seien, nahm dem fünfundzwanzigjährigem Soldaten die Möglichkeit, die Verteidigung für eine Whistleblower-Aktivität aufzubauen, und erklärte jede Diskussion über den Inhalt des an die Öffentlichkeit gelangten Materials für unzulässig.

Manning bot an, sich in einigen Punkten mit dem Ziel schuldig zu bekennen, die potentielle Strafe zu reduzieren. Die Obama-Regierung wies die Möglichkeit einer Absprache im Strafverfahren zurück und versucht, die maximal mögliche Strafe zu erreichen.

Manning ist der bekannteste Fall eines systematischen Angriffs auf Whistleblower durch die Obama-Regierung, die mehr Menschen als alle anderen Regierungen in der Geschichte der USA zusammen, unter dem Espionage Act (Spionagegesetz) verfolgt hat. Im Laufe seines dreijährigen Leidensweges war Manning Bedingungen ausgesetzt, die gleichbedeutend mit Folter waren. Dazu gehörte monatelange Einzelhaft für dreiundzwanzig Stunden am Tag, sowie erzwungene Nacktheit und Schlafentzug.

Die Regierung beabsichtigt, an Manning ein Exempel zu statuieren, um andere potentielle Whistleblower einzuschüchtern. Außerdem ist der Prozess ein gefährlicher Präzedenzfall für Journalisten, Internet-Seiten und all, die auf Informationen zugreifen, die die Regierung für sensibel oder schädlich für ihre "Interessen" hält.

Die Folgen der Argumente, die im Rahmen der Strafverfolgung von Manning entwickelt wurden, zeigten sich Anfang des Monats, als bekannt wurde, dass die Obama-Regierung einem Fox News Reporter angebliche kriminelle Aktivitäten vorgeworfen hat, weil er daran arbeitete, über einen Informanten an Verschlusssachen der Regierung zu kommen - ein grundlegendes Element bei der Nachrichtenrecherche. Als Teil einer umfassenderen Kriminalisierung abweichender politischer Meinungen bemüht sich die Regierung, Aktivitäten der Medien zu kriminalisieren, die geheime Aktivitäten der Regierung an die Öffentlichkeit bringen.

Während Manning vollumfänglich für den Versuch strafrechtlich verfolgt wird, Kriegsverbrechen zu enthüllen, bleiben diejenigen, deren kriminelles Verhalten in dem öffentlich gemachten Material offenbart wurde, nicht nur frei, sondern werden auch noch aktiv durch die Obama-Regierung geschützt.

Eine kafkaeske Atmosphäre umgibt die Verhandlung. Ein großer Teil des Verfahrens, das in den nächsten drei Monaten in Fort Meade, Maryland durchgeführt wird, wird hinter verschlossenen Türen stattfinden. Die Staatsanwälte des Militärs haben vor, eine große Menge von Verschlusssachen als Beweise vorzulegen und werden vierundzwanzig Zeugen aufrufen, die anonym und verkleidet aussagen werden, wobei die Öffentlichkeit und die Presse nur in beschränkten Maße zugelassen sein werden.

Lind argumentiert, dass die außerordentlichen Vorkehrungen notwendig seien, um das "Durchsickern von vertraulichen Informationen" zu verhindern; angeblich sind mehrere der geheimen Zeugen Mitglieder des Navy Seals Team, dass Osama bin Laden im Jahr 2011 ermordete. Der Verteidigung ist es nicht erlaubt, die geheimen Zeugen einem Kreuzverhör über den Überfall in Abbottabad oder ihre persönlichen Hintergründe zu unterziehen.

Lind entschied, dass die auf WikiLeaks veröffentlichten Dokumente geheim bleiben müssen und in der öffentlichen Sitzung nicht erwähnt werden dürfen.

Das Center for Constitutional Rights [Zentrum für Verfassungsrechte] hat herausgefunden, dass Mannings gesetzliche Anhörungen "restriktiver als die Militärtribunale in Guantanamo Bay" waren. Über die letzten drei Jahre wurden im Zusammenhang mit dem Fall mindestens dreißigtausend Dokumente erstellt, nur sehr wenige davon sind nicht als geheim eingestuft. Diese beispiellose Zensur macht die gesamten, anti-demokratischen Rahmenbedingungen des Prozesses deutlich. Sie ist ein Hinweis darauf, dass das politische und militärische Establishment wegen der wachsenden Opposition gegen den amerikanischen Imperialismus sehr nervös ist.

