Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/4353: Südafrika - Bergarbeiter trotzen der Regierung und den Drohungen des Unternehmens


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Südafrika:
Bergarbeiter trotzen der Regierung und den Drohungen des Unternehmens

Von Bill Van Auken
22. August 2012



Vier Tage nachdem 34 ihrer Kollegen von schwerbewaffneten Polizisten massakriert wurden, ignorierten die streikenden Bergarbeiter des südafrikanischen Platinbergwerks Marikana ein Ultimatum des Bergbauunternehmens, bis Montag wieder an die Arbeit zu gehen, andernfalls würden sie entlassen.

Da am Montag nur 27 Prozent der Arbeitskräfte des Bergwerks Marikana wieder an die Arbeit gingen, musste sein Besitzer, der Londoner Bergbaukonzern Lonmin, seine Drohung zurücknehmen. Er veröffentlichte eine Stellungnahme, in der er erklärte, niemand würde entlassen werden und setzte eine neue Frist bis Donnerstagmorgen.

Das Bergwerk konnte am Montag die Produktion nicht aufnehmen, da die Mannschaften der Gesteinsbohrer, von denen sich etwa 3000 seit dem 10. August im Streik befinden, die Arbeit verweigerten. Diese Arbeiter gehören zu den am meisten ausgebeuteten in Südafrika, sind aber unverzichtbar bei der Förderung von Platin.

Tausende von Streikenden kehrten am Montag zu dem Hügel oberhalb des Bergwerkes zurück, auf dem das Massaker stattgefunden hatte. Das Gebiet ist laut einem Bericht des südafrikanischen Mail & Guardian vom Montag immer noch ein "blutüberströmtes Schlachtfeld."

"Der Boden und die Gebüsche waren übersät von blutigen Kleidungsstücken, die Stellen an denen Leichen lagen, waren mit frischer gelber Farbe markiert," hieß es in der Zeitung. "In der Nähe von einer der gelben Markierungen lag ein leerer Tränengasbehälter, in der Nähe spielte eine Gruppe Kinder mit einer ausgebrannten Fackel."

Hier hatte letzten Donnerstag ein ganzes Heer von Polizisten, unterstützt von Helikoptern und Panzerfahrzeugen, versucht, die Streikenden mit Tränengas, Wasserwerfern und Blendgranaten auseinanderzutreiben. Eine Gruppe von Streikenden wurde vor eine Phalanx von Polizisten mit automatischen Waffen und scharfer Munition getrieben. Das lange und willkürliche Schießen ging noch weiter, nachdem bereits Dutzende von Streikenden tot und verwundet dalagen. Die Szenen erinnerten an die historischen Massaker des ehemaligen Apartheids-Regimes in Sharpeville und Soweto.

Arbeiter, die von den südafrikanischen Medien interviewt wurden, waren natürlich wütend und enttäuscht von der Regierung des Afrikanischen Nationalkongresses, die dieses Blutbad organisiert hat, und von dem Bergbaukonzern Lonmin, der ihre Forderungen mit Verachtung gestraft, ihnen befohlen hatte, ihren Streik zu beenden, und ihnen mit Entlassung drohte, als das Blut ihrer Kollegen noch nicht einmal getrocknet war.

"Wenn sie erwarten, dass wir jetzt an die Arbeit zurückkehren, ist das eine Beleidigung. Viele unserer Freunde und Kollegen sind tot, und wir sollen weiterarbeiten. Niemals", sagte Zachariah Mbewu, einer der Streikenden, der South African Press Association (SAPA). "Einige sind im Gefängnis oder im Krankenhaus", fügte er hinzu, "Wir gehen wieder auf den Hügel, aber nicht unter Tage, bis das Management unsere Forderungen erfüllt."

"Werden sie auch diejenigen entlassen, die im Krankenhaus liegen, oder in der Leichenhalle?" fragte ein anderer Streikteilnehmer namens Thapelo Modima. "Es ist vielleicht besser, wenn wir entlassen werden, denn wir leiden und unser Leben ändert sich nicht. Lonmin interessiert sich nicht dafür, wie es uns geht. Sie haben sich bisher geweigert, uns zuzuhören, sondern stattdessen die Polizei geholt, um uns umzubringen."

Yandisa Matomela, der in den Bergwerken in der Gegend Gelegenheitsarbeiten verrichtet und sich dem Kampf der Gesteinsbohrermannschaften angeschlossen hat, erklärte in dem Mail & Guardian: "Der ANC stellt die Regierung, also hat der ANC diese Menschen auf dem Gewissen. Die interessieren sich nicht für uns. Die Regierung sorgt für das Bergwerk deshalb ist die Polizei da. Es werden noch mehr Menschen sterben, aber es wird nichts passieren."

