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GLEICHHEIT/4414: US-Militär definiert Assange und WikiLeaks als "Feind"


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

US-Militär definiert Assange und WikiLeaks als "Feind"

Von Bill Van Auken
2. Oktober 2012



Geheime Air Force Dokumente enthüllen, dass das amerikanische Militär WikiLeaks und seinen Herausgeber Julian Assange jetzt offiziell als "Feind" definiert und damit juristisch al-Qaida gleichsetzt. Damit wird ihnen auch die gleiche Behandlung angedroht: zeitlich unbegrenzte Inhaftierung ohne Prozess bis hin zum Tod.

Die Dokumente, deren Veröffentlichung unter dem Informationsfreiheitsgesetz erzwungen wurde, und die zuerst im australischen Age erschienen, stammen aus einer Untersuchung der Abwehrabteilung der Air Force, dem Office of Special Investigations. Sie sind mit der Geheimhaltungsstufe "Secret/NoForn" belegt, was bedeutet, dass sie keinem ausländischen Personal zugänglich gemacht werden dürfen.

Zielobjekt der Untersuchung war eine in Großbritannien stationierte IT-Systemanalystin der US Air Force, der Sympathien mit Assange und WikiLeaks nachgesagt wurden. Sie habe an einer Demonstration für jene teilgenommen.

Die Plattform WikiLeaks hat durch ihre Veröffentlichung geheimer Dokumente zahlreiche amerikanische Verbrechen im Irak, in Afghanistan und anderswo enthüllt und sich dadurch auf der ganzen Welt breite Unterstützung gesichert. Gleichzeitig hat sie sich weltweite Nachstellung und Verunglimpfung durch internationale Medien und besonders durch die amerikanische Regierung zugezogen.

Die Ermittler der Air Force untersuchten nun, ob die Analystin, die Zugang zum Geheimen Internet Protocol des Routernetzwerks der US-Militärs hatte, geheime Dokumente an WikiLeaks-Mitarbeiter weitergegeben habe.

An dem Dokument ist besonders wichtig, dass die WikiLeaks-Mitarbeiter als eine "anti-amerikanische und/oder militärfeindliche Gruppe" bezeichnet werden, und dass die Anklage, die in diesem Fall in Betracht gezogen wurde, auf "Unterstützung für den Feind" in Verletzung des Paragraphen 104 des Militärstrafgesetzbuches lautete.

In diesem Paragraphen 104 wird der "Feind" folgendermaßen definiert: "organisierte Kräfte des Feindes in Kriegszeiten, jede feindliche Gruppierung, denen unsere Kräfte möglicherweise entgegentreten, wie z.B. ein rebellierender Mob oder eine Bande Abtrünniger, sowie Mitglieder militärischer Organisationen".

Wer wegen Unterstützung des Feindes von einem Militärgericht verurteilt wird, muss mit der Todesstrafe rechnen.

Die Analystin bestritt, geheimes Material an WikiLeaks weitergegeben zu haben, und die Anklage wurde fallen gelassen. Ihr Zugang zu solchem Material wurde allerdings erst einmal gesperrt.

Auch Bradley Manning wurde der Unterstützung des Feindes angeklagt. Manning ist der Soldat, der im Irak verhaftet wurde, und dem vorgeworfen wird, Hunderttausende geheime amerikanische Militär- und Diplomaten-Depeschen an WikiLeaks übergeben zu haben, in denen Massaker und Gräueltaten gegen Zivilisten in Irak und in Afghanistan und amerikanische Verschwörungen weltweit entlarvt werden.

Im Fall Manning argumentiert das Militär jedoch, dass er al-Qaida unterstützt habe, indem er, wie behauptet wird, WikiLeaks dabei geholfen habe, geheime amerikanische Dokumente zu veröffentlichen. Das allein ist schon bedrohlich genug, da letztlich jeder Militärangehörige, der mit den Medien spricht, in Gefahr schwebt, mit einer solchen Anklage überzogen zu werden. Aber als "Feind" wurde immer noch al-Qaida definiert, und nicht etwa die Medien selbst, in diesem Fall WikiLeaks. In dem jüngst bekannt gewordenen Air Force-Dokument wird aber dieser Unterschied beseitigt.

Michael Ratner, Assanges amerikanischer Anwalt und President Emeritus des Center for Constitutional Rights, bezeichnete diese Entwicklung für seinen Mandanten als äußerst gefährlich. Er merkte an, die Air Force sei nicht wirklich daran interessiert, ob Dokumente veröffentlicht und damit al-Qaida potentiell zugänglich gemacht worden seien, wie im Fall Manning, sondern sie konzentriere sich ausschließlich darauf, dass der Umstand des Geheimnisverrats an Assange und seine Mitarbeiter an sich eine Bedrohung darstelle.

"Es stellt sich nun so dar, dass Julian Assange und WikiLeaks 'der Feind' sind", sagte Ratner. Ein Feind wird nach dem Kriegsrecht behandelt, und das könnte Tötung, Gefangennahme, Haft ohne Prozess usw. bedeuten."

Der WikiLeaks-Herausgeber sitzt inzwischen seit drei Monaten in der Botschaft Ecuadors in London fest. Hier wurde ihm Asyl gewährt, weil ihm aufgrund politischer Verfolgung durch die amerikanische Regierung schwere Nachteile drohen, falls die britische Regierung ihren Plan ausführt, Assange nach Schweden auszuliefern. Die schwedische Regierung, die ihn keines Verbrechens angeklagt hat, verlangt seine Auslieferung wegen willkürlich erhobener Beschuldigungen sexuellen Fehlverhaltens. Die Haft in Schweden würde Washington die Möglichkeit geben, Assanges Auslieferung in die USA wegen Spionage oder Verschwörung zu betreiben. Eine geheime Grand Jury in Virginia hat derartige Anklagen bereits vorbereitet.

