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GLEICHHEIT/4118: Millionen für VW-Chef Winterkorn - kein Geld für EU-Einwanderer


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Millionen für VW-Chef Winterkorn - kein Geld für EU-Einwanderer

Von Dietmar Henning
14. März 2012


Zuweilen zeichnen zwei kurze Nachrichten ein exakteres Bild der gesellschaftlichen Zustände als Statistiken über Einkommen, Arbeitslosigkeit und Armut.

Am Wochenende meldeten Zeitungen und Onlineportale, das Bundesarbeitsministerium habe beschlossen, dass Staatsangehörige der Europäischen Union (EU), die nach Deutschland kommen, zukünftig keinen Anspruch mehr auf Hartz-IV-Gelder haben. Am Montag beherrschte dann der Geschäftsbericht des Autoherstellers Volkswagen die Schlagzeilen. Aus ihm geht hervor, dass der neunköpfige Vorstand sein Gehalt im letzten Jahr auf 70 Millionen Euro verdoppelt hat.

Allein der Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn verdiente im vergangenen Jahr über 17,4 Millionen Euro, davon 11 Millionen Euro als Bonuszahlung. 17,4 Millionen Euro sind umgerechnet rund 2.000 Euro pro Stunde - 365 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag. Schon im vergangenen Jahr war Winterkorn der Spitzenverdiener unter den Vorstandschefs der Dax-Konzerne gewesen; damals hatte er allerdings "nur" 9,3 Millionen Euro erhalten.

Auch bei Winterkorns Vorstandskollegen klingelte die Kasse. Sie erhielten jeweils zwischen 7,2 und 8,1 Millionen Euro.

Der VW-Aufsichtsrat, in dem neun Mitglieder der IG Metall und des Betriebsrats sowie zwei niedersächsische Landespolitiker sitzen, segnete diese obszönen Geldzahlungen ab und griff selbst kräftig in die Kasse: Die 20 Mitglieder des Gremiums bekamen für sechs Sitzungen im Jahr knapp 7,4 Millionen Euro. Gesamtbetriebsratschef Bernd Osterloh verteidigte das Millionengehalt von Winterkorn mit den Worten, er sei die "herausragende Persönlichkeit unter den Automobilchefs".

Der Rekordgewinn von VW im letzten Jahr - 15,8 Milliarden Euro - verhalf nicht nur dem Vorstand und dem Aufsichtsrat zu einem warmen Geldregen. Die Dividendenausschüttungen von rund 885 Millionen Euro werden die großen Anteilseigner bereichern, allen voran die Familien Porsche und Piëch, die mehr als die Hälfte der Aktien besitzen, sowie die Scheichs des Emirats Katar.

Während sich die oberen Zehntausend an der Spitze der Gesellschaft die Milliardengewinne zuschoben, wies das Bundesarbeitsministerium von Ursula von der Leyen (CDU) die Bundesagentur für Arbeit an, Neuzuwanderern aus der EU die Sozialleistungen zu streichen. Sie sollen in Zukunft keine Hartz-IV-Leistungen mehr erhalten.

Bislang hatten die Angehörigen von 17 europäischen Staaten aufgrund des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) von 1953 sofort nach ihrer Einreise Anspruch auf Sozialleistungen. Die 18 beteiligten Staaten - darunter Griechenland, Italien, Spanien, Irland und die Türkei - hatten sich im EFA gegenseitig verpflichtet, Sozialleistungen unter den gleichen Bedingungen wie für die eigenen Staatsbürger zu gewähren.

Das Bundessozialgericht hatte erst im Oktober 2010 im Fall eines Franzosen entschieden, dass auch Hartz IV unter die Vorgabe des EFA fällt. Seitdem konnten Zuwanderer aus den EFA-Staaten sofort nach der Einreise Hartz-IV-Leistungen erhalten, also aktuell 364 Euro Lebensunterhalt im Monat plus Mietzuschüsse.

Laut Bundesagentur für Arbeit haben aber bisher nur wenige Angehörige dieser 17 Staaten Hartz-IV-Anträge gestellt, so dass ihre Zahl kaum ins Gewicht fällt. Mit der Aussetzung des Abkommens beugt die Bundesregierung einer verstärkten Zuwanderung als Folge ihrer eigenen Europa-Politik vor.

Die rigorosen Sparprogramme, die die EU auf deutschen Druck in Griechenland, Spanien, Portugal, Italien und anderen Mitgliedsländern erzwingt, führen zu Armut und Massenarbeitslosigkeit. Vor allem junge Frauen und Männer haben kaum mehr eine Zukunftschance im eigenen Land und sehen sich gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Sie sollen durch die Vorenthaltung von Sozialleistungen abgeschreckt werden, nach Deutschland zu kommen.

Die Bundesregierung spricht dies ganz offen aus. "Wir werden die Probleme in Griechenland oder Spanien nicht dadurch bekämpfen, dass wir junge Leute zu uns in Hartz IV holen", sagte am Freitag ein Sprecher des Bundesarbeitsministeriums. "Wir wollen die ständige Umherwanderung in die sozialen Sicherungssysteme verhindern."

Auch der Wirtschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung, Roland Preuß, unterstützte von der Leyens Vorgehen. Die Empörung darüber sei nicht gerechtfertigt, schrieb er, denn für jene, die "nur höhere Sozialleistungen erwarten als in ihrer Heimat, war Hartz IV nie gedacht".

Mit einer ähnlichen Begründung, der Warnung vor "Wirtschaftsflüchtlingen", sind in den letzten beiden Jahrzehnten die Außengrenzen der EU zu einer Festungsmauer ausgebaut worden. Dabei setzte die EU auf Mauern, Stacheldraht und bewaffnete Patrouillen zu Wasser, zu Luft und zu Land. Menschen, die vor Krieg, Verfolgung, Hunger und Elend flohen, wurde der Zutritt nach Europa versperrt. Tausende starben und sterben deshalb an den europäischen Grenzen.

Jetzt wird mit demselben Argument auch Europa selbst wieder in ein Gefängnis mit vielen keinen Zellen verwandelt. Das Gerede von "europäischer Einigung", "Freizügigkeit" und "Wohlstand" entpuppt sich dabei als Blendwerk.

Die deutsche Regierung steht dabei nicht allein. Präsident Nicolas Sarkozy, der in Frankreich um seine Wiederwahl kämpft, hat die ausländerfeindlichen Parolen der rechtsextremen Nationalen Front übernommen und die Einschränkung der Zuwanderung zu einem zentralen Wahlkampfthema gemacht. Er droht sogar mit dem Austritt aus dem Schengen-Abkommen, falls die Zuwanderung nach Frankreich nicht deutlich eingeschränkt wird.

Deutlicher könnten von der Leyen und Sarkozy den Bankrott des kapitalistischen Gesellschaftssystems nicht offenbaren. Weil sie keine Antwort auf die Wirtschaftskrise haben, machen sie die Grenze dicht und hetzten gegen Zuwanderer. Während Kapital freizügig von einem Land ins andere transferiert werden kann, werden für Arbeiter die Grenzen faktisch dicht gemacht.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 14.03.2012
Millionen für VW-Chef Winterkorn - kein Geld für EU-Einwanderer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2012