Nur sechzehn Plätze stehen für die Öffentlichkeit zur Verfügung, um dem Verfahren im Gerichtssaal beizuwohnen; ein Anbau auf dem Stützpunkt verfügt über fünfunddreißig zusätzliche Plätze für das Public Viewing einer Videoübertragung. Nur zehn ausgewählte Medienangehörige haben Zutritt.

Die Washington Post wies darauf hin, dass der Gerichtssaal am Montag durch die Anwesenheit von mehreren Verwandten Mannings schon überbelegt war. Unterstützer des Whistleblowers hatten vor den Toren der Basis in den letzten Tagen Kundgebungen abgehalten.

Am Montag trug der Chefankläger Kapitän Joe Morrow zur Einleitung stundenlang die Anklage vor, in der er neue Vorwürfe aufbrachte. Unter anderem soll Manning Anweisungen von WikiLeaks-Gründer Julian Assange entgegen genommen haben. WikiLeaks hat nie zugegeben und nie bestritten, dass Manning die Organisation überhaupt kontaktiert hat. Morrows Behauptungen waren offenkundig ein Rufmord. Er erklärte dem Gericht, dass Manning "von einem Drang nach Berühmtheit getrieben wurde".

"Wenn Du acht Monate lang vierzehn Stunden sieben Tage in der Woche den beispiellosen Zugang zu elektronischen Verschlusssachen hast, was würdest Du tun?" fragte Morrow und zitierte aus einer Erklärung Mannings, die er in einem privaten Chat gemacht hatte und die später von dem Hacker Adrian Lamo, der zum Informanten der Regierung geworden war, der Regierung übergeben wurde.

Morrow erklärte: "Dies ist nicht ein Fall eines Regierungsbeamten, der überlegte Enthüllungen macht. Dies ist der Fall eines Soldaten, der hunderttausende Dokumente abzog und sie ins Internet stellte, wo sie dem Feind zur Verfügung standen." Der Staatsanwalt fügte hinzu, dass es darum gehe, "was passiert, wenn Arroganz freien Zugang zu Informationen hat".

Manning, sagte er, wusste, dass diese von "großem Wert für unseren Gegner und insbesondere unsere Feinde" waren. Morrow schloss seine Ausführungen mit einem Hinweis auf Osama bin Laden, von dem die Regierung behauptet hatte, dass er digitale Kopien von einigem auf WikiLeaks öffentlich zugänglichem Material besessen habe.

David Coombs, Mannings ziviler Rechtsanwalt, begann damit, einen Vorfall vom 24. Dezember 2009 zu beschreiben. Ein US-Militärkonvoi, der eine Straße entlang fuhr, drängte ein Fahrzeug mit fünf Zivilisten an den Straßenrand. Sie wurden von einer Bombe am Straßenrand zerrissen.

Auf dem militärischen Vorposten Hammer, wo Manning stationiert war, beobachteten er und andere Geheimdienstler das Geschehen. Die anderen Soldaten brachen in Jubel aus, weil die US-Truppen unverletzt blieben, sagte Coombs. Manning war verstört. "Er konnte die Menschen, die an diesem Tag starben, nicht vergessen. Er konnte die Leben und die Familie, die an diesem Heiligabend den Tod fand, nicht vergessen."

Coombs erklärte, dass der junge Gefreite von moralischen Skrupeln geplagt und innerlich zerrissen war, was ihn zu der Entscheidung brachte, er müss e "etwas tun, das die Welt verändert. Er musste etwas tun, das half, die Dinge, die er sah, zum Besseren zu wenden".

Manning veröffentlichte die Irak-Kriegs-Protokolle, die viele ähnliche Gräueltaten dokumentierten, und das "Collateral Murder"-Video über einen Kampfhubschrauberangriff auf Zivilisten und Journalisten, weil er dachte, "die amerikanische Bevölkerung sollte wissen, was tagtäglich passiert, argumentierte Coombs. Als er beschloss, diese Informationen zu veröffentlichen, glaubte er, diese Informationen würden zeigen, welchen Wert wir menschlichem Leben beimessen. Das verfolgte ihn und er glaubte, wenn die amerikanische Öffentlichkeit dies sähe, wäre auch sie darüber besorgt und die Dinge würden sich vielleicht ändern."

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Quelle:
World Socialist Web Site, 07.06.2013
Bradley Mannings Verfahren vor dem Kriegsgericht beginnt
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Juni 2013