Vergangenen Mittwoch richtete Assange aus der Ecuadorianischen Botschaft in London eine Videoansprache anlässlich der Eröffnung der UNO-Generalversammlung an eine überfüllte Versammlung bei den Vereinten Nationen.

Assange nutze die Rede, um die heuchlerische und verlogene Eröffnungsrede von US-Präsident Barack Obama vom Vortag vor der UN-Generalversammlung messerscharf zurückzuweisen.

Der WikiLeaks-Herausgeber betonte, sein eigener Fall überführe Obamas Selbstdarstellung als internationaler Champion demokratischer Rechte der Lüge, und er beschuldigte Obama, "die Meinungsfreiheit mehr als alle früheren US-Präsidenten zusammengenommen zu kriminalisieren".

Er klagte die Obama-Regierung an: "Sie versucht, ein nationales Regime der Verschleierung zu errichten. Ein nationales Verdunkelungsregime. Ein Regime, unter dem jeder staatliche Angestellte, der kritische Informationen an die Medien weitergibt, zum Tode oder zu lebenslanger Haft verurteilt werden kann, und die Journalisten der betreffenden Medien gleich mit."

Assange eröffnete seine Bemerkungen mit einer, wie er es nannte "amerikanischen Geschichte", mit einer Würdigung des inhaftierten Soldaten Bradley Manning. Damit knüpfte er bewusst an Obamas Rede vor den Vereinten Nationen an, die dieser mit einem Loblied auf den amerikanischen Botschafter in Libyen begonnen hatte, der im amerikanischen Konsulat in Bengasi bei einem Angriff getötet worden war.

"Bradley Manning, Soldat und Patriot, wurde von seiner eigenen Regierung degradiert, misshandelt und psychologisch gefoltert", sagte Assange. "Er wurde eines Verbrechens angeklagt, das die Todesstrafe ermöglicht. Die amerikanische Regierung versuchte, ihn zu brechen, ihn zu zwingen, gegen WikiLeaks und mich auszusagen." Er erinnerte daran, dass Manning am Mittwoch seit 856 Tagen ohne Prozess eingesperrt ist.

Der WikiLeals-Herausgeber machte sich auch über Obamas Behauptung lustig, Washington habe im Nahen Osten "die Kräfte des Wandels unterstützt".

In Bezug auf den tunesischen Obst- und Gemüsehändler, der sich selbst anzündete und dadurch den so genannten arabischen Frühling auslöste, sagte Assange: "Mohammed Bouasisi hat sich nicht selbst angezündet, damit Barack Obama wiedergewählt werde."

Er fügte hinzu: "Die Welt wusste spätestens seit den WikiLeaks-Veröffentlichungen, dass sich das Ben Ali-Regime lange Jahre der Duldung, wenn nicht der Unterstützung der Vereinigten Staaten erfreute, obwohl diese sich seiner Exzesse und Verbrechen voll bewusst waren."

Assange fuhr fort: "Es muss die ägyptischen Jugendlichen, die amerikanisches Tränengas aus ihren Augen spülen mussten, überrascht haben, dass die amerikanische Regierung den Wandel in Ägypten unterstützt haben soll. Es muss jene überrascht haben, die von Hillary Clinton hörten, dass Mubaraks Regime 'stabil' sei. Und dann, als jedem klar war, dass es nicht stabil war, von ihr hörten, dass der verhasste Geheimdienstchef Suleiman die Macht übernehmen müsse. Obwohl die USA, wie wir bewiesen haben, genau wussten, dass er ein Folterer war."

Assange berief sich auf Obamas fromme Sprüche vor den versammelten Führern der UN, dass "die Machthaber der Versuchung widerstehen müssen, Unterdrückung auszuüben". Er forderte von dem US-Präsidenten, seinen eigenen Worten Folge zu leisten. "Es ist Zeit, die Verfolgung von WikiLeaks zu stoppen, die Verfolgung unserer Leute zu stoppen und die Verfolgung unserer angeblichen Quellen zu stoppen", sagte er.

Die Obama-Regierung hat nicht die geringste Absicht, ihren eigenen Worten Taten folgen zu lassen. Wie die bekannt gewordenen Air-Force-Dokumente belegen, werden die Angriffe auf WikiLeaks ausgeweitet. Das herrschende amerikanische Establishment ist entschlossen, an Assange und WikiLeaks ein Exempel zu statuieren und sie zu zerstören, als abschreckendes Bespiel für alle, die es wagen sollten, die blutigen Verbrechen Washingtons zu enthüllen.

Sollte die US-Regierung damit durchkommen, dann wäre das der Auftakt für eine scharfe Zunahme der Angriffe auf demokratische Grundrechte in den USA und international unter dem Vorwand des "Kriegs gegen den Terror".

Der Kampf zur Verteidigung von WikiLeaks, Assange und Manning kann nicht mit Appellen an Obama geführt werden. Er erfordert die breiteste Mobilisierung von Arbeitern und Jugendlichen in den USA, Großbritannien, Australien und auf der ganzen Welt, als Teil eines politischen Kampfs gegen die Regierungen, die an ihrer Verfolgung beteiligt sind, und gegen das kapitalistische System, das die Ursache für den Angriff auf demokratische Grundrechte ist.

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Quelle:
World Socialist Web Site, 02.10.2012
US-Militär definiert Assange und WikiLeaks als "Feind"
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Oktober 2012