Der südafrikanische Präsident Jacob Zuma verkündete zwar eine einwöchige Trauerzeit, aber die Taten des ANC haben eindeutig klar gemacht, dass er und seine wichtigsten Verbündeten, der Gewerkschaftsbund Congress of South African Trade Unions (COSATU), die National Union of Mineworkers (NUM) und die Stalinisten der Kommunistischen Partei Südafrikas (KPSA) voll hinter dem Massaker stehen.

Als Zuma die Trauerzeit ankündigte, erklärte er: "Wir dürfen jetzt nicht mit dem Finger auf Schuldige zeigen. Wir müssen vereint gegen Gewalt aus jedem Lager stehen. Wir müssen unsern Glauben an Frieden, Stabilität und Ordnung und den Aufbau einer Gesellschaft ohne Verbrechen und Gewalt bekräftigen."

Mit "Gewalt" meinte er natürlich nicht die blutige Unterdrückung, die seine eigenen Sicherheitskräfte begingen, sondern das Vorgehen der Arbeiter, nicht nur der Bergarbeiter, sondern auch der verarmten Bewohner von Townships, die militant gegen ihre schrecklichen Lebensbedingungen protestieren. Was das "mit dem Finger zeigen" angeht, so geht der ANC noch weiter: Er gibt den Opfern des Massakers die Schuld und verfolgt sie, während er die Täter verteidigt.

Die Zeitung Sowetan zitierte am Montagmorgen die Polizeichefin Riah Phiyega, eine ehemalige Bankerin, die seit zwei Monaten im Amt ist; sie riet der Polizei, sich keine Sorgen wegen dem Massaker von Marikana zu machen. "Die öffentliche Sicherheit steht nicht zur Verhandlung", erklärte sie. "Was passiert ist, braucht euch nicht leid zu tun."

Die Regierung hat inzwischen klargestellt, dass sie mit den 260 Streikenden, die am Tag des Massakers verhaftet wurden, keine Gnade haben wird. Sie wurden in Polizeibusse gebracht und, eskortiert von Panzerwagen, zu einem Gericht in dem Township Ga-Rankuwa bei Pretoria gebracht. Die Szenerie erinnerte an einen Belagerungszustand.

Die Polizei vertrieb mehr als 100 Unterstützer der Bergarbeiter aus dem Gerichtsgebäude auf die Straße, bevor die Arbeiter in den Bussen herangebracht wurden, aus denen man sie singen hörte. Die Unterstützer, viele davon Frauen, die immer noch auf der Suche nach vermissten Männern und Söhnen sind, hielten Plakate hoch, auf denen u.a. zu lesen war: "Befreit die unschuldigen Arbeiter." Einige sanken weinend auf die Straße, als die Kolonne der Gefangenen vorbeifuhr.

"Polizeibeamte mit Schilden bildeten eine Barrikade vor dem Eingang zum Gerichtsgebäude," schrieb die Nachrichtenagentur SAPA. "Die erste Gruppe von Bergarbeitern, die in einer Reihe liefen, füllte die linke Seite der Bänke im Gerichtssaal, die für sie reserviert war, einige von ihnen hielten sich an den Händen. Einige hatten Blutflecken auf der Kleidung."

Verteidiger der Bergarbeiter wiesen darauf hin, dass die Arbeiter, denen unter anderem Mord, Gewalttätigkeit und Raub vorgeworfen wird, nicht innerhalb von 48 Stunden nach der Verhaftung einem Richter vorgeführt wurden, wie es das südafrikanische Recht vorsieht. Die Staatsanwaltschaft lehnte es ab, die Bergarbeiter - einige davon Einwanderer aus Nachbarstaaten - auf Kaution freizulassen, da sie keine bekannten Adressen hätten. Die Verteidigung argumentierte dagegen, die Hütten, in denen sie außerhalb der Arbeitszeit schlafen, Adressen seien und sie das Recht auf eine Freilassung auf Kaution hätten. Die Arbeiter wurden wieder zurück ins Gefängnis gebracht, der Richter verschob die Verhandlung um sieben Tage, um weitere Untersuchungen zu ermöglichen und noch weitere Anklagepunkte zu finden.

Die Regierung hat außerdem die Bildung einer "Taskforce" angekündigt, die die Hintergründe untersuchen soll, die zu dem Massaker geführt haben. Eines ihrer Mitglieder wird die Ministerin für Bodenschätze Susan Shabangu sein, außerdem Arbeitsministerin Mildred Oliphant, die Bergbaukammer und andere Vertreter des Großkapitals, sowie die National Union of Mineworkers, deren Führung von Anfang an versucht hat, den Streik zu brechen.

Die Gewerkschaft Association of Mineworkers and Construction Union (AMCU), die die streikenden Gesteinsbohrermannschaften vertritt, bleibt aus der Task Force ausgeschlossen. Sie wird von der NUM dafür verteufelt, sich gegen die Kollaboration der größeren Gewerkschaften mit dem ANC, den Bergbauunternehmen und der Regierung gestellt zu haben.

Die NUM hat die Streikenden öffentlich als "Verbrecher" bezeichnet und die AMCU als "Anarchisten" und "Rädelsführer", die verhaftet und bestraft werden sollten.

Die Südafrikanische Kommunistische Partei (SACP), der Gewerkschaftsdachverband COSATU und die NUM gehören zu dem politischen Dreierbund, auf dem die Herrschaft des ANC beruht. Die Gewerkschaftsbürokraten haben die verbrecherischste Rolle dabei gespielt, das Massaker zu rechtfertigen und seine Opfer zu verurteilen.

Der Generalsekretär der NUM Frans Baleni veröffentlichte am Montag eine aufgezeichnete Stellungnahme auf der Webseite der Gewerkschaft, in der er vor "dunklen Mächten" warnte, die "unsere Mitglieder in die Irre führen, indem sie ihnen Glauben machen, sie hätten die besondere Macht, ihr Leben über Nacht zu verbessern." Damit meinte er die AMCU und andere militantere Gewerkschaften.

COSATU erklärte: "Wir wiederholen unsere Aufforderung an die Arbeiter, größtmögliche Disziplin und Einigkeit zu zeigen, angesichts eines ruchlosen Versuches, sie zu spalten und zu schwächen", und erklärte ihre "volle Unterstützung" für die Versuche der NUM, "die Lage zu klären." Diese Versuche bestanden darin, das Massaker im Voraus zu rechtfertigen und den Präsidenten der NUM dorthin zu schicken, um die Streikenden aus dem Inneren eines Panzerwagens der Polizei mit einem Megaphon aufzufordern, wieder an die Arbeit zu gehen. Er wurde von den Arbeitern davongejagt.

Die widerlichste Reaktion war diejenige der Stalinisten der SACP. Sie verteidigen das Massaker offen. In der Nordwestprovinz, wo das Massaker stattfand, beschuldigte die Sacp nicht die Polizei, sondern die Führer der streikenden Arbeiter, sich "barbarisch" verhalten zu haben, und forderte ihre Verhaftung.

Der Parteifunktionär Dominic Tweedie erklärte: "Das war kein Massaker, sondern eine Schlacht. Die Polizisten haben ihre Waffen genau so eingesetzt, wie sie es tun sollten, dafür haben sie sie. Die Leute, die sie erschossen haben, sahen für mich nicht wie Arbeiter aus. Wir sollten froh sein. Die Polizei hat großartige Arbeit geleistet."

Die SACP forderte in ihrer offiziellen Stellungnahme vom 19. August die Bildung einer Untersuchungskommission durch Präsident Zuma. Diese soll ihre Aufmerksamkeit nicht auf die tödlichen Gewalttaten der Polizei konzentrieren, sondern "auf das Muster der Gewalt, die mit der Pseudogewerkschaft AMCU assoziiert wird", insbesondere soll gegen ihren Präsidenten Joseph Mathunjwa ermittelt werden. Die Gegner der Vorherrschaft der NUM bezeichnet sie als "Demagogen" und "Anarchisten" und behauptet, die AMCU sei von den Bergbauunternehmen ins Leben gerufen worden.

Diese bösartigen Angriffe zeigen, wie tief die Krise innerhalb des ANC und ihrer Verbündeten in der NUM-COSATU und der stalinistischen SACP ist. Diese Krise wird durch die zunehmende Militanz der Arbeiterklasse und ihren Widerstand gegen die Versuche dieser Kräfte verstärkt, sie den Interessen der Regierung und der internationalen Konzerne und den Kapitalisten im eigenen Land unterzuordnen.

Das Massaker von Marikana hat das Bewusstsein der südafrikanischen Bevölkerung aufgerüttelt und das reaktionäre politische Bündnis und die korrupte Schicht von millionenschweren ehemaligen Gewerkschaftsfunktionären und ANC-Politikern diskreditiert, die daraus hervorgegangen ist.

*

Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: psg[at]gleichheit.de

Copyright 2012 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten

*

Quelle:
World Socialist Web Site, 22.08.2012
Südafrika: Bergarbeiter trotzen der Regierung und den Drohungen des Unternehmens
http://www.wsws.org/de/2012/aug2012/safr-a22.shtml
Partei für Soziale Gleichheit,
Sektion der Vierten Internationale (PSG)
Postfach 040 144, 10061 Berlin
Telefon: (030) 30 87 27 86, Telefax: (032) 121 31 85 83
E-Mail: psg[at]gleichheit.de
Internet: www.wsws.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2012